© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/01 08. Juni 2001


Schröders Strategie
Mit der Familie die Wahl gewinnen
Dieter Stein

Im Umfeld des Bundeskanzlers Gerhard Schröder bereitet man sich offenbar fest auf eine Auseinandersetzung mit Edmund Stoiber als Kanzlerkandidaten vor. Nicht nur kann Edmund Stoiber als Ministerpräsident des Parade-Bundeslandes Bayern dem SPD-Chef bereits alleine politisch gefährlich werden. Er verkörpert zudem im Gegensatz zu dem bereits zum vierten Mal verheirateten Kanzler den idealen Familienmenschen. Im Gegensatz zum zigarrerauchenden, Currywurst mampfenden "Hoh-mir-ma-’n-Bier"-Kanzler verkörpert Stoiber – anders als sein lebenslustiger Ziehvater Franz Josef Strauß – den fast protestantisch-asketischen Tugend-Mann, der sich bei Bierzeltauftritten unauffällig Biergläser mit Kräutertee servieren läßt, damit er auch beim nächsten Auftritt noch nüchtern bleibt.

Nun läuft sich die PR-Maschine der SPD-Wahlkampfzentrale bereits warm. Seit Wochen lanciert der Pressestab des Kanzlers Meldungen über die Boulevardpresse an die Öffentlichkeit, die den zuvor einsamen und kalten Machtmenschen warm und menschlich illuminieren. Da tauchen bislang unbekannte Cousinen Schröders auf, die in der DDR gelebt hatten. Es kommt zu herzzerreißenden Wiedersehensszenen – bei denen die Medien merkwürdigerweise mit gutplazierten Kameras dabei sind. Da wird plötzlich das verschollen geglaubte Grab des Vaters in Rumänien aufgetan – eine billige PR-Farce wirft der Werbeprofi und ehemalige CDU-Wahlkampfmanager Joachim Siegerist dem SPD-Kanzler vor.

Siegerist (siehe auch Interview Seite 4) hält die Familiensaga für ein wohlinszeniertes und abgekartetes Spiel der Abteilung Öffentlichkeitarbeit der SPD. Einiges – wie die aufgetauchten Cousinen – wird sich zufällig ergeben haben. Die Entscheidung, es öffentlich zu vermarkten, ist jedoch mit Sicherheit politisch gefallen. Daß dies heute gemacht wird, ist Kennzeichen der weiter anhaltenden Amerikanisierung unserer Wahlkämpfe. Man kann und muß das beklagen, aber es ist so. Demoskopen haben festgestellt, daß viele Wähler ihre Wahlentscheidung zu einem erheblichen Maße nicht von rationalen Erwägungen abhängig machen, sondern auch von emotionalen Aspekten: Welcher Spitzenkandidat ist mir sympathischer, welcher sieht besser aus, welcher ist liebenswürdiger? Ein Politiker, der seine private Seite verschließt, wie es beispielsweise der Bundesumweltminister Jürgen Trittin in vorbildlich reaktionärer Weise tut, macht keinen Stich mehr.

Also werden die Ehefrauen, auch wenn es manchmal nur noch Zweckehen sein mögen, an die Front geschickt, Kinder vor die Kamera gezerrt und selbst frisch entdeckte Cousinen ausgeschlachtet, um emotional Boden gegenüber dem Konkurrenten gutzumachen. Jedes Mittel scheint da recht zu sein.

Eines verdanken wir dem Bundeskanzler auf jeden Fall: Man kann sich wieder zu seinen Vätern und Großvätern, die in der Wehrmacht gekämpft haben, auch am Arbeitsplatz bekennen, indem man Fotos in Uniform auf den Schreibtisch stellt. Zur Nachahmung empfohlen!


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