© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/01 13. Juli 2001

 
Völkerschaften, hört die Signale
PDS: Das "Eckpunktepapier zur Einwanderung" ist ein Angriff auf die Grundlagen des Gemeinwesens
Matthias Bäkermann

Nach dem Scheitern der Großen Koalition in Berlin ist die PDS durch die Zusammenarbeit mit der SPD in der deutschen Hauptstadt– der neue Senat unter SPD-Führung wurde bereits mit den Stimmen der PDS gewählt – von einem Randphänomen ins Zentrum des Geschehens gerückt. Die Politik der PDS kann schon bald direkt oder indirekt die Politik Deutschlands beeinflussen.

Viel ist von der SED-Vergangenheit der PDS die Rede. Interessanter und brisanter ist es jedoch, sich mit den politischen Leitlinien der Partei auseinanderzusetzen. Welche realpolitischen Vorstellungen hat diese Partei zu den sozialen Krisen der Gegenwart?

Eine Antwort gibt das am 26. Juni 2001 beschlossene "Eckpunktepapier für eine menschenrechtliche Zuwanderungspolitik", welches sich einem der brennendsten gesellschaftlichen Probleme widmet: der Migration in Deutschland.

Rigorose Forderung nach Öffnung der Grenzen

"Die Bundesrepublik ist ein Einwanderungsland." Dies setzt das Papier als Feststellung voran. Die Bundesregierung habe, beklagt die PDS, in der Vergangenheit für die hier schon lebenden zehn Millionen Migranten ein System ausländer- und asylrechtlicher Regelungen geschaffen, welches als hochgradig bürokratisch und willkürlich zu bezeichnen sei und in erster Linie auf Ausgrenzung und Abwehr alles Fremden ziele. Die "rigide Einwanderungsverhinderungspraxis" der letzten Jahrzehnte habe viele Einwanderungswillige in die Illegalität getrieben, um dort Zielscheibe skrupelloser Ausbeuterstrategien zu werden. Diese Migrantengruppe wird im PDS-Papier als "Illegalisierte" bezeichnet, um darauf hinzuweisen, daß nicht die Normverletzung, sondern die gestellte Norm der verurteilenswerte Faktor ist.

Das Eckpunktepapier gibt einen Überblick der aktuellen Debatte aus Sicht der PDS. "Seit dem letzten Jahr deutet sich ein gesellschaftlicher Stimmungswandel an. Der massive Druck der Wirtschaftsverbände auf die Regierung, den Anwerbestopp für ausländische Arbeitnehmer zu lockern und gezielte Anwerbungen zu ermöglichen, hat zu einer relativ breiten gesellschaftlichen Einwanderungsdebatte geführt. Jedoch wird säuberlich unterschieden zwischen ’nützlichen‘ und ’unnützen‘ Migranten. Für die ’Nützlichen‘ gibt es jetzt die ‘Green Card‘, die Computerspezialisten mit Hochschulabschluß oder einem Mindestjahresgehalt von 100.000 Mark einen fünfjährigen Aufenthalt gewährt. (...) Als ’unnützlich’ gelten zumindest bei CDU/CSU Asylbewerber und ’illegale‘ Einwander. Deshalb wird die Union – zum Teil mit Unterstützung von SPD-Politikern – auch nicht müde, weitere Verschärfungen des Asylrechts zu fordern. Die Trennung nach dem Aschenputtel-Motto (Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen) wird durch die Vorschläge der von der Bundesregierung eingesetzten Unabhängigen Kommission Zuwanderung unter Leitung der früheren Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth zu einer neuen Norm erhoben."

