© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/01 29. Juni 2001

 
Unter Druck gesetzt
Pressefreiheit: In Kassel soll ein kritischer Journalist mundtot gemacht werden
Birgit Sauer

Seit 25 Jahren hat Klaus Becker, Chefredakteur des in Kassel erscheinenden Anzeigenblattes Extra-Tip (ET), keine Gelegenheit ausgelassen, in scharfzüngigen Kommentaren und Artikeln Fehlentwicklungen im politischen System aufzuzeigen, eklatante Mißstände von bundes- oder kommunalpolitischer Bedeutung anzuprangern oder systemkritisch Stellung zu beziehen zu Themen wie Steuerpolitik, Ausländerproblematik oder gar dem "Aufstand der Anständigen".

Beliebte Zielscheibe seiner Beiträge ist vor allem das rot-grüne Establishment. Gerade hier nimmt er kein Blatt vor dem Mund und spricht seine Abneigung gegenüber diesem Personenkreis auch offenherzig aus, indem er ihnen immer wieder ihre Bürgerfeindlichkeit und Lebensferne vorhält. Dabei reicht Beckers Kritik bis tief in die sozialen Milieus des linksliberalen Establishments, vor allem gegen Lehrer, Sozialarbeiter, Journalisten und Polit-Funktionäre. Damit hat er sich – vor allem in der SPD, deren Mitglied er ist, und den Grünen – viele erbitterte Feinde geschaffen, während er bei vielen Lesern den Status eines Rebellen genießt, der für die "schweigende Mehrheit" und die "Stammtische" spricht, denen er auch des öfteren seine direkte Sympathie bekundet.

Bisher blieb Becker weitgehend unbehelligt, doch nun droht ihm ernste Gefahr; zu weit hat er sich vorgewagt. Anfang April nahm er Volker Schäfer, einen prominenten Kasseler Grünen, ins Visier, der im Auftrag des Bundesamtes für Strahlenschutz als freiberuflicher Kommunikator ein Konzept erarbeiten sollte, wie der Bevölkerung die Castor-Transporte vermittelt werden könnten. Becker sah hier einen Fall von grüner Parteibuchwirtschaft, da der Präsident dieser Behörde ein früherer Fraktionskollege Schäfers ist, und sprach dem früheren Studienrat und abgehalfterten Ex-Stadtrat aufgrund seines "rüpelhaften" Umgangs mit politischen Gegnern auch noch die charakterliche und fachliche Eignung für diese Aufgabe ab.

Hier riß offenbar der Geduldsfaden des Establishments, zu groß wurde die Angst, man könne der nächste sein. Rasch bildeten lokale Vertreter der evangelischen Kirche, der Hochschule sowie der Grünen und der SPD eine "Initiative für fairen Journalismus", die in dieser Angelegenheit einen Offenen Brief an den Deutschen Presserat richtete. Deutlich kam darin heraus, daß es nicht allein um einzelne Artikel, sondern die Berichterstattung des Extra Tip und der Person Klaus Becker an sich ging. Die Initiative warf Becker vor, er würde mit seiner Berichterstattung Haß und Vorurteile gegen das politische System schüren und so dem Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik den Weg ebnen, was noch mit dem diffamierenden Vergleich mit der Hugenberg-Presse der Weimarer Republik unterstrichen wurde. Gleichzeitig begann die Initiative, "moralischen Druck" auf Anzeigenkunden des Extra Tip auszuüben, um so dem Anzeigenblatt das wirtschaftliche Rückgrat zu brechen. Währenddessen blieb Becker bei seinem Standpunkt und hob in einem Kommentar den Anspruch der Bürger auf Transparenz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge hervor. Auch der Herausgeber des Extra Tip stellte sich öffentlich hinter seinen Chefredakteur und versprach den Lesern, auf Kurs zu bleiben. Den Kritikern bescheinigte er, daß es ihnen lediglich darum gehe, ihre eigene Meinung zum Maß aller Dinge zu machen, um so die Pressefreiheit einzuschränken.

Der Presserat wies inzwischen die Eingabe der Initiative aus formalen Gründen zurück, da der Verband der deutschen Anzeigenblätter nicht im Gremium des Deutschen Presserates sitzt, eine Entscheidung über den Vorgang somit nicht möglich sei.

Vorläufiger Höhepunkt des Streits bildete am vorvergangenen Montag eine Diskussionsveranstaltung in Kassel. Dort diskutierte in der Lutherkirche unter der Moderation eines Medien-Funktionärs der evangelischen Kirche ein handverlesenes Podium mit Vertretern aus Hochschule, Medien und Wirtschaft über das Thema "Journalistische Ethik und Freiheit der Presse". Erwartungsgemäß geriet die Veranstaltung auch unter aktiver Teilnahme des Publikums, das sich überwiegend aus Vertretern und Sympathisanten der Initiative zusammensetzte, zu einer Generalabrechnung mit Klaus Becker und den "populistischen" Medien des Boulevardjournalismus wie der österreichischen Kronen-Zeitung oder dem Wetzlarer Kurier.

Anzeigenkunden zeigen vorbildliche Zivilcourage

Neben unsäglichen Nazi-Vergleichen sprachen die Vertreter der Tageszeitungen Hessisch-Niedersächsische Allgemeine undWetzlarer Neue Zeitung, des Hessischen Rundfunks sowie der IG Medien Klaus Becker das Recht ab, sich Journalist zu nennen, und unterstellten ihm die Unfähigkeit zur Recherche. Seltsam mutete das Eigenlob dieser Medien an, gibt es doch begründete Zweifel, ob sie es mit den hochgesteckten Maßstäben selbst so ernst meinen. Wo Journalisten wie Becker offen mit dem Schwert statt dem Florett fechten und bewußt ihre Grenzen ausreizen, wissen andere Vertreter der Branche eben wesentlich subtiler vorzugehen. Die Äußerung eines Zuhörers, Klaus Becker sei eine "verlorene Seele", machte endgültig den inquisitorischen Charakter der Veranstaltung deutlich. Derart pflegte man im Mittelalter Ketzer zu bezeichnen. Somit war es nur zu verständlich, daß Becker der Einladung zu diesem Tribunal nicht folgte. Aber selten ist die Kluft zwischen intellektuellen Establishment und den im Bürgertum verankerten Lesern von Medien wie dem ET so offenbar geworden wie an diesem Abend.

Daß dieser Versuch mißlang, durch massive Einschüchterung eines kritischen Journalisten die Pressefreiheit in einer ohnehin schon sehr konformen Medienlandschaft zugunsten eines recht einseitigen Gesinnungsspektrums einzuengen, liegt in erster Linie am Rückhalt des Extra Tip in der Bevölkerung, deren Sorgen Klaus Becker ausspricht wie kaum ein anderer, als auch der vorbildlichen Zivilcourage der Anzeigenkunden des Blattes, die sich von dieser zweifelhaften Initiative gegen die Pressefreiheit nicht einschüchtern ließen. Der Fall Klaus Becker/ET ist ein Lehrstück in Sachen Pressefreiheit. Er zeigt auf, wo ihre Gefährdung herrührt und daß diese Gefährdung so lange nicht zum Erfolg führt, wie es noch Menschen gibt, die sich entschlossen hinter kritische Medien stellen.


 
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