© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/01 06. Juli 2001


Keine Instabilität zu befürchten
Montenegro: Der Unabhängigkeitsbefürworter Miodrag Vlahovic kritisiert die Balkan-Politik von Nato und EU
Carl Gustaf Ströhm

In Montenegro – bis 1918 selbständige Monarchie – herrscht bei den nationalen Kräften, die eine Unabhängigkeit von Belgrad anstreben, tiefe Enttäuschung über den Westen. Man beschuldigt Amerikaner und Westeuropäer, seit dem Sturz Slobodan Milosevics voll auf die "großserbische" Karte zu setzen. Anläßlich einer Zagreber Konferenz zum Thema "Nato und EU in Südosteuropa" sprach JF-Mitarbeiter Carl Gustaf Ströhm letzte Woche mit dem Direktor des Zentrums für regionale Sicherheitsstudien in der Hauptstadt Podgorica, Miodrag Vlahovic. Das Gespräch mit einem einflußreichen montenegrinischen Politiker und Wissenschaftler, der 1999 zum Vorsitzenden einer parteiunabhängigen Plattform gewählt wurde, welche die Unabhängigkeit Montenegros zum Ziel hat, zeigt zum ersten Mal das Ausmaß dieser enttäuschten Hoffnung und die Gefährlichkeit westlicher Fehleinschätzungen.

Herr Vlahovic, Sie stehen der Montenegro-Politik des Westens neuerdings sehr kritisch gegenüber. Was mißfällt Ihnen?

Vlahovic: Der Westen – der Standpunkt der USA unterscheidet sich nicht wesentlich von jenem der EU – erwartet von Montenegro den Verzicht auf grundlegende verfassungsmäßige und legitime Rechte. Das Streben Montenegros nach Unabhängigkeit wird als negativ, destruktiv und einseitig kritisiert. Statt dessen verlangt der Westen von uns, wir sollten einen Dialog mit Serbien beginnen. Auch das Resultat dieses Dialogs steht fest, so will es jedenfalls der Westen – bevor er überhaupt begonnen hat: Man will eine Lösung des Problems Montenegro innerhalb einer "erneuerten" föderativen Struktur der Bundesrepublik Jugoslawien.

Was geschieht, wenn sich die Regierung und die Parlamentsmehrheit Montenegros dieser Forderung widersetzen?

Vlahovic: Dann riskiert Montenegro, jegliche westliche Hilfe und Unterstützung zu verlieren, die wir dringend benötigen. Denn unser Land ist zwar de facto unabhängig, aber da es formal immer noch ein Teil der Bundesrepublik Jugoslawien ist, haben wir kein Recht, uns an den Internationalen Währungsfonds, die Weltbank oder die Europäische Bank für Wiederaufbau zu wenden.

Wie bewertet man in Montenegro diese westliche Haltung?

Vlahovic: Diese westliche Haltung wird in der breiten Öffentlichkeit als offene und direkte Unterstützung der proserbischen Kräfte verstanden. Wenn bei bilateralen Verhandlungen der Standpunkt der einen Seite in kontroversen Fragen von Anfang an begünstigt wird – in diesem Fall durch die westliche Politik und die Medien –, dann können solche Verhandlungen sehr leicht mit einer Art von Bestrafung der einen Seite enden, die in diesem Falle – nehmen wir etwa Montenegro gegenüber Serbien – die schwächere ist.

Wie interpretieren Sie den Ausgang der jüngsten Parlamentswahlen in Montenegro, die den Unabhängigkeits-Kräften nicht ganz den erhofften Erfolg brachten?

Vlahovic: Das Wahlresultat hat deutlich gezeigt, daß die europäische und amerikanische Haltung das Ergebnis ganz eindeutig beeinflußt hat. So ist in einer Situation, in der die Parteien, welche für die Unabhängigkeit eintreten, 54 Prozent der Stimmen erhielten, eine Pattsituation entstanden. Das alles könnte mit vorzeitigen Neuwahlen enden.

Wie ist Montenegros Verhältnis zu Serbien nach dem Sturz von Milosevic?

Vlahovic: Aus Serbien erhält Montenegro widersprüchliche Signale. Es gibt Forderungen nach einer sofortigen Klärung der staatlichen Position Montenegros, da Serbien nicht zu lange darauf warten könne, bis der innere Dialog ein Resultat produziere. Andererseits aber stellt Belgrad fest, daß es nichts zu verhandeln gebe. Man müsse lediglich die jugoslawische Bundesverfassung neu formulieren – beginnend mit der Eliminierung der Veränderungen, die von der Milosevic-Regierung im Juli 2000 erzwungen wurden.

Welchen Standpunkt vertreten die montenegrinischen Unabhängigkeitskräfte gegenüber Belgrad?

