© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/01 29. Juni 2001

 
Der dunkle Kontinent
Europas Kampf der Ideologien
Matthias Bäkermann

Weshalb denn maßen sich die europäischen Staaten an, Zivilisation und Gesittung in fernen Erdteilen zu verbreiten? Weshalb nicht in Europa?" Mit diesem Zitat von Joseph Roth leitet Mark Mazower, Geschichtsprofessor am Birkbeck College der University of London, sein Fazit der europäischen Politik und Geistesgeschichte des vergangenen Jahrhunderts ein.

Die Ideologisierung der Massengesellschaft sei das Phänomen des 20. Jahrhunderts, das ursächlich für die Millionen Tote der europäischen Kriege sei. Ein demokratischer Grundkonsens mit Verteidigung der individuellen Freiheitsrechte sei nirgendwo in Europa unangefochten gewesen. Dieser mußte sich mit dem Modell einer kommunitären Gesellschaft leninschen Musters, frei von ausbeuterischen Hierachien, und dem autoritären und faschistischen Ideal vom Wohlergehen der rassisch homogenen Volksgemeinschaft mit sozialdarwinistischem Verständnis auseinandersetzen. Die Rivalität dieser drei Ideologien leitete nach dem Zusammenbruch der alten Ordnung 1917/18 einen Kampf um das politische System ein, der erst mit dem Ende der Sowjetunion seinen Abschluß gefunden habe.

Nachdem die kommunistische Revolution nur auf die Sowjetunion begrenzt blieb, schien die sich in Europa abzeichnende Auseinandersetzung zwischen Demokratie und Nationalsozialismus/Faschismus zugunsten des letzteren auszugehen. Allmählich wandte sich ein Land nach dem anderen einem autoritären Regime zu. Erst der uneingeschränkte Weltanschauungskrieg gegen den Kommunismus, getragen von einer kompromißlosen Unversöhnlichkeit, vermochte die Ideologie des Nationalsozialismus zu vernichten. Die aus den Trümmern entstehenden liberalen Demokratien im Westen Europas konnten neue Kraft schöpfen, doch sahen sie sich nun einem Wettbewerb mit den Linken gestellt. Nachdem dieser mit dem Kollaps des Kommunismus entschieden wurde, sieht Mazower Europa beim entideologisierten Nationalismus angekommen, den er jedoch nach den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts in "geläuterter Form" erhofft.

 

Mark Mazower: Der dunkle Kontinent. Europa im 20. Jahrhundert. Alexander Fest Verlag, Berlin 2000, 640 Seiten, 68 Mark


 
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