© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/01 15. Juni 2001

 
UMWELT
Mittelalterliche Tierversuche
Volker Kempf

Der Kampf um die Wahrheit endete im Mittelalter auf der Folterbank. Irgendwann merkte man, daß erpreßte Auskünfte nicht der Wahrheit dienlich sein müssen. Zu oft kam bei Folterungen heraus, was der Folterer hören wollte, aber gerade nicht die Wahrheit.

Ist es nicht denkbar, daß eines Tages eine Hochkultur ähnlich über unsere tierexperimentelle Medizin urteilen wird? So wie jeder Folterer erpreßte Geständnisse vorweisen kann, so wird auch jeder "Tierfolterer" medizinische Erfolge präsentieren können. Doch nicht nur Lüge und Unsinn zu produzieren heißt noch lange nicht, einen Erkenntnisfortschritt zu erwirken. Der ehemalige Tierexperimenteur Bernhard Rambeck schreibt in "Mythos Tierversuch" sogar: "Die maßlose Überbetonung der scheinbar experimentell, vor allem tierexperimentell, zugänglichen Aspekte von Leben, Krankheit, Heilung haben eine echte Weiterentwicklung der Medizin seit vielen Jahrzehnten total abgeblockt." Denn vor lauter Detailwissen, das zusammenhanglos hervorgebracht wird, geht der Blick für das Ganze verloren. Es gibt keinen Zugang zu Selbstheilungskräften des Organismus mehr, die die Babylonier in einer uns überlegenen Weise noch wecken konnten. Heute werden wir zwar älter, aber nicht unbedingt gesünder.

Und das sogenannte Gesundheitswesen überhitzt sich wie überbeanspruchte Motoren. Wie in einer solchen Situation ein Autofahrer verzweifelt auf das Gaspetal tritt, so werden die Tiere noch einmal so richtig auf die Folterbank gelegt, ehe die Grenzen der tierexperimentellen Medizin eingestanden werden. Wenn sich eines fernen Tages Archäologen unserer annehmen werden, werden sie mit Grauen Gegenstände aus den Laboren ausstellen, so wie wir heute mittelalterliche Folterbänke präsentieren.


 
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