© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/01 22. Juni 2001

 
Zeitschriftenkritik: Zeitzeichen
Postmoderne auf protestantisch
Werner Olles

Als Nachfolgerin von Evangelische Kommentare, Die Zeichen der Zeit/Lutherische Monatshefte und Reformierte Kirchenzeitung erscheint die Monatszeitschrift Zeitzeichen – Evangelische Kommentare zu Religion und Gesellschaft nunmehr bereits im zweiten Jahrgang. Sieht man sich den Herausgeberkreis an, zu dem unter anderen der Berliner Bischof Wolfgang Huber, die hannoveranische Bischöfin Margot Käßmann, Bundespräsident Johannes Rau und Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer gehören, und erinnert sich dann auch noch daran, daß eher konservative und traditionalistische Ansichten im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik weder Stimme noch Gewicht haben, ist das (Vor-)Urteil schnell zur Hand: Aha, ein weiteres linksprotestantisches Periodikum.

Ganz so schlimm ist es dann aber doch nicht, auch wenn Gregor Gysi in der letzten Ausgabe einmal mehr seine altbekannten Schalmeienklänge ertönen läßt, um die Kirchen – und diesmal mag er nicht mal vor dem Papst haltmachen – mit in das gemeinsame Boot beim "Kampf für die Gerechtigkeit und bei der Suche nach dem Sinn des Lebens" zu ziehen. Mit seinem Aufruf für "Mehr Mut zur Wertorientierung" hält Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm zwar wacker gegen derart unverbindliche und beliebige postmoderne Frömmigkeiten des eloquenten Berliner Sprücheklopfers, an der Intention des Blattes ändert dies jedoch letztlich nur wenig. Diese erläutert einer der Redakteure in seinem "Plädoyer für einen aufgeklärten Patriotismus" mehr als deutlich: "Ich liebe dieses Land auch, weil sich hier – vor allem seit 1968/69 – eine vergleichsweise liberale und soziale Gesellschaft entwickelt hat. Ich liebe Deutschland, aber auch England. Außerdem, einem aufgeklärten holländischen Protestanten fühle ich mich mehr verbunden als einem katholischen Landsmann." Liest man dergleichen, ist man beinahe geneigt, auch noch die niederträchtigsten Stammtischparolen aus den verräucherten Bierkellern ernster zu nehmen als solchen Edelstuß.

Über den Zeitzeichen schwebt ein esoterisch angehauchter Progressiv-Protestantimus, der aber – Gott sei Dank – noch nicht bis in die geistigen Niederungen ihrer Vorgängerin Zeichen der Zeit reicht. So finden sich nach manch Geschwätzigem und Geschmäcklerischem durchaus auch Texte, die das Lesen lohnen. In Aufsätzen über "Jesusvorstellungen in den nichtchristlichen Weltreligionen", "Rote Kreuze in China", "Eine feministische Häresie im 13. Jahrhundert" oder – passend zum Themenheft "Mobilität: Der bewegte Mensch" – "Biblische Erinnerungen zu einem modernen Zauberwort" finden auch konservative Leser manch diskussionswürdige Anregungen und Denkanstöße. Wer die Zeitzeichen erkennen will, kommt eben nicht umhin, sich auch mit Gedanken auseinanderzusetzen, die einem zunächst fremd und hermetisch vorkommen. Dem eigenen Bewußtsein schaden solche Ausflüge in den Erlebnisraum moralischer Unangreifbarkeit jedenfalls nicht.

Kreuz Verlag. Breitwiesenstr. 30. 70506 Stuttgart. Einzelpreis: 12,55 Mark. Jahresabo: 126,60 Mark, für Studenten, Lehrlinge, Ruheständler: 109,80 Mark


 
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