© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/01 29. Juni 2001

 
CD: Volksmusik
Glaubwürdig
Martin Lohmann

Es gibt Musiker, die trotz ihres untergründigen Erfolgs nie über den Status eines Geheimtips herauskommen werden, weil es das Establishment nicht will. Dazu gehören auch die Interpreten des volkstreuen Liedguts, die Barden der nationalen Musikszene. In diesem Genre feiert gerade eine neue Künstlerin, die 32jährige Annett aus Brandenburg, ihr Debüt.

Wo kommerziell erfolgreichen Gruppen eine bedeutungsschwere intellektuelle Botschaft unterstellt wird, die in Wahrheit von einfallsreichen Marketingstrategen entwickelt wurde, hat Annett mit ihren Balladen wirklich etwas zu sagen. Ihre Texte zeugen von einem außerordentlichen Sinn für Gerechtigkeit und haben unverkennbar autobiographischen Charakter, gerade da, wo sie ihre Erfahrungen als Mutter mit einfließen läßt. Dementsprechend lautet der Titel ihres Erstlingswerk "Eine Mutter klagt an…" Inhaltlich drehen sich diese Stücke um schwermütige Alltagserfahrungen, aber auch um ihre Wut über die von ihr als bedrückend empfundenen politischen Verhältnisse in Deutschland. "Unser System ist so krank, und keiner will es kapieren", erklärte sie in der April-Ausgabe der Coburger Monatszeitschrift Nation & Europa. Deshalb will sie mit ihrer CD auch erreichen, "daß endlich die Leute aufwachen und nicht nur zusehen".

Ihre herbe Stimme verleiht ihren Balladen eine Kraft, der sich ein geneigter Zuhörer nur schwer entziehen kann. Als musikalische Begleitung wirkt nur ihre Gitarre, die sie als "Tor zur Seele" bezeichnet. "Eine Rose für mein Deutschland" hingegen sticht als einzige poppige Ausnahme hervor. Dieses mit Synthesizern untermalte Stück ist in einer Qualität produziert, die durchaus auch breitgesteckteren Ansprüchen des Schlagers genügen könnte. Allerdings wäre Annett mit ihren nationalen Tönen ("Eine Rose für mein Deutschland / leg ich traurig auf die Erde, / ich geb alles für dich mein Deutschland, / wenn ich leb’ und wenn ich sterbe") auf den supranationalen Schlager-Festivals der kommerzialisierten Seichtheit wie dem Grand Prix d’Eurovision auch denkbar deplaziert.

Annett verkörpert durch die in ihren Liedern verarbeitete Lebenserfahrung über eine Authentizität, die in unserer Zeit, in der Musikerkarrieren geradezu am Reißbrett entworfen werden, eine Seltenheit geworden ist. Während Michelle, der "Hochfrequenzheulboje" mit Weichspülgang, ohne ihre offenherzigen Dekolletés vermutlich kein Hahn hinterherkrähen würde, kann Annett auf eine Eigenschaft zurückgreifen, die nur wenige prominente Musiker zu bieten haben: Glaubwürdigkeit. Denn wer wäre heute schon um seiner Überzeugung willen bereit, mit seinem bisherigen sozialen Umfeld und sogar mit den Eltern zu brechen, wie es Annett mit ihrem Eintritt in die "rechte Szene" getan hat? "Rebellion" ist das Stichwort aus ihren Liedern, das treffend eine solche Biographie charakterisiert. Dementsprechend hat sie natürlich auch schon mit der Staatsmacht unliebsame Bekanntschaft gemacht. Ihre Lieder werden zum Anstoß genommen, wo sie doch zum Nachdenken anregen sollten, was in diesem Land schiefläuft.

Während Frank Rennicke, der bekannteste Vertreter der nationalen Barden, auf Überparteilichkeit bedacht ist, bekennt sich Annett offen zu ihrer NPD-Mitgliedschaft. Doch was besagt das? Bis heute hält der Kommunist Hannes Vader an seinen ultralinken Positionen fest. Trotzdem werden seine Konzerte von den inzwischen in das saturierte bürgerliche Lager hinübergeretteten Mitkämpfern früherer Tage gut besucht und ohne jede Aufregung von den Medien begleitet. Keiner seiner Zuhörer stört sich daran, daß sie heute zu denen gehören, die er gestern noch in seinen Liedern anklagte. Es ist zu hoffen, daß man mit Liedermachern wie Annett bald ähnlich unverkrampft umgehen kann.


 
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