© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/01 13. Juli 2001

 
Mit Leibwächter durch die Hintertür ins Rathaus
Hessen: In der Landeshauptstadt ist Ex-Republikaner Hans Hirzel Zünglein an der Waage / Rot-Grün schwingt die "Faschismuskeule"
Moritz Schwarz

Blanker Zorn schlug am vergangenen Freitag den Stadtverordneten von CDU und FDP im Stadtrat der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden von seiten der Grünen entgegen. Eine christlich-liberale Koalition hatte alle fünf amtierenden rot-grünen Dezernenten abgewählt. Möglich geworden war der schwarz-gelbe Coup durch den parteilosen Abgeordneten Hans Hirzel, dessen Stimme das Patt zwischen CDU und FDP auf der einen Seite sowie SPD und Grünen auf der anderen knapp vier Monate nach der Kommunalwahl am 18. März dieses Jahres durchbrach.

Hirzel, bekannt als Mitglied der Widerstandsgruppe "Weiße Rose" , war als einer von vier Abgeordneten der Republikaner 1997 in den Wiesbadener Gemeinderat gewählt worden. Wegen seiner Parteimitgliedschaft war er vor allem von der CDU bislang politisch geschnitten worden. Als Hirzel nun Ende Mai allerdings aus der Partei austrat (JF berichtete), eröffnete sich für CDU und FDP endlich die Chance, mit Hilfe seiner Stimme in Wiesbaden an die Macht zu gelangen. Hirzel hatte die Partei aus Entsetzen über die Reaktion des Republikaner-Vorsitzenden Rolf Schlierer auf die desaströse Wahlniederlage der Partei bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg im März verlassen. Dort hatten die Republikaner trotz günstiger Prognosen mit 4,4 Prozent den erneuten Einzug in den Stuttgarter Landtag verfehlt.

SPD und Grüne liefen Sturm, als nun ihre Macht im Rathaus mit Hilfe eines ehemaligen Republikaners gebrochen werden sollte. Schon Tage zuvor hatten sie über den "Tabubruch" geklagt und mit Verweis auf Hirzels angeblichen Rechtsradikalismus sogar versucht, ein Machtwort von FDP-Landeschefin Ruth Wagner zu ihren Gunsten zu erwirken. Auch die aus Hessen stammende SPD-Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul versuchte vergeblich, von Berlin aus den Vorgang zu verhindern. Die Grünen hatten die Stimmung in der Stadt gegen Hirzel bis zum vergangenen Freitag derart angeheizt, daß sich seine neuen Kooperationspartner gezwungen sahen, Hirzel mit Hilfe einiger Leibwächter durch die Hintertür ins Rathaus zu schmuggeln. Die Proteste vor dem Wiesbadener Rathaus blieben dann allerdings hinter den Befürchtungen zurück, dennoch war sicherheitshalber die Polizei aufmarschiert. Den Vorgang im Plenum, dem die SPD-Fraktion aus Protest ferngeblieben war ("Das ist eine Schande für unsere Stadt"), bezeichnete die Lokalpresse als "Schmierenstück" und "schwarz-braun-gelbe Abwahl-Orgie".

Keinerlei Bestätigung der Vorwürfe gegen Hirzel

Den eigentlichen Skandal hat allerdings der Wiesbadener Kurier zu verantworten. Nicht nur, daß trotz des Wissens darum, daß Hans Hirzel im Widerstand gegen Hitler sein Leben riskiert hatte, er auf seinen Seiten mehrfach als "braun" bezeichnet worden war. Der Kurier hatte zudem am Tag vor dem Auftritt Hirzels zusammen mit CDU und FDP den Verdacht lanciert, Hirzel habe die Geschwister Scholl 1943 an die Gestapo verraten und damit deren Verhaftung und Hinrichtung herbeigeführt. Bereits im April hatte der Leiter der Berliner Gedenkstätte Deutscher Widerstand diese "Vermutung" geäußert (JF berichtete). Bis heute hat Peter Steinbach diese "Vermutung" weder zurückgenommen noch zu belegen versucht. So bietet sie in ihrem unangreifbaren Schwebezustand eine willkommene Möglichkeit, den national-patriotischen Widerstand gegen Hitler in der Gestalt Hans Hirzels bei Bedarf jederzeit zu desavouieren, wie die JF schon kurz nach Bekanntwerden des Vorwurfes warnte.

Tatsächlich bediente sich nun der Wiesbadener Kurier wie auf Bestellung dieser Möglichkeit. Am Tag vor der Abstimmung streute er bereits das Gerücht, und ausgerechnet tags darauf, obwohl der Vorwurf Steinbachs schon über zwei Monate zurücklag, berichtete der Kurier ausführlich unter den einleitenden Worten, der Vorwurf gegen Hirzel sei nun "konkretisiert". Dabei war nichts zur Sprache gekommen, was nicht schon seit Jahrzehnten bekannt ist und von Hirzel stets bestätigt wurde. Der Hauptvorwurf lautet, Hirzel habe Sophie Scholl an die Gestapo in Ulm verraten. Tatsächlich hatte er ihren Namen zwar genannt, doch lediglich weil er wußte, daß der Ulmer Diensstelle der Name bereits bekannt sein mußte. Durch das bereitwillige Nennen des Namens in Verbindung mit einer plausiblen Ausrede hatte er, wie er im Interview mit der JUNGEN FREIHEIT dargestellt hat (JF 28/01), den Verdacht von Sophie abgelenkt. Und in der Tat hatten die Ulmer ihren Münchner Kollegen nichts von einer Sophie Scholl gemeldet. Die Weiße-Rose-Stiftung in München hatte Hirzel sofort gegen solch einen Vorwurf in Schutz genommen.

Die Gedenkstätte Deutscher Widerstand ist bis heute eine Antwort auf die Anfrage der JUNGEN FREIHEIT um klärenden Erläuterung, worauf sich ihre "Vermutung" stütze, schuldig geblieben. Der Wiesbadener Kurier holte immerhin auch eine Stellungnahme Hirzels ein. Nachdem die Abwahl der rot-grünen Dezernenten trotz allen "Störfeuers" (Hirzel) nicht verhindert werden konnte, berichtete auch der Wiesbadener Kurier bislang mit keiner Silbe mehr von dem Vorwurf gegen Hirzel.


 
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