© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/01 13. Juli 2001


Hannelore Kohl
Einfach die Wahrheit sagen
Angelika Willig

Staunen, Entsetzen, Trauer überall in Deutschland" verbreiteten seit Mitte letzter Woche die Zeitungen. Bis hin zum aktuellen Spiegel-Titel spricht alles vom Tod der Hannelore Kohl. Die Erschütterung ist nicht zu übersehen – doch woher kommt sie?

Hannelore Kohl war seit über 40 Jahren die Ehefrau des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl und Mutter seiner beiden Söhne. In der Öffentlichkeit wirkte sie freundlich und beherrscht. Der Spiegel legt das, wie vorauszusehen, als weibliche Unterordnung aus. Dabei hatte Frau Kohl ganz andere Sorgen als eine verspätete Emanzipation. Seit acht Jahren litt sie an einer äußerst schmerzhaften und zunehmenden Licht-Allergie. Aus Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung darüber nahm sie sich Mittwoch letzter Woche das Leben.

Dies erklärt das Staunen und Entsetzen, aber auch das Interesse der Öffentlichkeit. Wohl noch nie hat ein Mann in der Position Helmut Kohls den Selbstmord eines nahen Angehörigen so rasch und offen zur Kenntnis gebracht. Ohne jeden Versuch, zu beschönigen und zu vertuschen, ohne die verschleiernden Vokabeln, die bis zur kurzem noch in jeder Durchschnittsfamilie in solchem Fall üblich waren. "Hannelore Kohl hat sich nach schwerer Krankheit das Leben genommen." So einfach und klar kam es aus dem Berliner Büro des Altkanzlers. So klar läßt sich sagen, was früher als "Schande" und "Sünde" hinter vorgehaltener Hand weitergetratscht worden wäre. Das Licht, das die Kranke nicht vertragen konnte, im Tod wenigstens wirkte es heilsam.

Wenn wir von dieser Tat erfahren, klingt es anders als bei den sogenannten Tabubrüchen, die heute glanzvoll inszeniert werden. "Ich bin schwul", bekannte der Politiker Klaus Wowereit kürzlich geradezu triumphierend. Es gibt viele, die ihm zu seiner Ausrichtung gratulieren. Die wachsende Offenheit hat aber auch eine dunkle Seite. Dafür steht der Name Hannelore Kohl. Im abgedunkelten Raum mußte sie zuletzt existieren und stand ständig unter starken Schmerzmitteln. Diese Schilderungen aus dem Bungalow in Oggersheim verfolgen viele Menschen, die vor zwei Wochen nicht einmal den Namen Oggersheim gekannt hätten. Wer die letzten Tage und Stunden vor einem solchen Ende nachvollzieht, wird sich leicht die wohltätigen Lügen von früher zurückwünschen. Doch Diskretion geht nicht mehr. Und das Prinzip "Outing" gilt nicht nur für rosige Zeiten.

Das Wagnis, das Helmut Kohl mit seiner Offenheit einging, ist geglückt. Die Verstorbene steht im Mittelpunkt des Interesses – doch es ist keine Sensationsgier und auch keine Häme. Bei vielen ist in den zurückliegenden Tagen eine Verbundenheit entstanden, als ob es sich bei Frau Kohl um eine nahe Verwandte handle. Viele denken auch an sich selbst, und wie sie mit einem Grauen fertigwürden, das jederzeit jeden von uns treffen und vernichten kann. Nach langem schweren Leiden setzte Hannelore Kohl ihrem Leben selbst ein Ende. Und das hat sie richtig gemacht.


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