© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/01 29. Juni 2001

 
Das aufrechte Geschlecht
Männer: Dietrich Schwanitz’ Betrachtungen über eine zu kurz gekommene Spezies
Silke Lührmann

Z ur Feier der Veröffentlichung von "Männer. Eine Spezies wird besichtigt" im Mai dieses Jahres filmte der ARD-"Kulturreport" Dietrich Schwanitz in seiner, milde ausgedrückt, unaufgeräumten Wohnung, deren Zustand Deutschlands berühmtester Anglist (Jahrgang 1940) mit den Worten, seine Frau sei verreist und er – als Mann an sich – ein Fremdkörper in Küche und Besenkammer, weniger entschuldigte denn rechtfertigte.

Die sorgsam in Szene gesetzte Verwahrlosung veranschaulicht Schwanitz’ ohnehin schon anschauliche These: die (chronische wie akute) existentielle Überforderung des postmodernen Mannes, der sich an Maßstäben gemessen sieht, denen er gar nicht gewachsen sein kann, weil sie ihm wesensfern sind. "Männer haben’s schwer", stöhnt Herbert Grönemeyer, und Schwanitz würde ihm unbedingt zustimmen.

Ihrem natürlichen Habitat, den Jagdgründen und Schlachtfeldern, entfremdet, stolpert die Spezies mit ihren Bollerwagen voller Bier im Weltgeschehen herum, als wäre ständig Vatertag – nicht so schlimm vom Aussterben bedroht, daß man sie unter Artenschutz stellen müßte: tapsige Raubtiere, von der Evolution hinter- oder doch nur übergangen. So müssen sie sich mit der "Kugeljagd, bei der ein Lederball das gejagte Tier ersetzt", und atavistischen Riten wie Vorstandssitzungen oder Mensuren trösten.

Schuld daran, wie kann es anders sein, sind die Frauen, und an sie richtet Schwanitz seine Bittschrift mit dem Appell, den Mann Mann sein zu lassen – "ganz Mann". Schuld ist zunächst die zivilisatorische Antriebskraft des Femininen, die die Klobrille erfand, dann ihre Apotheose, der Feminismus, der deren Mißbrauch unter Strafe stellte. "Der Mann", so Schwanitz, "fühlt sich in der Zivilisation einfach nicht heimisch. Ihm das vorzuwerfen hieße, einem Büffel darüber Vorhaltungen zu machen, daß ein Antiquitätenladen nicht seine natürliche Umwelt darstellt. Und so wie der Büffel große Flächen von Steppe mit Tümpeln, Suhlen und Schlammlöchern braucht, so braucht der Mann Hobbykeller, Garagen, Sportplätze und Kneipen, wo er sich in Gesellschaft anderer Männer suhlen kann. Für den Aufenthalt in der Zivilisation muß er erzogen werden. (...) Das Mittel dazu war der Sex. Er spaltete den Mann in zwei Hälften und verlieh ihm ein Doppelgesicht: Nach außen, gegenüber seinen Rivalen, hatte er weiterhin kampfstark und barbarisch zu sein; nach innen, in Richtung der begehrten Frau, mußte er zärtlich und liebevoll sein."

Das ist kaum originell, kann aber anscheinend nicht oft genug gesagt werden. Immerhin verfügt mittlerweile jede gutsortierte Buchhandlung über eine eigene Abteilung zum Thema "Männer kommen vom Mars, Frauen von der Venus" (so der Titel von John Grays 1993er Bestseller; dt. "Männer sind anders. Frauen auch", 1998). Männermagazine der Post-Playboy-Generation müssen nicht nur erklären, was Abseits ist und wie man BHs mit einer Hand aufmacht, sondern auch Seelsorge leisten in Krisen wie "Hilfe, meine Freundin zieht ein". ("Lernen Sie auswendig, wie sie die Shampoo-Flaschen im Bad anordnet, und verstecken Sie Ihre CDs!")

Auf die Frage, warum Mann und Frau es dennoch immer wieder miteinander versuchen, statt im gegenseitigen Eingeständnis ihrer Inkompatibilität auf getrennten Inseln zu leben und sich einmal im Jahr zum Begattungsritual (zwecks Rentensicherung und Lustbefriedigung in einem) zu verabreden, weiß Schwanitz keine rechte Antwort. Dem Hollywoodfilm ist sie kein so großes Rätsel: In "What Planet Are You From?" (2000), der neuesten Beziehungskomödie des "Reifeprüfung"-Regisseurs Mike Nichols, erfährt Gary Shandling als Außerirdischer, daß die Liebe selbst zwischenplanetarische Schranken überwindet – vorübergehend wenigstens.