Vlahovic: Es liegt in der Logik des offiziellen montenegrinischen Standpunktes, zwei unabhängige Staaten zu haben, die durch spezifische Verbindungen und supranationale Strukturen miteinander verbunden sind – vor allem auf dem Gebiet der Verteidigung und der Außenpolitik. Diese zwei Staaten bilden also einen Staatenbund sui generis, weil Montenegro 15mal kleiner ist als sein serbischer Partner – sofern man Kosovo nicht mitzählt. Aber Serbien und Belgrad sehen das alles aus einem ganz anderen Gesichtswinkel. Die Serben sagen uns: Aut foederatio – aut nihil – entweder eine Föderation oder gar nichts. Man brauche keine besonderen Beziehungen oder Bindungen. Sollte Montenegro nur ein weiterer Nachbarstaat Serbiens sein, würde ihm sogar der Zugang zum serbischen Markt versperrt und man würde montenegrinische Waren mit hohen Zöllen belegen, so wie bei jedem anderen fremden Staat. Der Vorschlag Montenegros bedeutet, daß die Verbindungen zwischen beiden Republiken bestehen bleiben, daß wir die Basis für einen gemeinsamen Markt haben – als eine Vorbedingung für den Prozeß der Versöhnung und der Wiederherstellung der Kooperation zwischen den Republiken und Nationen Ex-Jugoslawiens. Vor allem: Serbien wird dann einen Zugang zum Meer über Montenegro haben, auch dann, wenn wir unabhängig werden. Es liegt im Interesse Montenegros, dem Kontinent einen Zugang zum Meer zu ermöglichen. Der Standpunkt Serbiens unterscheidet sich klar von unserer Position: Dort spricht man eine ultimative Sprache, die an traditionelle Emotionen appelliert und bei großen Teilen der Bevölkerung Montenegros Ängste und Unsicherheit auslöst.

Wie erklären Sie sich, daß der Westen, der in der Milosevic-Ära das Unabhängigkeitsstreben Montenegros wohlwollend unterstützte und ermutigte, seit dem Machtwechsel in Belgrad seinen Standpunkt geändert hat?

Vlahovic: Das gegenwärtige serbische Konzept, das mit dem Standpunkt Montenegros unvereinbar ist, wird von der internationalen Staatengemeinschaft begünstigt. Die Ursache für diese Haltung der EU und der USA hat aber eigentlich nicht viel mit Montenegro und seinen langfristigen Beziehungen zu Serbien zu tun. Es gibt da eine verschwommene, unklare Furcht, daß eine politische Krise in Montenegro eskalieren und die ganze Region in Mitleidenschaft ziehen könnte. Aus Angst vor diesem Domino-Effekt ist der Westen gegen eine Unabhängigkeit Montenegros. Das Feuer größerer und kleinerer Konflikte würde sich über die ganze Region verbreiten, meint man im Westen. Was Montenegro betrifft, glaube ich nicht, daß dies eine realistische Perspektive ist. Mit dem Verschwinden von Milosevic hat sich die Kapazität interner politischer Konflikte in unserem Land, die durch Serbien – so wie dies vor acht Jahren geschah – angefacht werden könnten, weitgehend erschöpft.

Was macht der Westen falsch bei Ihnen?

Vlahovic: Der Westen unterstützt heute in Montenegro jene Kräfte, die in den letzten zehn Jahren unserer Geschichte ergebene Bundesgenossen der Kriegspolitik von Milosevic in Ex-Jugoslawien waren. Er unterstützt die Anhänger des Nationalchauvinismus und der ethnischen Säuberungen. Die bedingungslose westliche Unterstützung einer Erhaltung der sogenannten Bundesrepublik Jugoslawien bedeutet, daß die fremdenfeindlichen, antiwestlichen Parteien und deren Politiker vom Westen in Montenegro bevorzugt werden. Diese Kräfte wiederum, die als die "pro-serbischen" Parteien in Montenegro bekannt sind, können nicht und werden nicht Demokratie sowie den Respekt vor individuellen und kollektiven Menschenrechten oder gar Wohlstand nach Montenegro oder in unsere ganze Region bringen, im Gegenteil, ihr Daseinszweck war und ist es, sogenannte "reine" Nationalstaaten und die Ideologie der Segregation zu fördern. Auf dem Balkan haben wir heute eine deja-vu-Situation. Die atypische montenegrinische Situation – untypisch, weil, anders als anderswo auf dem Balkan, die ethnischen Minderheiten die Idee der Unabhängigkeit unterstützen – wird vom Westen nicht verstanden und nicht gefördert. Im Gegenteil, der Prozeß der Reformen und der Demokratisierung in Montenegro wird durch den Westen geschwächt. Es besteht die Gefahr, daß er ganz gestoppt wird und die Entwicklung sich umkehren wird, weil der Westen – allerdings ganz zu Unrecht – befürchtet, daß die Unabhängigkeit Montenegros eine weitere Instabilität in den Balkan tragen wird. Schon wurde die westliche Finanzhilfe für Montenegro blockiert.

Ist diese westliche Befürchtung nicht doch berechtigt?

Vlahovic: Nein, denn es wäre für den Westen viel einfacher und auch billiger, wenn er Montenegro ermöglichen würde, seinen demokratischen Willen auszudrücken. Die demokratische, friedliche, verfassungsmäßige und deshalb legitime Entscheidung der Bürger von Montenegro würde zumindest eine der offenen Fragen in der schweren und komplexen Balkan-Problematik lösen und Montenegro in einen kleinen, aber durchaus bedeutsamen Pfeiler regionaler Sicherheit und allgemeiner Stabilität verwandeln.


 
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