© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/01 01. Juni 2001

 
Pankraz,
Sean Connery und die Hebammenkunst

Fasziniert ist Pankraz von dem Plan des legendären James-Bond-Darstellers Sean Connery, einen großen Spielfilm über Sokrates zu drehen, mit sich selbst in der Hauptrolle. Der griechische Komponist Vangelis, ein Freund Connerys, will die Musik dazu schreiben. Ein Regisseur ist (noch?) nicht benannt. Es scheint auch bis jetzt keine philosophischen Fachberater zu geben.

Weiß Connery eigentlich, worauf er sich da eingelassen hat? Wo soll der Plot für seinen Film herkommen, was für eine Handlung stellt er sich vor? Das Lehen des Sokrates war doch fast gänzlich handlungsfrei, bestand aus nichts als Reden. Reden und noch einmal Reden. Und das, worüber Sokrates redete, ist doch heute so unpopulär wie nur möglich, interessiert nicht die Bohne.

Connery und Vangelis sagen, Sokrates sei ursprunglich ein "Hedonist" gewesen, also ein ganz unpolitischer und asozialer Typ, dem es nur um die Glückseligkeit des einzelnen gegangen sei und der sich erst später zur Tugendhaftigkeit bekehrt habe. Darin liege Dramatik, das sei aktuell, das lohne einen Film.

Daran ist soviel wahr, daß Sokrates’ Argumentation tatsächlich stets extrem subjektivistisch war. Es lag ihm völlig fern, seine Gesprächspartner nach der altmodischen konservariven Art abzuspeisen, daß es darauf ankomme, den Göttern zu gehorchen und sich dem Wilien der Polis, der Gemeinschaft, unterzuordnen. Sein Thema war stets der einzelne und wie der zum Glücke kommen könne.

Aber die gleichsam kopernikanische Wende war nun, daß Sokrates dem Glücklichsein einen völlig neuen Inhalt gab, es nicht im entferntesten mehr im Bereich der Sinnlichkeit oder der Politik ansiedelte, nicht in gutem Essen und Trinken und nicht im Verkehr mit schönen Frauen und auch nicht im Machterwerb und im Machtausüben, ja, nicht einmal darin, daß man gute Freunde fand, mit denen man offen reden konnte, bei denen man sich verstanden und gut aufgehoben wußte.

Selbstverständlich ging Sokrates bei der Herausarbeitung und Sicherung dieser neuen Position nicht hinter das von der zeitgenössischen Sophistik erreichte Reflexionsniveau zurück, setzte sich nicht dem Vorwurf aus, er rede einfach so dahin, ohne der Untiefen gewahr zu werden, die im Reden, Argumentieren und Thesenaufstellen liegen. Statt dessen griff er, scheinbar ganz unbekümmert, voll hinein in die Argumentationskiste der sophistischen Sprachphilosophie, deren Pointe darin bestand, daß die Sprache, mit strengster Konsequenz auf sich selber angewendet, keine Auskunft über die Welt gebe, ins totale Nichtwissen führe.

Sokrates akzeptierte das und thematisierte es. "Ja", sagte er, "ich weiß, daß ich nichts weiß" – und unvermerkt verschob er den Akzent, indem er betonte: "Ich ... weiß, daß ich nichts weiß." Ich weiß es, die anderen wissen es offenbar nicht, weshalb sie dann mit prunkvoller Rhetorik daherschwadronieren und sich wichtig machen.lch, Sokrates, tue das nicht. Mir als ehrlich Unwissendem bleibt nur eines: zu fragen, zu fragen und immer wieder nur zu fragen.

Ich, so machte er seinen Zuhörern klar, betätige mich weder als prunkvoller Vortragskünstler noch als schlauer Politiker, sondern lediglich als Hebamme und als Steinmetz. Ich bin ja einfacher Leute Kind, meine Mutter war Hebamme und mein Vater war Steinmetz. Von denen habe ich gelernt, und was die mich gelehrt haben, war Hebammenkunst bzw. Steinmetzkunst. Wir können als arme, grundsätzlich Nichtwissende nur eines tun: fragen und durch Fragen dazu beitragen, daß etwas an den Tag kommt, das sich lohnt, daß man weiter fragt. Nur so, durch ständiges Befragen des Rätsels, des Orakels, welches die Welt ist, gewinnen wir Boden, auf dem wir uns – zumindest für eine Weile – sicher fühlen dürfen.

Die sokratische Hebammenkunst wendete sich durchaus auch auf sich selbst. Weshalb, so fragte sie, frage ich denn dauernd, weshalb lasse ich es mit meinem Nichtwissen nicht genug sein? Ich kannn mich doch auch im Nichtwissen (plus einigen Verhaltenstricks) ganz gemütlich einrichten. Weshalb frage ich trotzdem, wo kommt dieser Stachel her?

Darauf nun "antwortete" Sokrates mit einem Maskenspruch, bzw. er ließ diese Frage beantworten, und zwar von Diotima, einer Seherin, einem leibgewordenen Orakel. Und dieses Orakel antwortete: Es ist Eros, der die Menschen antreibt, das Nichts zu überwinden, das das Sein und die Sprache für sich selber sind, die Liebe also, die unendliche Lust auf Vereinigung mit dem Sein, die zugleich dessen Erhellung wäre, eine wahre Seligkeit, eben die Glück-Seligkeit.

Nach der Vereinigung mit dem Sein, also nach Erkenntnis, zu streben, ist höchste Glückseligkeit und höchste Tugend zugleich. Etwas, das darüber hinaus geht, gibt es nicht, und wer sich das bewußt gemacht hat, den kann nichts mehr aus der Ruhe bringen und der wird auch bereit sein, für dieses Erfülltsein vom Eros der Erkenntnis Opfer zu bringen, der wird unter Umständen sogar bereit sein, dafür Unrecht zu leiden.

Unrecht tun hingegen ist Verrat am Sein wie am Eros, Absturz in die Vergessenheit seines Angedenkens, und nichts im Leben kann uns diese Vergessenheit, diese Liebes- und Erkenntnisferne ersetzen, nicht Reichtum und nicht Macht, nicht Ruhm und am allerwenigsten der nackte Lebenserhalt. Wir wissen zwar nicht, was im Tode uns erwartet, aber etwas Schlimmeres als bewußte, verräterische Liebes- und Erkenntnisferne kann es nicht sein.

Noch einmal gefragt: Wie will Sean Connery denn so etwas in einen Film bringen, der ein modernes Publikum findet? Bloße James-Bond-Qualitäten reichen dazu bestimmr nicht. Aber immerhin, der Wille zu solcher Unternehmung ist lobenswert, und vielleicht verhilft die Musik von Freund Vangelis zum künstlerischen Durchbruch.


 
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