© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/01 22. Juni 2001

 
Die verpatzte Gedenkstunde für Ulrike M.
Kiel: Nach einem Auftritt des Nationalmarxisten Reinhold Oberlercher soll die Landeszentrale für politische Bildung aufgelöst werden
Jochen Arp

Daß die schleswig-holsteinische Landeszentrale für politische Bildung den Alt-68er Reinhold Oberlercher zu einer Gedenkveranstaltung für Ulrike Meinhof eingeladen hatte, wird Folgen haben. Jetzt soll die Landeszentrale nach dem Willen der SPD aufgelöst werden.

Auf der Suche nach einem kompetenten Redner anläßlich des 25. Todestages von Ulrike Meinhof waren die Verantwortlichen in der Landeszentrale auf den früheren Chef des Hamburger SDS, Reinhold Oberlercher, gestoßen. Daß der sich inzwischen vom internationalen Marxisten zum National-Marxisten entwickelt hatte, war den Kielern entgangen. Oberlercher konnte in dem Kommunikationszentrum "Pumpe", das an sich ausschließlich linken Veranstaltungen vorbehalten ist, gerade sieben Minuten lang seine Thesen vortragen, Thesen im übrigen, die er seit Jahr und Tag durchs Internet verbreitet. Dann wurde ihm vom Veranstaltungsleiter das Wort entzogen, das Mikrofon abgestellt und er des Hauses verwiesen. Das zu befolgen, war schwierig, weil ihn eine große Gruppe junger Leute umlagerte, die gern mehr von ihm erfahren wollte (JF 21/01).

Die ganze politische Klasse der Landeshauptstadt war aufgestört. Ein Nationaler, wenn auch ein marxistischer, auf einer Veranstaltung der staatlichen politischen Bildung! Nicht nur die Demokratie, sondern das ganze westliche Wertesystem schien in Gefahr zu geraten. Die Kieler Nachrichten veröffentlichten Leserbriefe von strammen Antifaschisten, die darauf hinwiesen, daß die Landeszentrale Oberlercher hätte kennen müssen, war doch sein Gesicht bereits auf einem Steckbrief zu sehen gewesen, den die taz vor einiger Zeit von Rechtsradikalen veröffentlicht hatte. Besonders erbost waren Leserbriefschreiber, daß Oberlercher "Thesen über die Fremdherrschaft über das deutsche Volk" hatte im Ansatz verbreiten können.

Die Suche nach Schuldigen begann. Es wurden Berichte angefordert, Gremien tagten, Fraktionen des Landtages beschäftigten sich mit der Sieben-Minuten-Rede, Presseerklärungen wurden verbreitet, in denen Entsetzen, Scham und Empörung ausgedrückt wurden. Die SPD forderte eine sofortige Sondersitzung des Kuratoriums, das über die Tätigkeit der Landeszentrale wachen soll. Die CDU und die Grünen schlossen sich an.

Erstes Ergebnis der Aufregung war eine öffentliche Entschuldigung des Direktors der Landeszentrale, des Sozialdemokraten Karl-Heinz Harbeck. Er bedauerte, daß bei der Verpflichtung des Redners "die notwendige Sorgfalt bei der Recherche zur Person außer acht gelassen wurde". In Zukunft werde man noch viel sorgfältiger ins Auge gefaßte Redner vorher durchleuchten.

Aber damit war es nicht getan. Der Fraktionsvorsitzende der SPD meinte: "In- und Output der Landeszentrale stehen in keinem Verhältnis." Stimmen mehrten sich, die Landeszentrale koste zwar 2,27 Millionen Mark im Jahr, leiste dafür aber nichts wirkungsvolles.

Als sich angesichts der heraufziehenden Finanzkatastrophe auch des Landes Schleswig-Holstein die Regierung ganz schnell einig werden mußte, wo zu sparen sei, da läutete das Totenglöcklein für die Landeszentrale für politische Bildung. Tatsächlich jedoch würde deren Auflösung nichts bringen, denn alle acht festen Mitarbeiter gehören dem öffentlichen Dienst an und können nur innerhalb der Landesregierung umgesetzt werden. Man hat aber demonstriert, wie konsequent man gegen Rechte vorgeht, auch wenn sie Marxisten sind.

Am vorletzten Wochenende wurde die Wohnung Oberlerchers in Hamburg von der Staatsanwaltschaft durchsucht. Da der Wohnungsinhaber nicht zu Hause war, brach man die Tür auf. Als Oberlercher abends heimkehrte, fand er ein amtliches Schreiben an die Tür gepinnt vor, er möge beim nächstgelegenen Polizeirevier die Schlüssel zu einem neuen Schloß abholen. In der Wohnung war das Verzeichnis der beschlagnahmten Gegenstände zu finden. Der Computer, Notizen, Manuskripte usw. waren als mögliche Beweisstücke für den Vorwurf der mutmaßlichen Volksverhetzung sichergestellt.


 
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