© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/01 20. Juli 2001

 
Gefährliche Illusion
Die Integrationsdebatte ist wirklichkeitsfremd und überheblich
Michael Wiesberg

Eine Milliarde Mark jährlich soll die deutsche Gesellschaft nach Auffassung der Ausländerbeauftragten Marieluise Beck aufbringen, damit die Integration der hier lebenden Ausländer verbessert bzw. beschleunigt werde. Beck will damit deutlich mehr als die Süssmuth-Kommission in Integrationsmaßnahmen investieren. Die von Frau Beck behauptete Zahl läßt zwei Deutungen zu. Zum einen, und dies ist bei dieser Politikerin naheliegend, kann diese Summe als Versuch der Zuwanderungslobbyistin Beck gelesen werden, dem eigenen ideologischen Ziel Nachdruck zu verleihen. Also wird nicht gekleckert, sondern geklotzt. Wer eine multiethnische Gesellschaft will – und das wollen eingestandenermaßen inzwischen alle "gesellschaftlich relevanten Gruppen" in Deutschland – soll gefälligst auch die anfallenden Rechnungen begleichen.

Frau Becks Zahlenspiel läßt aber noch eine andere Lesart zu: daß nämlich zunehmend mit Aktionismus die eigene Ratlosigkeit in der Ausländerpolitik überspielt werden soll. Denn trotz aller Anstrengungen ist die Integration insbesondere der Nicht-EU-Ausländer in Deutschland so gut wie gescheitert. Da das Eingeständnis dieses Scheiterns aber einem Tabubruch gleichkäme, wird jetzt die Illusion genährt, daß es nur entsprechend aufgestockter Finanzmittel bedürfte, um das Problem in den Griff zu bekommen.

Dieses Denken paßt sich bruchlos in die Weltfremdheit ein, mit der die Propagandisten der multiethnischen Gesellschaft auf deutschem Boden die Einwanderungsdebatte seit jeher führen. Seit geraumer Zeit konstatieren die klassischen Einwanderungsländer wie die USA oder Kanada, daß statt der gewünschten Anpassung der Einwanderer gegenteilige Phänomene zu beobachten sind, die der Bamberger Bevölkerungswissenschaftler Josef Schmid als "Ethnifizierung" bezeichnet hat. "Einwanderer", so Schmid, "haben zwar das Aufnahmeland zum Ziel, steuern aber die dort schon etablierten Landsleute an, die bei ersten Gehversuchen im Aufnahmeland behilflich sind." Auch wenn dies anfänglich die Integrationskosten begrenzt: entscheidend ist, daß die Staatsprinzipien der offziellen Einwanderungsländer belastet werden, die "die Annahme ihrer Kultur und einen Identitätswandel" vorschreiben.

Die Leitkulturdebatte hat gezeigt, daß das deutsche juste milieu Zuwanderer weder auf die Annahme einer "deutschen Leitkultur" noch auf einen "Identitätswandel" verpflichten will. Kulturanpassung soll auf freiwilliger Basis und im Rahmen des geschäftlich Notwendigen verbleiben. Die Folge: in deutschen Großstädten bilden sich mehr und mehr "Parallelgesellschaften" heraus, die durch Arbeitslosigkeit, kulturelle Nichtanpassung und Jugendverwahrlosung bzw. -kriminalität gekennzeichnet sind. Phänomene, die in Frankreich, den USA und England seit längerem zu beobachten sind und als Konsequenzen der "Ethnifizierung" gedeutet werden. Diese Entwicklung wird in Deutschland, falls nicht entschieden gegengesteuert wird, weder mit fragwürdigen Integrationsmaßnahmen auf Kosten der deutschen Gesellschaft aufgehalten werden können noch mit der geplanten Umwandlung Deutschlands in ein faktisches Einwanderungsland.

Letztere droht aufgrund der "Mischung aus Güte und Überheblichkeit" (Schmid), die die deutsche Zuwanderungsdiskussion kennzeichnet, die Probleme erst recht aus dem Ruder laufen zu lassen. Denn die mit dieser Umwandlung transportierte Suggestion, Deutschland könne per Einwanderungsgesetz aufgrund klar definierter Kriterien darüber entscheiden, wer ins Land kommen könne oder wer nicht, blendet die Realitäten aus. Denn auch in Zukunft werden aufgrund bestehender Gesetze, Abmachungen und Zusagen Jahr für Jahr eine sechsstellige Zahl von ungewollten Zuwanderern aufgrund "humanitärer Gründe" nach Deutschland kommen. Hierunter fallen zum Beispiel Familienangehörige ohne Sprachkenntnisse und berufliche Qualifikationen aus Nicht-EU-Staaten. Daß deren Integration sehr oft scheitert, zeigt nicht nur der ständig steigende Anteil dieser Klientel in der Sozialhilfe- und Arbeitslosenstatistik, sondern auch und gerade die besorgniserregend hohe Kriminalitätsbelastung ihrer Nachkommen in Deutschland.

Das Mittel der Einbürgerung, verstanden als "Integrationsmaßnahme", ist gegen eine derartige Entwicklung stumpf. Auch hier lohnt ein Blick in Richtung Frankreich und England, wo das von hiesigen Multikulti-Euphorikern so angespriesene "Territorialprinzip" anstatt des Abstammungsprinzips Geltung hat. Auch das Territorialprinzip hat Ethnifizierungs-Tendenzen in England und Frankreich nicht verhindern können. Statt dessen kommt es zu einer immer weiter voranschreitenden Inselbildung innerhalb der Gesellschaft. Es könne aber nicht mehr friedlich zugehen, wenn statt anpassungswilliger Individuen wohlorganisierte Volksgruppen ihren Vorteil in Deutschland suchten. Wir bräuchten deshalb, so Schmid, keine Einwanderung, sondern eine Lösung dafür, wie das deutsche Volk überleben soll.

Die Leistung der deutschen Politik, gleich ob Schwarz-Gelb oder Rot-Grün, bestand bisher darin, diese Entwicklungen zu tabuisieren oder zu verdrängen. Das Bild in Deutschland ist daher heute durch das Scheitern der Integrationspolitik, eine alarmierende Zunahme der Kriminalität, die Überstrapazierung des sozialen Netzes und den eklatanten Mißbrauch eines realitätsfernen Asylrechts gekennzeichnet.


 
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