Die Antwort der PDS auf diese gesellschaftliche Problematik ist die rigorose Forderung nach "offenen Grenzen für Menschen in Not". Diese werden definiert als "Menschen, die um Gesundheit, Leben und Freiheit fürchten müssen, wenn sie in ihr Herkunftsland zurückkehren müssen. Sie brauchen hier Schutz und Aufnahme. Deshalb verteidigen wir das individuelle Grundrecht auf Asyl und fordern die Ausweitung des Asylrechts etwa auf nicht-staatliche und geschlechtsspezifische Verfolgung." Diese Beschreibung der Notsituation ist weitestgehend Bestandteil der geltenden Asylgesetzgebung, jedoch ist die Ausweitung auf ein individuelles Asyl-Grundrecht bei "nicht-staatlicher", das hieße privater oder krimineller Verfolgung, und geschlechtsspezifischer Verfolgung in keinem Falle bei Asylbewerbern kontrollierbar und würde faktisch jede Anwendung einer Asylbewerberkontrolle und -auswahl seitens des Gastgeberlandes konterkarieren. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, daß auch die SPD und die Süssmuth-Kommission diesen Punkt befürwortend in die Asyldebatte aufgenomen haben. Die Anwendung dieser Regelungen würde zudem erschwert durch die zusätzliche Forderung der PDS, dem Staat jede verwaltungsbezoge Kontrolle der Asylbewerber zu entziehen, indem "... die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes, der Residenzpflicht, der Abschiebehaft und der sogenannten Flughafenregelung" gefordert wird. Die Zielvorgabe sei die "Verwirklichung von Freizügigkeit für alle Menschen als langfristiges Ziel, (...) als Vision von einer Weltgesellschaft, in der die Menschen sich frei ihren Lebensmittelpunkt wählen können und überall die Chance auf Existenzsicherung in Würde haben."

Freizügigkeit für alle Menschen als Ziel

Als zukünftiges Gesellschaftsmodell in Deutschland wird demzufolge angeführt: "Das hat für das Staatsverständnis der Bundesrepublik tiefgreifende Auswirkungen. Es muß Abschied nehmen von der Vorstellung, das bundesdeutsche Volk sei ein homogenes, das sich allein aus seiner Abstammung definiert. Es muß sich weiter entwickeln zu einem demokratischen Verständnis, das alle BewohnerInnen dieses Landes als Bürgerinnen und Bürger mit gleichen Rechten begreift. Dazu brauchen wir ein weiter modernisiertes Staatsangehörigkeitsrecht, das die Einbürgerung wesentlich erleichtert und Doppelstaatsangehörigkeiten zuläßt. Dazu brauchen wir ein Niederlassungsrecht, das nicht-deutschen Staatsangehörigen mit Dauerwohnsitz hier die gleichen Rechte zuerkennt."

Konkret setzt sich das Eckpunkte-papier aus folgenden Forderungen zusammen:

?? "Offene Grenzen für Menschen in Not". Flüchtlingsschutz sei nicht quotierbar und gelte für politisch Verfolgte und andere Opfer von Menschenrechtsverletzungen wie auch für Flüchtlinge aus extremen Notsituationen. Gerade diese "extremen Notsituationen" werden in keiner Form definiert oder qualifiziert, was den Personenkreis der potenziellen Flüchtlinge nur schwer charakterisiert und nicht eingrenzt. Die Gefahr müsse ernsthaft bestehen, "allerdings sind hieran keine übertriebenen materiellrechtlichen Anforderungen von seiten der Behörden und Gerichte zu stellen. Angesichts der in Rede stehenden hohen Schutzgüter muß im Zweifel für das Bleiberecht des Betroffenen entschieden werden". Die Umsetzung dieser Asylpolitik wird in der Legislativen, Judikativen und Exekutiven wie folgt angestrebt: "Die PDS wird einstweilen den ’Asylkompromiß‘ von 1993 nicht rückgängig machen können, da eine entsprechende Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat nicht erkennbar ist. Gleichwohl sind wesentliche Änderungen auch auf einfachgesetzlicher Ebene möglich. Dies betrifft vor allem das ’Aufweichen‘ der strikten Drittstaatenregelung durch eine Übernahme von Vorschlägen der Europäischen Kommission, nach denen die Drittstaatenvorschrift in Form einer im Einzelfall widerlegbaren Regelvermutung gestaltet werden soll. (...) Ebenso muß die Verfolgung aufgrund der geschlechtlichen oder sexuellen Orientierung als asylbegründend anerkannt werden. Daß auch Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure politische Verfolgung sein kann und einen Schutzanspruch auslöst, entspricht einer weit verbreiteten internationalen Auffassung und der Rechtsprechung etwa des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Wegen der Völkerrechtsblindheit deutscher Gerichte einschließlich des Bundesverwaltungsgerichts muß eine entsprechende gesetzliche Klarstellung erfolgen." Das "Anerkenntnisverfahren" müsse nach Aussage der PDS nicht vom Mißtrauen, sondern vom prinzipiellen Wohlwollen gegenüber den Antragstellenden gestaltet werden.