Für Schwanitz dagegen ist selbst sie nur "kulturelle Erfindung" – "Liebe ist die Form, in der wir über erotisch gefärbte Gefühle kommunizieren" – und Wunderwaffe im Arsenal des Geschlechterkampfes. Frauen wissen die Liebe geschickt für ihren Kreuzzug einzuspannen, "eine befriedete Zone" inmitten der entsolidarisierten Ökonomie des Eigennutzes zu schaffen, eine "Sonderwelt, in der andere Gesetze herrschen als außerhalb": "Nicht eine ganze Gesellschaft und ihr guter Wille sind dazu nötig, sondern nur zwei Liebende. (...) Ist draußen die Wildnis der Fremden mit ihrer Kälte und Unpersönlichkeit, herrscht drinnen die Wärme der Intimität."

Wie alle Utopien nimmt auch diese regelmäßig ein böses Ende, und es kommt "zur Bildung zweier Parteien mit je einer Person als Mitglied, die sich gegenseitig beschuldigen, ihre private Utopie, die revolutionäre Liebe, verraten zu haben. (...) Die Partei der revolutionären Wächterin hat unwiderlegbare Beweise, daß sich der Verräter mit seinen Kumpeln, den Vertretern der alten Ordnung, in der Kneipe besoffen und Hetzreden gegen die Revolution gehalten hat. Jetzt ist der Punkt erreicht, wo in der politischen Revolution die Guillotine aus dem Schuppen geholt würde." Wie der Burgfrieden bei ihm zu Hause gewahrt bleibt, erläuterte Schwanitz bereitwillig dem Nachrichtenmagazin Focus: "Meine Frau und ich pflegen eine traditionalistische Aufgabenteilung, mit weitgehender Assymetrie der häuslichen Pflichten. (...) Das Verfahren bleibt aber umstritten, so daß wir im Haushalt vor allem dialektisches Diskutieren üben." Kein Wunder, zumal Männer "ein dynamisches Verhältnis zur Wahrheit" pflegen!

Seine schwulen Artgenossen sollte Schwanitz beglückwünschen, leben sie ihm doch vor, wie es auch ohne die aufsässigen Frauen geht. Daß er sie lieber aus seiner Deutungshoheit verbannt, mag an der quälenden Ungewißheit liegen, wer in einer solchen Partnerschaft die widernatürliche Hausarbeit verrichtet. Doch seit sich die Werbebranche dieser lange vernachlässigten Zielgruppe vorbildlicher Verbraucher mit zumeist hohem Einkommen, ausgeprägtem Statusbewußtsein und wenig finanziellen Verpflichtungen angenommen hat, wissen wir: Den Kochlöffel schwingt Käpt’n Iglu, und Putzen trainiert die Muskeln – Meister Propers Waschbrettbauch macht’s vor!

In seinem 1995er Romandebüt "Der Campus" hatte Schwanitz den Wunschtraum des alternden, erschlaffenden Akademikers von saftigem Frischfleisch im Dauerangebot wenigstens fiktiv wahrgemacht, um ihn ins Reich der sauren Trauben und sonstiger verbotener Früchte zu verweisen. Schon der Titel zitiert ein Genre, das britische Schriftsteller von Kingsley Amis bis David Lodge meisterhaft beherrschen: den campus novel, einen satirisch angehauchten Enthüllungsroman über universitäre Zucht und Unzucht, Triebe und Umtriebe. Die studierte Elite wird amüsiert, die staunende Masse – so sie denn lesen kann und will – aufgeklärt. Das Buch wurde zum Verkaufsschlager, der Professor zum Medienstar – bestens positioniert, seine nächste Offensive auf die sieche Allgemeinbildung loszulassen. Als Roßkur verschrieb er einen vergnüglich-polemischen Parforceritt durch die Kulturgeschichte und reicherte seine Rezeptur an mit dem Kanon eigener Lieblingswerke: "Bildung. Alles, was man wissen muß" (1999).

