© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/01 08. Juni 2001

 
Der Minister kam durch den Hintereingang
Hochschulen: Linke Studenten störten eine Veranstaltung mit dem bayerischen Innenminister Günther Beckstein an der Uni Göttingen
Christian Vollradt

Ohrenbetäubender Lärm aus Trillerpfeifen und klapperndem Hörsaal-Gestühl verzögerte den Beginn einer Podiumsdiskussion zum Thema "Ausländerrecht und Wissenschaftsstandort" des Göttinger Rings Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) am Mittwoch vergangener Woche. Etwa vierzig linke Störer, die trotz Einlaßkontrollen in die Aula der ehemaligen Pädagogischen Hochschule gelangt waren, machten auf diese Weise ihrem Unmut darüber Luft, daß der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) zu dieser Veranstaltung eingeladen war. Mit ihm saßen auf dem Podium der Göttinger Politologieprofessor Bassam Tibi und Wolfgang Bosbach, stellvertretender Vorsitzender der CDU-Bundestagsfraktion.

Obwohl die "Autonome Antifa" mehrere hundert Personen mobilisieren konnte, verfehlte sie ihr Ziel, die Veranstaltung zu verhindern – anders als vor zwei Jahren: Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung um die doppelte Staatsangehörigkeit im Januar 1999 wurde der damalige CDU-Vorsitzende Wolfgang Schäuble am Reden in der Universität gehindert. Diesmal sicherten zwei Hundertschaften der Bereitschaftspolizei seit dem Nachmittag das Gebäude und hielten die aufmarschierten Protestierer mit Absperrgittern auf Distanz. Auf einer Straßenkreuzung hatten einige Autonome Holzpaletten in Brand gesteckt, ohne dadurch aber die Ankunft des bayerischen Innenministers zu verzögern.

Nachdem allerdings Beckstein, von Personenschützern flankiert, durch den Hintereingang ins Gebäude geschleust worden war, sah es zunächst wieder nach einem Erfolg der Strategie der Linken aus: Um eine weitere Eskalation zu verhindern, verzichteten die Polizeiführer darauf, die Störenfriede aus der Aula zu bringen. Auf Drängen der Veranstalter ermöglichte der zunächst unwillige Universitätspräsident Horst Kern, dem soviel uniformierte Staatsmacht in seinen Hallen offenkundig wenig behagte, die Verlegung in einen anderen Hörsaal, in den nach einem weiteren Ausleseverfahren noch etwa hundert Zuhörer eingelassen wurden.

Die Diskussion selbst verlief dann ohne größere Differenzen, die Neigung der Teilnehmer zum größtmöglichen Konsens war offensichtlich. Bassam Tibi ereiferte sich über die zuvor erlebten Szenen derart, daß er als früherer Marxist und gebürtiger Syrer die Proteste in die "Tradition von 1933" stellte und als "linken Faschismus" verurteilte: Dieses Beispiel habe gezeigt, daß es ohne eine verbindliche Leitkultur kein friedliches Miteinander gebe.

Fortan kreiste das Gespräch im wesentlichen um die von allen Teilnehmern befürwortete Anpassung der deutschen Universitäten an die Erfordernisse der Globalisierung. Um ausländische Spitzenkräfte nach Deutschland zu holen, sei ein modifiziertes Ausländerrecht nötig, für das Beckstein Bayern mit seiner sogenannten "Blue Card" als vorbildhaft anpries. Tibi betonte die Vorzüge amerikanischer Universitäten, plädierte für mehr Wettbewerb, eine bessere Leistungskontrolle gegenüber Professoren und vor allem für die Entpolitisierung der deutschen Hochschulen.

Der Aufriß, den Antifaschisten und Betroffenheitslinke im Vorfeld der Veranstaltung gemacht haben, mutet im Rückblick auf die Diskussion nur noch grotesker an: Der von ihnen zum Leibhaftigen stilisierte Beckstein verließ zu keinem Zeitpunkt die sorgsam umhegte Neue Mitte. Nationale Töne vernahm man – wen wundert’s – nur einmal, als Tibi erläuterte, weswegen er Rufe ins Ausland abgelehnt habe: "Aus Liebe zu Deutschland!" Im Gegensatz dazu brillierte Wolfgang Bosbach mit der Aussage, Leitkultur bedeute für ihn "nicht Deutschland, Deutschland über alles, sondern ein Bekenntnis zu unseren Werten", wobei er offenließ, welche Werte er meinte. Die Bilanz des Abends: Der RCDS spricht vom Erfolg , daß die Veranstaltung trotz allen Geschreis und Gerangels überhaupt noch durchgeführt werden konnte.

In der Erinnerung werden die Begleitumstände, die zu zwei Festnahmen führten, sicherlich mehr haften bleiben als die Inhalte der Diskussion. Einmal mehr ist der Beleg dafür geliefert worden, daß Göttingen eine anti-national befreite Zone ist, in der eine sich selbst legitimierende Institution darüber wacht, wer das Recht hat, sich ungestört versammeln zu können, und wer nicht. Den versammelten Christdemokraten und insbesondere dem bayerischen Innenminister könnte dadurch hoffentlich erfolgreich vergegenwärtigt worden sein, wo der Feind steht.


 
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