?? Familiennachzug und völkerrechtliche Ansprüche, die eine Neuorientierung und Erweiterung der bestehenden Konventionen umfassen. Damit wird primär die Forderung unterstrichen, in bezug auf Nachzug den Terminus "Familie" nicht auf die klassische Kernfamilie zu beschränken, sondern "auf alle Angehörigen auszudehnen, zu denen eine engere Bindung besteht. Gleichgeschlechtliche sind wie verschiedengeschlechtliche Lebenspartnerschaften zu behandeln." Worin die "engere Bindung" besteht, wird nicht eingegrenzt beziehungsweise überhaupt nicht erklärt. In der Praxis hieße das, ein berechtigter Familiennachzug könnte bei einer anerkannten Person auch auf einen familiären Großverband wie Sippe oder Clan ausgedehnt werden. Eine auch in den Herkunftsländern übliche Rechtsform, wie zum Beispiel Ehe oder auch direkte Nachkommenschaft, wird als Nachzugskriterium nicht mehr eingefordert, da mit dem Wort "Lebenspartnerschaft" bewußt eine Rechtsverbindlichkeit ausgeschlossen wird.

?? "Legalisierung der ’Illegalisierten’". Um die sich momentan in Deutschland aufhaltenden illegalen Einwanderer nicht zu kriminalisieren, solle eine generelle Legalisierung des Aufenthaltsrechtes erfolgen. Dies müsse auch für Migranten ohne Papiere gelten. Die Abschiebehaft sei grundsätzlich abzuschaffen.

Abschied von der Fiktion des homogenen Staatsvolkes

???"Einwanderung". "Wir wollen klare und transparente Rechtsansprüche auf Einwanderung schaffen und nicht zwischen ’nützlichen‘ und ’unnützen‘ Einwandernden unterscheiden. Leitbild unserer einwanderungspolitischen Konzeption ist das Recht der Einzelnen auf Zugang in die Bundesrepublik Deutschland, mit dem Ziel, hier auf Dauer oder befristet einzuwandern." Die Arbeitsgenehmigungspflicht sei ebenso wie die Bevorrechtigtenregelung laut Sozialgesetzbuch III (Arbeitsförderungsgesetz) abzuschaffen. Die Migranten dürften nicht gegenüber den Einheimischen benachteiligt werden. Bei einer Einwanderung zum Zweck der Arbeitssuche müßten die Migranten nachweisen, daß sie ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können. Dieser Passus wird im PDS-Papier jedoch einen Satz später modifiziert, indem den Arbeitssuchenden von der öffentlichen Hand bereitgestellte Unterstützungen zugänglich gemacht werden sollte. Die Arbeitssuche dürfte jedoch den Zeitraum von sechs Monaten nicht überschreiten, die Zeit von staatlicherseits zu stellenden Sprach- und "Gesellschaftskursen" sei hierbei nicht einzubeziehen. Nach diesen sechs Monaten müsse der arbeitssuchende Migrant wieder ausreisen. "Zur Förderung der freiwilligen Ausreise werden Unterstützungen geleistet, um Illegalität und Zwangsmaßnahmen zu vermeiden. Dazu zählen das Recht auf jederzeitige Wiedereinreise und die Aufnahme in die Arbeitssuchenden-Dateien der Bundesanstalt für Arbeit."