Auch seine Erhebungen aus dem Soziotop "Maskulinia" sind schon dankbar aufgenommen worden. Dem Focus dienten sie als willkommener Anlaß, in einer achtseitigen Reportage der "Idee einer maskulinen Kollektivschuld" zu Leibe zu rücken und die jahrzehntelange Verunglimpfung des Mannes anzuprangern, der doch statistisch gesehen so viel gefährlicher lebt als seine nörgelnde Lebensabschnittsbegleiterin. So sind in Deutschland die meisten Krebspatienten, fast zwei Drittel aller Leberkranken, drei Viertel der Selbstmörder, fünf von sechs HIV-Infizierten und 96 Prozent der Gefängnisinsassen männlichen Geschlechts. Letztere Verwerfung ist wohl weder einer stärkeren kriminellen Veranlagung des Mannes noch der sprichwörtlichen weiblichen List und Tücke geschuldet, sondern entsteht durch ein höheres Berufsrisiko aufgrund der nach wie vor ungerechten Aufgabenverteilung: Für Verbrecher gibt es keine Quotenregelungen.

Wie schon in "Bildung" weiß Schwanitz die Motive der Weltliteratur als Episoden einer kosmischen Seifenoper vorzuführen, ohne sie dabei schlimm zu trivialisieren. Nur selten vefällt er jenem leutseligen Plauderton des Alleinunterhalters, mit dem viele zeitgenössische Autoren sich abmühen, ihr Publikum in Stimmung zu bringen. Statt dessen ist er auf schönste Weise redselig: beseelt vom eigenen Scharfsinn, den er auf den betörten Leser (erst recht auf die Leserin) niederprasseln läßt wie Feuerwerk. Mal zündet er prächtige Pfauenräder , dann zaubert er aus der Jackentasche einen Knaller hervor, der leider feucht geworden ist und wirkungslos verpufft. Eigentlich ist "Männer" mit seinen persönlichen Anekdoten, seinen allgemeingültigen Fabeln und Parabeln, seinen theatralischen Possen – mit seiner "Porträtgalerie der Männertypen" und der als eine Art Gründungsmythos der "Beziehungskiste auf dem antiken "Amphitryon"-Stoff beruhenden "Komödie der Frauen" –, mit seinem narzißtischen Schwelgen in den Unzulänglichkeiten des Mannes eine 320 Seiten zu lang geratene Kolumne: viel bitterböse Brillanz, wenig sachliche Substanz.

Was Schwanitz zur Sexualität als Schnittstelle zwischen Menschenwürde und "Dinghaftigkeit des Körpers" zu sagen hat, ist unerfreulich, aber klug beobachtet. "Dabei geben zwei Menschen ihre Hoheitsrechte auf und eröffnen dem anderen eine generelle Zugangsberechtigung zu ihrem Körper. (...) Man gebraucht den Körper des anderen, um ihn zu genießen. Aber nur, weil der andere das erlaubt, ist er, obwohl er als Ding behandelt wird, in der Sexualität doch als Person gemeint."

Flugs wird da die Nabelschau zur Penisschau. Das sei dem strammeren Geschlecht allerdings gegönnt, hält doch Eve Enslers Theaterstück "The Vagina Monologues" seit Monaten die anglo-amerikanische Kulturlandschaft in Atem. Die achtziger Jahre lassen grüßen, als frau und lesbe sich bei Matetee, Ökokeksen und keltischen Harfenklängen zur Klitorisbestaunung traf! Das wiederum war tatsächlich nur eine gepflegte und streßfreiere, eben "weiblichere" Spielart dessen, was hinter der "Herren"-Tür jeder öffentlichen Bedürfnisanstalt abgeht. Schwanitz gibt sich verklemmter und zugleich schlüpfriger: "Kein Wunder, daß von den Phallusfiguren der Griechen unsere Gartenzwerge abstammen".

Der Schutzumschlag zeigt den Mann nicht als Mann, sondern als Vater, den der Sohn auf seinem Arm mehr erdet denn belastet. In Schwanitz’ Text kommt dieses Bild nur insofern vor, als es vehement ins Reich der weiblichen Spinnerei verwiesen wird: "Weil die Mutter die Liebe zu ihrem Kind als natürlich und fraglos erlebt, unterstellt sie das auch dem Vater. Und da er weiß, daß das von ihm erwartet wird, heuchelt er die Vaterliebe wie seine Frau den Orgasmus." Damit will wohl der Verlag seine Kunden ermuntern, nach all dem Gejammer über die selbstsüchtigen Frauen, die sich ihrer Mütterlichkeit und ihm seine Männlichkeit verweigern, beim nächsten Hugendubel-Besuch auch mal ins Nachbarregal zu schauen – dort stehen die Ratgeber der Gattung "Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr" zum Verkauf bereit.

 

Dietrich Schwanitz: Männer. Eine Spezies wird besichtigt. Eichborn Verlag, Berlin 2001, 328 Seiten, 44 Mark


 
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