© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/01 01. Juni 2001

 
Im Guten wie im Bösen
Hans Josef Horchem: Kinder im Krieg. Kindheit und Jugend im Dritten Reich
Werner Olles

Als Angehöriger der "Erlebnisgeneration" schildert der Jurist Hans Josef Horchem – zwischen 1969 und 1981 Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz in Hamburg und später Direktor des "Instituts für Terrorismusforschung" in Bonn – seine "Kindheit und Jugend im Dritten Reich". Was der Autor Revue passieren läßt, ist "eine Kette von Bildern, von Vorkommnissen, Ereignissen, an Dokumenten nicht festgemacht, als Erlebnisse einfach nur zeitlich orientiert", wie Rüdiger Proske es im Vorwort beschreibt: "Deutsche Geschichte in Form von Geschichten, wie sie ein junger Mensch, der 1927 geboren wurde und in das Mahlwerk des Dritten Reiches geriet, erlebte und das Glück hatte, lebend dem Desaster zu entkommen."

Während es das Berufsmerkmal der "in ihrer intellektuellen Sensibilität durch den dogmatischen Rigorismus allzu beschädigten" deutschen Historiker sei, "zu klischieren oder zu schweigen", sieht Proske in Horchems Buch "ganz ungewollt ein Dokument gegen jeden Versuch, dem deutschen Volk eine Kollektivschuld aufzudrängen". Zumal sich auch noch spannend liest, wie der Autor in einer Art "Geschichtschreibung von unten" seine frühen Jahre im Bergarbeiterstädtchen Mechernich in der Nordeifel schildert. Anschaulich beschreibt er, wie in diese Welt der absoluten Macht der katholischen Kirche der Nationalsozialismus einbrach. Wie er das Aufeinanderprallen dieser sich völlig ausschließenden Systeme schildert: "In Mechernich und in den Dörfern der Voreifel war die Distanz zu den Protestanten größer als zu den Juden", wie er diese Welt der Autorität, der Einfachheit, der harten Arbeit, aber auch der Feste beschreibt, dies mag für den flüchtigen Leser vielleicht etwas romantisierend klingen, aber so war es nun einmal. Natürlich ist diese Welt heute verschwunden, aber wer wie der Rezensent das Glück hatte, einige Jahre in Mechernich zu leben, kann Horchems Beobachtungen nur bestätigen.Tatsächlich gab es hier auch während des Dritten Reiches keine antisemitische Atmosphäre, obwohl die "Reichskristallnacht" auch vor Mechernich nicht haltmachte, und obwohl auch hier jüdische Nachbarn "plötzlich verschwunden waren". Niemand wußte genau, was mit ihnen geschah, es gab nur manche verdrängten Ahnungen. Recht ausführlich dokumentiert der Autor den katholischen Widerstand, der von skeptischer Distanz bis zu offener Konfrontation reichte, nachdem man 1938 die Kreuze aus den Volksschulen entfernte und das morgendliche Schulgebet abgeschafft wurde.

1943 zur Heimatflak eingezogen, kamen Horchem und seine gleichaltrigen Freunde noch in den letzten Kriegsjahren zur Wehrmacht. Auch dies beschreibt der Autor ungeschönt und mit großer Wahrhaftigkeit. Die Einsätze, empfanden fast alle der Jungen zunächst keineswegs als Katastrophe, sondern als großes Abenteuer. Und ihr Mut und ihre Opferbereitschaft galten dem bedrohten und bedrängten Vaterland und nicht dem Regime oder gar dem Führer. Horchems wenig pathetisches, eher resignatives Resümee zum Schluß: "Wenn man zur Nation gehört, dann gehört man zu ihr im Guten wie im Bösen."

 

Hans Josef Horchem: Kinder im Krieg. Kindheit und Jugend im Dritten Reich. Verlag Mittler, Hamburg 2000. 256 Seiten, Abb., geb., 48 Mark


 
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