In diesem Punkt steht dem Eckpunktepapier ein innerparteiliches Minderheitenvotum der PDS-Bundestagsfraktion gegenüber, das unter anderem von Ulla Jelpke, Heinrich Fink und Angela Marquardt unterzeichnet wurde und generell eine weitere Liberalisierung des Papiers fordert. In diesem Votum wird keine zeitliche Beschränkung arbeitssuchender Migranten gefordert, da vor dem Hintergrund der hohen Arbeitslosigkeit in Deutschland sechs Monate zu knapp bemessen seien. Außerdem sei die Unterstützungszahlung auch auf in Deutschland arbeitssuchende EU-Bürger auszudehnen. Grundsätzlich solle der Faktor Arbeitssuche jedoch nicht verbindlich für die Einwanderung sein, es müsse auch ein "individueller Grund" ausreichen. Dieser Einwanderungsgrund wird von der Gruppe des Minderheitenvotums aber nicht weiter erläutert.

?? "Niederlassung". "Wer als nicht-deutscher Staatsangehöriger dauerhaft in der Bundesrepublik Deutschland lebt, erhält die gleichen Rechte wie Menschen mit deutschem Paß. Auf die Einwanderung folgt die Niederlassung. Diese vollzieht sich in einem mehrjährigen Prozeß. Als Vorstufe zur Niederlassungsberechtigung gilt die Aufenthaltserlaubnis. (...) Es gibt die unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die auf Wunsch nach drei Jahren automatisch in der Niederlassungsberechtigung mündet, und es gibt die befristete Aufenthaltserlaubnis. (...) Die Niederlassungsberechtigung gewährt Bürgerinnen und Bürger ohne deutschem Paß nach Maßgabe des verfassungsrechtlich Möglichen wie deutschen Staatsangehörigen die vollen Bürgerrechte, auch das volle aktive und passive Wahlrecht und die freie Berufswahl." Die im PDS-Papier gemachte Unterscheidung zwischen diesen Stufen der Aufenthaltserlaubnis ist allerdings so beliebig, daß Angehörige der befristeten Stufe jederzeit durch Selbstdeklarierung ihren Status in die unbefristete Stufe verbessern könnten.

???"Integration". "Integration ist ein zweiseitiger Prozeß, der bereits hier lebende und einwandernde Menschen gleichermaßen fordert.Voraussetzung dafür ist, daß Migrantinnen und Migranten die gleichen politischen Rechte wie deutsche Staatsangehörige erhalten und daß verschiedene Lebensstile und Kulturen in der Gesellschaft als gleichwertig akzeptiert und toleriert werden. Soll der Integrationsprozeß erfolgreich verlaufen, muß die deutsche Mehrheitsgesellschaft deshalb endgültig Abschied nehmen von der Fiktion eines homogenen Staatsvolks und eines völkischen Staatsverständnisses, in dem nur die ’Abstammungsdeutschen‘ definieren, was ’deutsche Kultur‘, was akzeptierter Lebensstil ist und indem abweichende Verhaltensweisen und Kulturen als Bedrohung empfunden werden. Wir brauchen die Interkulturalität der Kulturen ..."

???"Institutionelle Umsetzung". Für die Strukturierung der Kompetenzen innerhalb der Migrationspolitik fordert die PDS ein Bundesamt für Migration.

Fazit: Die PDS berücksichtigt weder die sozialen noch die fiskalischen Folgen ihrer verantwortungslosen Einwanderungspolitik, denn eine unbegrenzte Aufnahme von Migranten könnte bei der heutigen weltweiten Mobilität kein Staat verkraften. Ferner erklärt die PDS klipp und klar, daß sie den Kern der jetzigen Verfassung (Definition des Souveräns deutsches Volk) aushebeln und dazu die Einwanderung instrumentalisieren will. Daß sie wie beim gescheiterten Experiment des Realen Sozialismus wieder die Interessen der Menschen ihrer Ideologie unterordnet, spricht für ihren Sinn für politische Kontinuität.


 
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