© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/01 13. Juli 2001

 
Ein Stein im Schutzwall
Bis heute wehrt sich Gregor Gysi vehement gegen den Vorwurf, ein Stasi-Spitzel gewesen zu sein
Thorsten Thaler

Wer als Politiker oder Journalist in diesen Tagen behauptet, Gregor Gysi sei Inoffizieller Mitarbeiter (IM) der DDR-Staatssicherheit gewesen, bewegt sich auf dünnem Eis. Der 53jährige Rechtsanwalt und PDS-Spitzenkandidat für das Amt des Regierenden Bürgermeisters von Berlin reagiert sofort mit Einstweiligen Verfügungen, Unterlassungserklärungen und Gegendarstellungen. Die Absicht dieser Strategie liegt auf der Hand: Mit seinem juristischen Feldzug gegen den Stasi-Vorwurf will Gysi sowohl politische Gegner als auch Journalisten einschüchtern und mundtot machen. Bislang hat er damit erstaun-
lichen Erfolg.

So haben sich der Berliner CDU-Spitzenkandidat Frank Steffel und der Ministerpräsident von Thüringen, Bernhard Vogel (CDU), unlängst in außergerichtlichen Unterlassungserklärungen dazu verpflichtet, künftig nicht mehr zu behaupten, Gregor Gysi sei IM der Staatssicherheit gewesen. Eine derartige Aussage hatte Vogel gegenüber dem Mitteldeutschen Rundfunk gemacht, der daraufhin gleich mehrfach eine Gegendarstellung Gysis senden mußte (JF 27/01). Und erst am vergangenen Samstag sah sich das Berliner Boulevardblatt B.Z. aufgrund des Landespressegesetzes gezwungen, eine Erklärung Gysis zu drucken, in der er abstreitet, als Rechtsanwalt in der DDR der Stasi Informationen zugespielt zu haben.

Solche Gegendarstellungen sagen freilich nichts über ihren Wahrheitsgehalt aus. Es kommt allein darauf an, daß sie sich gegen Tatsachenbehauptungen wenden und einer bestimmten juristischen Form genügen. Ob die Gegendarstellung wahr ist, steht auf einem anderen Blatt.

Im Fall Gregor Gysis sind jedenfalls begründete Zweifel angebracht. Seit Anfang 1992 steht der PDS-Politiker in dem Verdacht, als IM "Notar" Zuträgerdienste für die DDR-Staatssicherheit geleistet zu haben. Dieser Verdacht erhärtete sich, nachdem die ehemaligen Bürgerrechtler Bärbel Bohley, Katja Havemann, Freya Klier und Gerd Poppe im Oktober 1994 Auszüge aus ihren Stasi-Opferakten präsentierten und Gysi des Mandantenverrats bezichtigten. Ende Mai 1995 legte dann der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen im Auftrag des Immunitätsausschusses des Bundestages ein Gutachten über Gregor Gysi vor. Darin kommt die Gauck-Behörde zu dem Schluß, daß Gysi jahrelang der Stasi zugearbeitet und Informationen über seine prominenten Mandanten weitergegeben haben soll. In einem Interview mit der taz vom 12. Juni 1995 qualifizierte Joachim Gauck die Stasi-Kontakte Gysis: "Das MfS hat die Zusammenarbeit mit Gysi offensichtlich nicht wie mit einem gewöhnlichen IM gestaltet. (…) Es war ein Arbeitskontakt, der nicht nur die besonderen Möglichkeiten, sondern auch die besonderen Qualitäten dieses Mannes berücksichtigt hat." Gregor Gysi selbst bestreitet bis heute alle Vorwürfe und droht jeden zu verklagen, der ihn als Stasi-Spitzel bezeichnet. Deshalb wird auch die JUNGE FREIHEIT eine solche Behauptung nicht aufstellen.

In auffälligem Widerspruch zu den Einlassungen Gysis steht jedoch auch ein Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages aus dem Jahre 1998 (Drucksache 13/10893). Nach Paragraph 44 b Abs. 2 Abgeordnetengesetz untersuchten und bewerteten die Ausschußmitglieder unter dem Vorsitz des SPD-Abgeordneten Dieter Wiefelspütz den gegen Gsyi bestehenden Verdacht einer Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst der ehemaligen DDR. In seinem Abschlußbericht gelangte der Ausschuß am 8. Mai 1998 mit einer Zweidrittel-Mehrheit – gegen die Stimmen der Vertreter von FDP und PDS – zu der Feststellung, daß eine inoffizielle Tätigkeit Gysis für das Ministerium für Staatssicherheit erwiesen sei.

Wörtlich heißt es in dem Bericht des Immunitätsausschusses: "Dr. Gregor Gysi hat in der Zeit seiner inoffiziellen Tätigkeit Anweisungen seiner Führungsoffiziere über die Beeinflussung seiner Mandanten ausgeführt und über die Erfüllung seiner Arbeitsaufträge berichtet. Er hat sich hierauf nicht beschränkt, sondern auch eigene Vorschläge an das MfS herangetragen. Dr. Gysi hat seine berufliche Stellung als einer der wenigen Rechtsanwälte in der DDR genutzt, um als Anwalt auch international bekannter Oppositioneller die politische Ordnung der DDR vor seinen Mandanten zu schützen. Um dieses Ziel zu erreichen, hat er sich in die Strategien des MfS einbinden lassen, selbst an der operativen Bearbeitung von Oppositionellen teilgenommen und wichtige Informationen an das MfS weitergegeben. Auf diese Erkenntnisse war der Staatssicherheitsdienst zur Vorbereitung seiner Zersetzungsstrategien dringend angewiesen. Das Ziel dieser Einbindung von Dr. Gysi war die möglichst wirksame Unterdrückung der demokratischen Opposition in der DDR."

