© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/01 29. Juni 2001

 
Der rechte Kronprinz
Italien: Der Aufstieg von Gianfranco Fini vom neofaschistischen Jugendführer zum stellvertretenden Ministerpräsidenten
Alessandro Campi

Am 10. Mai diesen Jahres warnte der linksliberale Wiener Standard noch, die "Alleanza Nazionale steckt noch tief in der faschistischen Vergangenheit". Doch inzwischen haben die EU-Mächtigen ohne allzu großes Murren die Ernennung von Gianfranco Fini zum stellvertretenden Ministerpräsidenten Italiens in der Regierung von Silvio Berlusconi aufgenommen. Die einflußreiche Neue Zürcher Zeitung schrieb am 23. Juni sogar: "Für Fini kann der Posten als Berlusconis Vize nur von Vorteil sein. Dem Chef der Alleanza Nazionale bietet sich damit eine goldene Gelegenheit, sich – nicht zuletzt in den Augen des Auslands – als glaubwürdiger Demokrat zu profilieren und sich jene politische Legitimation zu holen, die er mit der Umwandlung des alten faschistischen Movimento Sociale in die rechtskonservative Alleanza Nazionale auch ein gutes Stück weit verdient hat."

Fini, geboren 1952 im tiefroten norditalienischen Bologna, wuchs politisch und kulturell im MSI, der Italienischen Sozialbewegung, auf. Die MSI war in den fünfziger Jahren die Partei der Nostalgiker des Faschismus, gab den Überlebenden der "Repubblica sociale italiana" (Republik von Salò 1943/45) eine Stimme. Aber Fini war niemals ein "Faschist" im klassischen Sinne, niemals war er Anhänger der Ideale des Mussolini-Regimes mit seinem Korporatismus, seiner von der Einheitspartei geprägten Staatsethik und der Militarisierung der Massen. Fini war stets ein Pragmatiker und geschickter Vermittler, war Nationalist und unterstützte den Westen, war Antikommunist und gleichzeitig der katholischen Soziallehre verpflichtet. In das MSI trat Fini in den frühen siebziger Jahren ein, machte dort schnell Karriere und übernahm 1977 auf Drängen des damaligen Parteichefs Giorgio Almirante die Führung der Jugendorganisation. 1987 wurde er erstmals zum Parteisekretär gewählt – mit 35 der jüngste in der Parteigeschichte. Nach einem kurzen Zwischenspiel des Altfaschisten Pino Rauti, dessen MSI-Fortsetzung "Movimento Sociale-Fiamma Tricolore" bei den letzten Wahlen 0,4 Prozent der Wählerstimmen erreichte, übernahm Fini die Führung 1991 erneut. Als das traditionelle italienische Parteiensystem, welches seit Kriegsende bestand, Anfang der neunziger Jahre an der Korruption und Mißwirtschaft zerbrach, sah Fini seine Chance: Nachdem er mit einer Kandidatur um das Amt des Bürgermeisters von Rom und der siegreichen Wahlkampagne von 1994 bereits eine öffentliche Bekanntheit erlangt hatte, wandelte er die MSI in die Alleanza Nazionale (AN) um, die befreit sein sollte vom Ruch des Faschismus. Die MSI galt immer noch als neofaschistisch. Sie bediente sich der Symbole des historischen Faschismus und war der Person Mussolinis eng verbunden. Weil sie jedoch so sehr in der Vergangenheit lebte, konnte sie keine politische Macht erlangen. Finis Neugründung vom Januar 1995 dagegen, die AN, orientierte sich streng an einer demokratischen Rechten. Der Übergang vom Neofaschismus zur demokratischen Rechten wurde schnell und ohne eine tiefgreifende kulturelle Debatte vollzogen. Da sie die alte Doktrin nie wirklich kritisch durchleuchtet haben, konnten Fini und seine Gefolgsleute auch keine politisch-kulturelle Alternative entwickeln. Fini ist, wie gesagt, ein Pragmatiker, der es verstanden hat, eine günstige Gelegenheit für sich zu nutzen. Seit Mitte Juni ist er stellvertretender Ministerpräsident und damit die Nummer zwei in der Regierung. Auch auf internationaler Ebene ist er damit stark exponiert. Politische Beobachter halten ihn – im Gegensatz zu Lega Nord-Chef Umberto Bossi – für den verläßlichsten Partner in Berlusconis "Haus der Freiheiten", manche sehen in ihm sogar eine Art Kronprinzen. Wenn er mit seiner Frau und den beiden Töchtern durch die bürgerlichen Viertel Roms spaziert, dann wird er stets freudig begrüßt.

Allerdings ist seine AN mit zwölf Prozent der Stimmen hinter der Berlusconis Partei Forza Italia nur zweitstärkste Kraft. Wahrscheinlich glaubt die AN, durch die Regierungsbeteiligung, ihre Minister und Staatssekretäre die ersehnte Legitimation eher zu erhalten als durch eine Klärung von Ideologie und politischen Glaubensfragen. Auf Fini lastet eine große historische Verantwortung. Der begeisterte Schachspieler und Taucher muß zeigen, daß die Rechte endgültig auf das faschistische Erbe verzichtet hat und fähig ist, mit eigenständigen Ansätzen eine aktive Rolle zu spielen – in Italien und in Europa.

 

Alessandro Campi ist Politologe an der Universität Perugia/Italien.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen