© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/01 20. Juli 2001

 
Minderheiten als Sprengstoff
Ungarn: Das "Statusgesetz" soll Assimilation verhindern / Österreich ist davon ausgenommen
Alexander Barti

Es gibt Länder und Kulturen, die besondere Anziehungskraft auf fremde Völkerschaften ausüben. Das einzigartige soziale Sicherungssystem in Deutschland ist zum Beispiel so ein Anziehungspunkt, oder die englische Sprache als globaler Kommunikations-Code. Diese Länder müssen praktisch nichts tun, um die eigene Attraktivität zu erhöhen, im Gegenteil, oft genug möchte man den Ansturm aus der Fremde mindern. Nun gibt es aber auch Länder, die – von touristischen Ausflügen abgesehen – nicht sehr attraktiv erscheinen. Diese versuchen dann auf andere Weise, den eigenen Fortbestand zu sichern. Ungarn ist ein solches Land: klein, wirtschaftlich unbedeutend, mit einer komplizierten Sprache und einem Bevölkerungswachstum, das ebenso katastrophal ist wie in Deutschland.

Um die Assimilation der Madjaren in den umliegenden Staaten zu bremsen, hat die Mitte-Rechts-Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orbán (Fidesz-MPP) im Parlament einen Gesetzesentwurf "Über die in den benachbarten Ländern lebenden Ungarn" eingebracht. Das inzwischen auch mit den Stimmen der oppositionellen Sozialisten (MSZP) verabschiedete Gesetz ist in vier Abschnitte mit 29 Paragraphen aufgeteilt und sieht keine Staatsbürgerschaft im klassischen Sinne vor. Das Regelwerk soll am 1. Januar 2002 in Kraft treten und hat seit seinem Bekanntwerden für Mißverständnisse und Irritationen gesorgt. Um nicht mit der EU Probleme zu bekommen, sind die in Österreich lebenden Ungarn von den Bestimmungen ausgenommen, für die anderen Nachbarn (Kroatien, Jugoslawien, Rumänien, Slowenien, Slowakei und Ukraine) sollen sie Geltung haben. Das Statusgesetz soll in Ungarn für verschiedene Vergünstigungen sorgen. Zur Berechtigung bekommt der Antragsteller, der sich selbst als ethnischer Ungar definieren und von registrierten Institutionen empfohlen werden muß, einen "Ungarischen-Ausweis" (Magyar Igazolvány); nichtungarische Ehepartner können einen "Ungarischen-Angehörigen-Ausweis" (Magyar hozzátartozói igazolvány) beantragen, der allerdings seine Gültigkeit verliert, sobald die Verbindung beendet ist. Der Geburtsort soll nicht nur nach der offiziellen Regel geschrieben werden, sondern auch die alte ungarische Form berücksichtigen. Klausenburg wäre demnach nicht nur (rum.) Cluj Napoca, sondern auch (ung.) Kolozsvár.

Die Vergünstigung besteht im kostenlosen Besuch von Bibliotheken und ermöglicht den Zugang zu staatlichen Stipendien; außerdem kann man die Staatsbahn verbilligt benutzen (bis sechs und ab 65 Jahren gratis); Studenten haben freien Zugang zu Bildungseinrichtungen, Institute, die die ungarische Kultur im Ausland pflegen, können sich ebenfalls um Zuschüsse bewerben. Besonders brisant könnte die Regelung zur Arbeitserlaubnis sein: bis drei Monate wird die Erlaubnis ohne Prüfung erteilt, weitere Zeitrahmen regelt ein gesondertes Gesetz. Damit wird eine Praxis legalisiert, die schon seit Jahren gang und gäbe ist: Im Sommer arbeiten schon jetzt Tausende Saisonarbeiter am Balaton, meist mit der Hoffnung, ganz in das Mutterland übersiedeln zu können. Mit der neuen sozialversicherungspflichtigen Regelung hofft man auf zusätzliche Beitrags- und Steuereinnahmen. Außerdem könnte damit auch der herrschende Facharbeitermangel behoben werden, der vor allem in der westlichen Landeshälfte immer dramatischer wird. Bemerkenswert ist, daß in dem Statusgesetz auch die staatlichen Medien erwähnt werden. Sie haben nach Paragraph 17 auch die Aufgabe, die Sprache und Kultur der ungarischen Minderheiten zu bewahren und zu fördern.

Bei genauerer Betrachtung entpuppt sich das Statusgesetz als ziemlich harmlos. Ob nun ein slowakischer Staatsbürger madjarischer Volkszugehörigkeit mit ermäßigtem Fahrschein in der abgerockten Staatsbahn MÁV sitzt oder nicht, könnte für Preßburg egal sein. Ebenso irrelevant dürfte es für die Offiziellen in Bukarest sein, ob einer ihrer arbeitslosen Staatsbürger am Balaton Fritten verkauft. Und trotzdem wurde von beiden Ländern heftig gegen den Gesetzesentwurf polemisiert. Rumänien drohte mit dem Ausstieg aus den bisher geschlossenen, bilateralen Verträgen. Die übrigen Nachbarn, so zum Beispiel Kroatien, begrüßten die Regelung oder verhielten sich zumindest wohlwollend neutral.

Das Statusgesetz würde zu ethnischen Spannungen führen, lautet eine Hauptkritik, die in der Tat nicht ganz unbegründet ist. Verläßliche Daten über die ethnische Zusammensetzung der auf den Trümmern der k.u.k. Monarchie errichteten Nachfolgerstaaten gibt es nicht, oder sie sind offensichtlich manipuliert. So schwankt die Angabe über die Madjaren mit rumänischer Staatsangehörigkeit zwischen 900.000 und vier Millionen. Ähnliche Schwierigkeiten gibt es in der Slowakei. Das Statusgesetz könnte für mehr Klarheit sorgen, auch wenn ein Mißbrauch – besonders bei Mischehen – nicht ausgeschlossen ist. Über Rumänien und der Slowakei hängt demnach das Damoklesschwert der Forderung nach territorialer Autonomie, denn nur in den beiden Ländern wohnen die Madjaren in einem kompakten Siedlungsgebiet. Und nichts fürchtet man in der Region mehr, als die "Kosovoisierung" der stabilisierten EU-Bewerber. Bei den anderen Nachbarn kann es zu solchen Bedrohungszenarien nicht kommen, denn dort, egal ob in Slowenien oder in der Ukraine, bilden die Magyaren keinen relevanten Bevölkerungsblock.

Die Diskussion um das Statusgesetz hat auch in der ungarischen Innenpolitik für Turbulenzen gesorgt. Im Frühjahr 2002 wird gewählt, der Kampf um die Gunst der Stimmberechtigten hat schon begonnen. Die Linksliberalen (SZDSZ), die nach Umfragen um den Einzug ins Parlament bangen müssen, lehnten das Statusgesetz wegen konzeptioneller Vorbehalte und mit dem Hinweis ab, es würde nur noch mehr Probleme verursachen. Die Sozialisten (MSZP) stimmten zwar mehrheitlich für das Gesetz, kritisierten aber ebenfalls einzelne Passagen. Die rechte Opposition, bestehend aus der Ungarischen Wahrheitspartei (MIÉP) unter Führung des Schriftstellers und Dramaturgen István Csurka, stimmte für das Statusgesetz. Für die MIÉP ist die neue Regelung ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur "grenzüberschreitenden Wiedervereinigung der Nation".


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen