© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/01 22. Juni 2001

 
Ein Dialog der Wahrheit und der Liebe
Ukraine: Der Besuch des Papstes in dem orthodoxen Land ist keine Provokation in Richtung Moskau
Lothar Groppe

Gegen den vorgesehenen Besuch des Papstes in der Ukraine vom 23. bis 27. Juni haben laut Infor-mationen der Nachrichtenagentur dpa vom 7. Juni tausende orthodoxe Christen protestiert. Die Zahl der "Protestanten" bewegte sich nach den Schätzungen zwischen 3.000 und 8.000. Dem Papst steht also ein ähnlich schwieriger Gang bevor wie vor einigen Jahren in Kuba.

Welche Gründe gibt es für die Protestbewegung, die noch fortgesetzt werden soll? Die orthodoxe Kirche wirft den mit Rom unierten griechisch-katholischen Gemeinden vor, in der Westukraine zu missionieren und orthodoxe Kirchen teilweise gewaltsam besetzt zu haben. Das trifft zwar zu, "übersieht" aber die Tatsache, daß in der Westukraine, die bis 1919 zum Habsburger Reich und danach zu Polen gehörte, die griechisch-katholische Kirche vorherrschend war. 1946 wurde sie von Stalin verboten und gezwungen, sich dem Moskauer Patriarchat anzuschließen. Die Gotteshäuser wurden den Orthodoxen übergeben. Ein großer Teil der unierten Gläubigen ging in den Untergrund. Als der damalige KPdSU-Generalsekretär Michail Gorbatschow 1989 die griechisch-katholische Union wieder zuließ, verdrängte sie die Orthodoxie fast gänzlich aus Galizien. Zwischen 1946 und 1990 hatte das Moskauer Patriarchat dort, statistisch gesehen, die meisten Gemeinden , die auch finanziell den größten Beitrag zum Unterhalt des Patriarchats leisteten.

Moskau wirft Rom vor, auf dem "Kanonischen Territorium der Russischen Orthodoxen Kirche", zu dem auch die Ukraine gehöre, im höchsten Grad rücksichtslose Proselytenmacherei zu betreiben. Dies geschehe vor allem in Galizien. Rom habe auch die öfter gewaltsame Übernahme der einst katholischen, seit 1946 aber orthodoxen Kirchengebäude nicht nur nicht verhindert, sondern sogar gefördert. Dies trifft jedoch nicht zu. Schließlich habe Rom die russisch-orthodoxe Kirche, die sie einst als "Schwesterkirche" bezeichnet habe, in höchst ungeschwisterlicher Weise in ihrem Bestand geschmälert. Das russische Außenministerium hatte dem Vatikan seine Besorgnis wegen des Papstbesuches in der Ukraine mitgeteilt. Jedoch machte das ukrainische Außenministerium unmißverständlich deutlich, daß der Papstbesuch eine ukrainische Angelegenheit sei. Der frühere russische Ministerpräsident Viktor Tschernomyrdin sorgte bereits bei seinem kürzlichen Amtsantritt als russischer Botschafter in der Ukraine für Verstimmung, als er sich der Haltung der russisch-orthodoxen Kirche anschloß.

