© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/01 01. Juni 2001

 
Vom Scharmützel zum Bürgerkrieg
Mazedonien: Die ehemalige jugoslawische Teilrepublik am Abgrund / Am Ende könnte ein Groß-Albanien entstehen
Carl Gustaf Ströhm

Die jüngsten "Frontberichte" aus Mazedonien erinnern – der empfindsame Leser möge verzeihen – in fataler Weise an deutsche Wehrmachtsberichte über den Partisanenkrieg auf dem Balkan in den Jahren 1943/44. Da ist jetzt wie damals von "Mördern", "Banditen" und "Terroristen" die Rede, die es, koste es, was es wolle, auszuschalten gelte. Da werden, hauptsächlich von der mazedonischen Armee, immer neue "Siegesmeldungen" hinausposaunt – aber auf jeden "Sieg" folgt ein neues Aufflammen der Kämpfe.

Jeder militärisch einigermaßen beschlagene Beobachter der Kämpfe zwischen mazedonischer Armee und albanischen "Extremisten" (oder "Freiheitskämpfern"?), weiß, daß es sinnlos ist, mit Kanonen aus dem sicheren Tal in die Bergwände hineinzuschießen, wie das jetzt täglich geschieht. Es ist nämlich leichter, eine Stecknadel im Heuhaufen zu finden, als eine bewegliche, mit dem Gelände vertraute Truppe in den "Schluchten des Balkan" aufzuspüren. Hier gäbe es nur ein wirksames Mittel: Bergrücken für Bergrücken mit Infanterie durchzukämmen. Das aber müßte mit eigenen Verlusten – auch Toten! – bezahlt werden. Dazu sind aber weder die mazedonische Regierung noch erst recht Nato oder Kfor bereit.

Um eigene Verluste zu vermeiden, hat die Kfor-Truppe darauf verzichtet, selber in die bisherige "Pufferzone" zwischen Jugoslawien (Serbien) und dem Kosovo einzumarschieren, um dort die albanischen Freischärler trockenzulegen. Man überließ diese Aufgabe ausgerechnet der jugoslawischen (serbischen) Armee. Das brachte der Nato zwar für den Moment Erleichterung (Vermeidung eigener Verluste), heizte jedoch den Haß zwischen Albanern und Serben noch mehr an. Für diesen Haß aber wird dem Westen so oder so eines Tages die Rechnung präsentiert.

Der außenpolitische EU-Beauftragte Javier Solana lieferte in Skopje einen Beitrag von unfreiwilliger Komik, als er – ein trefflicher Beschwichtigungsrat – den "guten Willen" aller am Konflikt Beteiligten betonte, gleichzeitig aber zugab, daß "immer noch einige Differenzen bestünden". Inzwischen steht die auf westlichen Druck zustande gekommene mazedonische "Regierung der Nationalen Einheit" vor dem Zerfall. Die beiden Albanerparteien in der Regierung haben – offenbar mit Billigung des OSZE-Botschafters Robert Prowick – mit den UÇK-Rebellen verhandelt. Der Amerikaner mußte deshalb Mazedonien Hals über Kopf verlassen, und der mazedonische Premier Ljupco Georgijevski erklärte, man werde das Freischärlerproblem mit "militärischen Mitteln" lösen. Innenminister Ljube Borkowski bezeichnete den Konflikt gar als eine "aus den Kosovo importierte Krise mit kriminellem Hintergrund".

Das allerdings ist viel zu kurz gegriffen. Die jungen Albaner, die in den Bergen gegen die slawischen Mazedonier kämpfen, sind offenbar keine Landfremden, sondern entstammen der albanischen Volksgruppe aus Mazedonien. Wenn jetzt die Armee die von Albanern besiedelten Bergdörfer systematisch zusammenschießt, dann verhilft sie damit den "albanischen Extremisten" zu neuem Zulauf: die jungen Albaner, die sehen, wie die Häuser ihrer Landsleute – und womöglich ihrer eigenen Familie – in Flammen aufgehen, haben ein starkes Motiv, zu den Waffen zu greifen.

Hinzu kommt, daß es unter den Albanern ein Heer von Hunderttausenden junger Arbeitsloser gibt, die keine zivile Zukunftsperspektive haben. Man kann sie als Banditen und Kriminelle beschimpfen – aber damit ist das Problem nicht gelöst.


 
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