© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/01 08. Juni 2001

 
Embryo
Wie eine Laborratte
von Angelika Willig

Von ihm spricht man mehr als von "Big Brother". Dabei hat er anfangs auf einer Nadelspitze Platz. Bis zur achten Schwangerschaftswoche nennt man das Ungeborene "Embryo". Da ist es etwa einen Zentimeter lang und beschäftigt normalerweise nur die elterliche Phantasie.

Die Gentechnik ist dabei, den Übermenschen zu konstruieren. Das wäre in der Tat Grund zu einer Flut von Artikeln und Stellungnahmen. Doch die Flut kanalisiert sich in eine Richtung: der Frage nach dem Status des menschlichen Embryo. Ist er eine Person oder nicht? Besitzt er Menschenwürde? Wer darf darüber als Eigentum verfügen? All diese Fragen sind bereits diskutiert worden, als es um die Reform des Paragraphen 218 Strafgesetzbuch ging. Sie treffen nicht die neue Dimension, in die man vorgestoßen ist. Es geht heute nicht mehr um das Interesse des Ungeborenen. Wenn es das wäre, gäbe es nicht 300.000 Abtreibungen im Jahr. Was an der Genforschung beunruhigt, ist etwas ganz anderes. Es geistern Bilder umher von teuflischen Weißkitteln, die mit den tiefgefrorenen Embryonen Experimente anstellen in der Art von Dr. Mengele. Die Maus mit Menschenohr ist bereits Realität. Was Angst macht, ist die in den Bereich des Möglichen gerückte Optimierung und Manipulierung der menschlichen Gattung. Der alte "Lebensschutz"-Gedanke soll hier als Damm wirken.

Im Unterschied zur Abtreibung ist die Gewinnung embryonaler Stammzellen nur in den ersten Tagen möglich. Denn aus diesen Zellen läßt sich noch jede gewünschte Zellart züchten. Nicht erlaubt ist aber die Produktion von Embryonen zu Forschungszwecken. Daher ist man auf die zufällig bei der künstlichen Befruchtung anfallenden und nicht benötigten "verwaisten" Embryonen angewiesen. Mancher ist auch schon dazu übergegangen, sein "Material" einfach im Internet zu bestellen und frei Haus liefern zu lassen.

Schon näher an das eigentliche Problem heran kommt der Protest gegen die sogenannte "Präimplantationsdiagnostik". Auch hier ist die künstliche Befruchtung Voraussetzung. Bevor die Embryonen per Katheter in die Gebärmutter eingebracht werden, untersucht man die genetische Information im Zellkern auf "Fehler" und sondert aus. Wer wird ernsthaft dagegen sein, die Geburt eines schwerbehinderten Kindes auf diese Weise auszuschließen? Was hingegen wirklich beunruhigt, wäre etwa der Wunsch der Eltern nach einem blonden langbeinigen Kind und die Abtötung aller Embryonen, die diese Merkmale nicht auf sich vereinen. Oder gar die schöpferische Komposition von Genen.

Das Problem ist nicht der Embryo und seine Würde, sondern der Mensch und seine Definition. Damit ist die Frage, ob der Embryo ein Mensch sei, schon beantwortet. Sicher ist er ein Mensch, was die Genforschung am besten beweist: Schon in der Keimzelle liegt das Ich beschlossen. Doch das Ich ist nicht mehr das Maß aller Dinge.


 
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