© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/01 06. Juli 2001

 
BLICK NACH OSTEN
Salzburger Zeitmaschine
Carl Gustaf Ströhm

In puncto Lebensgefühl und Weltsicht bestehen zwischen Westeuropäern und den ehemals kommunistisch beherrschten Nationen noch tiefe Gegensätze, um nicht zu sagen Abgründe. Das zeigte sich am Rande des Salzburger Weltwirtschaftsforums, zu dem hauptsächlich Regierungschefs und Politiker aus Mittel- und Osteuropa nach Österreich angereist waren.

Am Rande des Treffens, durch das die schöne Stadt Salzburg in eine belagerte Festung mit Tausenden von Polizisten, kreisenden Hubschraubern, Panzerspähwagen und scharfen Schäferhunden verwandelt wurde, demonstrierten und randalierten die üblichen Krawallmacher. Pflastersteine flogen, ein Polizist wurde schwer verletzt, ein Dutzend Demonstrierer wurde festgenommen. Es war nicht so schlimm wie jüngst in Göteborg – aber immer noch schlimm genug.

Angesichts der Gewaltszenen, die sich nahe dem Kongreßzentrum abspielten, meinte Estlands Premier Mart Laar, wenn er die roten Fahnen der Demonstranten sehe, wünsche er sich eine "Zeitmaschine", mit der man diese Roten dorthin expedieren könne, wo sie hingehörten: nämlich ins Sowjet-Imperium.

Wenn man sich an Laars Wunsch halten will, müßte man allerdings nicht nur die nach Salzburg angereisten Protestierer, sondern etwa auch Kanzler Gerhard Schröder und große Teile der SPD in diese "Zeitmaschine" stecken – denn die sind drauf und dran, die PDS in Deutschland politisch salonfähig zu machen.

Einem Gast aus Mittel- oder Osteuropa, der in diesen Tagen Berlin besucht, fällt als erstes die große Zahl kommunistischer Straßennamen und sowjetischer Denkmäler auf, die die "Wende" überstanden haben. Von Liebknecht bis Luxemburg, von Reichpietsch bis Zetkin – bis hin zu Marx und Engels höchstpersönlich ist da alles vertreten, was der "roten Reichshälfte" lieb und teuer ist. In Budapest dagegen – um nur ein Beispiel zu nennen – haben die Ungarn alle kommunistischen Denkmäler abgebaut und die einst nach kommunistischen Größen benannten Plätze und Boulevards wieder nach Königen oder anderen traditionellen Persönlichkeiten "zurückgetauft". Einen T34-Panzer, wie er heute am Sowjetdenkmal unweit des Brandenburger Tors steht, haben die Tschechen in Prag 1990 mit rosa Farbe bemalt und mit der Inschrift "Es lebe General Wlassow!" versehen, bevor sie ihn abbauten. Wlassow war ein Sowjet-General, der im zweiten Weltkrieg auf deutscher Seite eine "Russische Befreiungsarmee" gegen den Kommunismus aufstellte. Offenbar will niemand in Ost- und Mitteleuropa heute an sowjetische "Befreier" erinnert werden – mit Ausnahme der Deutschen, die ihre Niederlage zutiefst verinnerlicht haben.

Nun mag man einwenden, dies alles sei doch Schnee von gestern. Jetzt gelte es in die Zukunft zu blicken: auf Globalisierung und Integration. Gerade hier aber zeigt sich, daß erstens der Mensch nicht vom Brot allein lebt – und daß zweitens der Teufel im Detail steckt. Die kleinen (im Falle des Baltikums) oder mittelgroßen (im Falle Polens) Völker des Ostens suchen nach Sicherheit und klammern sich an EU und Nato. Die bequem gewordenen "Alt-Europäer" betrachten die Neuankömmlinge als lästig und wischen deren Erfahrungen und Befürchtungen nonchalant vom Tisch. Wie es in Not geratenen "Kleinen" ergehen kann, erlebte jetzt die mazedonische Außenministerin Ilinka Mitreva, die auf demütigende Art in Brüssel Spießruten laufen mußte. Letztlich wird auch die Auslieferung des Slobodan Milosevic die Emotionen eher anheizen als beruhigen. Es gibt viele Kandidaten für Mart Laars Zeitmaschine.


 
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