Nach Erkenntnissen des Ausschusses – die wiederum auf Angaben des Bundesbeauftragten für die Unterlagen der DDR-Staatssicherheit beruhen – war der Rechtsanwalt Gregor Gysi zwischen 1975 und 1989 beim Ministerium für Staatssicherheit in unterschiedlichen Abteilungen registriert. Von diesen verschiedenen Erfassungsverhältnissen will Gysi nichts gewußt haben – eine Behauptung, die der Ausschuß nach Überprüfung der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen für "zweifelsfrei widerlegt" hielt.

Für die ersten Jahre sei eine Zusammenarbeit Gysis mit der für Auslandsspionage zuständigen Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) belegt. Nach Beendigung dieser inoffiziellen Tätigkeit arbeitete Gysi nach Feststellungen des Ausschusses mit der für die Bekämpfung der politischen Opposition zuständigen Hauptabteilung XX/OG, der späteren HA XX/9 des MfS, inoffiziell zusammen.

In dem Abschlußbericht heißt es dazu wörtlich: "Die für Dr. Gysi von 1978 bis 1989 allein zuständigen MfS-Offiziere Lohr und Reuter verwendeten während dieser Zeit der inoffiziellen Zusammenarbeit für Gregor Gysi die Decknamen ’Gregor‘ und ’Notar‘ sowie die IM-Kategorien GMS (Gesellschaftlicher Mitarbeiter für Sicherheit), IMV (IM-Vorlauf), IMS (Inoffizieller Mitarbeiter für Sicherheit) und IM nebeneinander und in verschiedenen Kombinationen. Dem Ausschuß liegen keinerlei Erkenntnisse oder verwertbare Erklärungen vor, daß die verwendeten Decknamen möglicherweise anderen Personen als Dr. Gysi zugeordnet waren."

Nach den Unterlagen stehe fest, daß Gregor Gysi sich mit den ihm zugeordneten MfS-Mitarbeitern Reuter und Lohr "in seiner eigenen und anderen Wohnungen getroffen hat", notierte der Bundestagsausschuß.

Besonders schwer wiegen in dem Bericht die Feststellungen zur Anwaltstätigkeit Gregor Gysis für die bekannten Regimekritiker Robert Havemann, Rudolf Bahro sowie Gerd und Ulrike Poppe. Havemann war wegen systemkritischer Äußerungen 1964 aus der SED ausgeschlossen und von der Humboldt-Universität fristlos entlassen worden. Danach wurde er vom MfS überwacht, erhielt faktisch ein Berufsverbot und stand unter Hausarrest. Von 1979 bis zu seinem Tod im April 1982 wurde er von Gregor Gysi anwaltlich vertreten. Rudolf Bahro war im August 1977 wegen des Verdachts "geheimdienstlicher Tätigkeit" verhaftet und ein Jahr später zu acht Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden. Nach einer Amnestie wurde er 1979 aus der Haft entlassen, kurz danach siedelte er in die Bundesrepublik über. Ulrike Poppe war im Dezember 1983 verhaftet worden und saß wegen "landesverräterischer Nachrichtenübermittlung" sechs Wochen beim MfS in Untersuchungshaft. Bahro und Poppe wurden ebenfalls von Gysi anwaltlich vertreten.

Der Immunitätsausschuß des Bundestages hielt es für erwiesen, daß der Rechtsanwalt Gysi personenbezogene Informationen über seine Mandanten an die Staatssicherheit lieferte. In jeweils mehreren konkreten Fällen habe der Ausschuß eine inoffizielle Zusammenarbeit mit dem MfS nachweisen können, heißt es in dem Abschlußbericht. Die Erklärung Gysis, wonach er ausschließlich mit dem Zentralkomitee der SED Kontakt hatte, wertete der Ausschuß als "nicht stichhaltige Schutzbehauptung". Vielmehr benutzte Gysi seine Anwaltstätigkeit nach Überzeugung des Ausschusses dazu, um im Rahmen seiner inoffiziellen Zusammenarbeit dem MfS Informationen über seine Mandanten zu liefern und Arbeitsaufträge des MfS auszuführen. "Die Überprüfung der verschiedenen Mandatsverhältnisse hat in jedem der genannten Fälle ergeben, daß Rechtsanwalt Dr. Gysi personenbezogene Informationen, Einschätzungen und Bewertungen zu seinen Mandanten an das MfS weitergegeben hat."

Gegen die Ausleuchtung seiner Stasi-Verstrickung durch den Bundestag hat Gysi zweimal das Bundesverfassungsgericht angerufen. Das erste Mal klagte er 1996 gegen das Überprüfungsverfahren, das zweite Mal 1998 gegen die vorläufige Feststellung des Immunitätsauschusses. In beiden Fällen wies das höchste deutsche Gericht die Klagen einstimmig zurück.

Heute ist Gregor Gysi, der im Herbst dieses Jahres Regierungschef in der deutschen Hauptstadt werden will, ein gern gesehener Gast in allen Talkshows dieses Landes. Von den Stasi-Opfern dagegen spricht kaum noch jemand.

 

Bärbel Bohley (Berlin, 1995): Die frühere Bürgerrechtlerin hat ihre eigenen schlechten Erfahrungen mit der Prozeßwut Gregor Gysis gemacht


 
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