Seit der "Wende" ist die orthodoxe Kirche in der Ukraine gespalten. Neben der beim Moskauer Patriarchat verbliebenen gibt es nunmehr die ukrainische orthodoxe Kirche, sowie die autokephale (selbständige)ukrainische orthodoxe Kirche. Beide haben gegen den Papstbesuch keine Einwände. Sie streben eine ukrainische Nationalkirche an und hoffen, von der Weltöffentlichkeit als eigenständige, von Moskau unabhängige Größe der Orthodoxie anerkannt zu werden, wenn der Papst den ökumenischen Dialog mit den Orthodoxen in Kiew führt. Manche Fachleute auf dem delikaten Feld der katholisch-orthodoxen Beziehungen sind nicht gerade begeistert, daß der Papst der Einladung der ukrainischen Regierung sowie der römisch-katholischen und der griechisch-katholischen (unierten) Kirche Folge leisten will. Sie befürworten eine Verschiebung des Papstbesuches, bis die strittigen Fragen zwischen Rom und Moskau geklärt und eine Verständigung erreicht ist. Andernfalls könnte das Zerwürfnis zwischen Rom und Moskau noch größer werden als vor dem Papstbesuch. Sie meinen, der Papst solle ein mehrheitlich orthodoxes Land nicht ohne Einladung durch das orthodoxe Oberhaupt besuchen. Während sich nach einer Meinungsumfrage vor etwa zwei Jahren ungefähr die Hälfte der rund 60 Millionen zählenden Bevölkerung der Ukraine als zu keiner Kirche gehörig bezeichnete, gibt es neben den etwa 24 Millionen Orthodoxen in drei verschiedenen Kirchen ungefähr sechs Millionen Katholiken, also zehn Prozent der Gesamtbevölkerung. Eine Million ukrainische Staatsbürger – meist polnischer Abstammung – sind römisch-katholisch. Fünf Millionen gehören der griechisch-katholischen Kirche an, die bis zu ihrer Wiederzulassung 1989 unter schwerer Verfolgung zu leiden hatte. Im Februar dieses Jahres wurden die Oberhäupter der beiden katholischen Kirchen, der griechisch-unierte Großerzbischof von Lemberg, Lubomyr Husar (68), und der römisch-katholische Erzbischof von Lemberg, Marian Jaworski (75), zu Kardinälen erhoben. Für die ukrainischen Katholiken ist der Papstbesuch eine große Freude. Sie wurden jahrzehntelang wegen ihrer Treue zum Papst verfolgt und können nunmehr das Oberhaupt der Kirche leibhaftig erleben.

Die Orthodoxen haben vielfach Angst vor der Wirkung des Papstes auf die Menschen. Sie wissen, mit welcher Begeisterung er in den Ländern der Dritten Welt empfangen wurde. Auch das Jugendtreffen in Rom im vergangenen August, wo der alte und sichtlich schwerkranke Papst von zwei Millionen junger Menschen geradezu überschwenglich gefeiert wurde, blieb in Moskau nicht unbekannt. Nach einer kürzlichen Meinungsumfrage begrüßten 70 Prozent der Bevölkerung den Besuch des Papstes. Dies könnten den Katholiken mächtigen Auftrieb geben, aber auch viele, die bisher keiner Religion angehören, für die katholische Kirche gewinnen. Wegen dieser für die orthodoxe Kirche sicher schwierigen Lage, die ganz wesentlich auch politische Hintergründe hat, bat Metropolit Wladimir von Kiew und der ganzen Ukraine im Namen der 42 Bischöfe seiner Kirche in einem Brief vom 22. Januar diesen Jahres den Papst eindringlich, seinen geplanten Besuch in der Ukraine zu verschieben. Hierzu hatte ihn der Heilige Synod des Moskauer Patriarchats aufgefordert. Seine Bitte begründete er mit den bereits erwähnten Schwierigkeiten. In seiner Antwort vom 24. Februar drückte der Papst seinen Wunsch aus, mit den Vertretern des Moskauer Patriarchats in Kiew zusammenzutreffen. Er wolle "den orthodoxen Brüdern gegenüber Respekt bekunden" und den "Dialog der Wahrheit und der Liebe fortsetzen".

Wenngleich es manche Gründe für die Verschiebung des Papstbesuches in gibt, ist nicht zu verkennen, daß sie angesichts des Alters und des geschwächten Gesundheitszustandes von Johannes Paul II. das Aus für sein dringendes Anliegen bedeuten würde, die Einheit der gespaltenen Christenheit entschieden voranzubringen. Es ist kein Geheimnis, daß sich dieser Papst nicht so leicht von seinen einmal gefaßten Entschlüssen abbringen läßt. Bezeichnend ist, was er einmal einem seiner Ratgeber sagte: "Sind Sie der Papst oder bin ich es?"

 

Pater Lothar Groppe SJ war Militärpfarrer und Dozent an der Führungsakademie der Bundeswehr sowie zeitweise Leiter der deutschen Sektion von Radio Vatikan.


 
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