© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/01 22. Juni 2001


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Zahlungsmoral
Karl Heinzen

Die deutsche Wirtschaft hat die ersten 3,9 Milliarden Mark der Schuld, die nachträglich für das Dritte Reich bei ihr aufgelaufen ist, beglichen. Wie die Stiftungsinitiative der Wirtschaft betont, wurde der Betrag sogar – entgegen der unterdessen landesüblichen Zahlungsmoral – vor Fälligkeit an die Bundesstiftung weitergeleitet. Dafür einen Skonto in Anspruch zu nehmen traute man sich jedoch nicht. Statt dessen wies man sogleich auch 100 Millionen Mark an, die, als "Zinsen" deklariert, offenbar symbolisch zum Ausdruck bringen sollen, daß sich niemand am vorübergehenden Vermögen der Stiftung bereichern will. Die noch ausstehenden 1,1 Milliarden Mark werden, so das Versprechen, ebenfalls nicht auf sich warten lassen.

Die Euphorie ist groß und berechtigt. Die Medien jubeln und mit ihnen die Menschen. Gerne würde man jetzt jeden Tag in den Zeitungen gleich auf der ersten Seite lesen, wie irgendwo auf der Welt irgend jemand sich mit dem, was auf dem langen Weg von der Stiftung zu ihm noch übrig geblieben ist, einen so lange gehegten Konsumwunsch endlich erfüllen kann: eine schöne Reise vielleicht – es muß ja nicht ausgerechnet eine nach Deutschland sein. Oder eine neue Wohnzimmereinrichtung. Oder ein Satz neuer Haushaltsgeräte. Leider drängen sich aber sofort wieder andere Ereignisse in den Vordergrund, und die menschliche Dimension, die die Entschädigungsleistungen eben auch in der Gegenwart haben, bleibt unerwähnt. Nur einige Marketingexperten zum Beispiel in Versandhäusern oder Touristikunternehmen werden so einen Begriff davon haben, welches Geschäft ihnen blühen könnte, würden sie sich bloß trauen, der Zahlung an den jeweiligen Entschädigungsempfänger mit einem Katalog zu folgen.

Die Meriten der deutschen Wirtschaft kann und soll das nicht schmälern. Sicherlich ist die Begrenzung ihrer Schuld auf fünf Milliarden Mark problematisch, da sie eigentlich die Verantwortung für alles tragen müßte, was geschehen ist und geschieht. Sicherlich hat sie selbst diese fünf Milliarden Mark nicht aus freien Stücken bereitgestellt, sondern weil sie sich dazu gezwungen sah. Und sicherlich versucht sie jetzt, diese fünf Milliarden Mark durch eine philanthropische Öffentlichkeitsarbeit wenigstens teilweise zu amortisieren. Sie weiß aber, daß sie nicht erwarten kann, einen Schlußstrich ziehen zu dürfen. Diesen gibt es für keine Schutzgebühr der Welt zu kaufen.

Es kann einige Jahre dauern, aber irgendwann werden die generell unvermeidlichen und daher sicher auch diesmal nicht ausbleibenden Schwachstellen in der Mittelvergabe bekannt sein und eine Antwort verlangen. Unter Umständen ist dann auch die amerikanische Rechtsentwicklung soweit, daß sie neuerliche Verhandlungen zuläßt. Niemand meine, daß es eine biologische Uhr gebe, die in der Lösung von Entschädigungsfragen zur Eile antreibe. Unrecht ist etwas, unter dem nicht nur jene leiden, die es persönlich erdulden müssen.


 
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