© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/01 25. Mai 2001

 
Dschungel-Trauma
Kino I: "Tigerland" von Joel Schumacher
Claus-M. Wolfschlag

Amerika 1971. Junge Rekruten werden in Louisiana für den Dschungelkrieg in Vietnam ausgebildet. Bald wird man die jungen Männer in den Krieg schicken. Eine Zukunftsperspektive, mit der jeder anders umgeht. Der Soldat Jim Paxton (Matthew Davis) erhofft sich von seinem Einsatz schriftstellerische Inspiration, beschreibt sämtliche Begebenheiten seiner Ausbildung in seinem Notizbuch. Als Vorbilder dienen ihm hierbei die Berühmtheiten Ernest Hemingway und James Jones. Miter (Clifton Collins jr.) ist dagegen beseelt von der Vorstellung, seinen Mannesmut zu beweisen. Während Wilson (Shea Whigham) eine aggressive Tötungslust entwickelt, betrachtet Cantwell (Thomas Guiry) sein Schicksal als unvermeidlich. Als der rebellische Roland Bozz (Collin Farrell) zu der Einheit stößt, prallen die Meinungsfronten aufeinander. Bozz möchte nach seiner Basisausbildung die Armee verlassen und inszeniert hierfür kleinere Protestaktionen.

Ein altbekanntes Thema des US-Films, dessen sich Joel Schumacher nun angenommen hat. Irgendwo hat man das alles schon einmal gesehen. Die hurenden Rekruten, der sadistische Ausbilder, die vertuschende Maschinerie der Armeehierarchie, die Nervenzusammenbrüche. Auch die ermüdende Anreicherung der Dialoge mit Fäkalausdrücken läßt eher auf spezifische systemimmanente Probleme der US-amerikanischen Gesellschaft schließen als Spannung aufkommen. Aus diesem Moment des geringfügigen Überraschungs- und Unterhaltungswertes von "Tigerland" scheint es einzig interessant, den Streifen hinsichtlich seiner psychologischen Darstellung analytisch zu betrachten. Regisseur Schumacher, bekannt geworden unter anderem durch "Flatliners", "Falling Down" und mehrere "Batman"-Verfilmungen, hat sich seit einiger Zeit bemüht, von Big Budget-Filmen fortzukommen. "Tigerland", in 28 Tagen auf einer Militärbasis in Florida gedreht, wurde deshalb von den Ideen der "Dogma 95"-Bewegung des dänischen Regisseurs Lars von Trier inspiriert. Ohne künstliche Beleuchtung, Spezialeffekte und Make-up, bei weitgehendem Verzicht auf Stative gedreht, weist der Film deshalb eine grobkörnige Video-Ästhetik auf.

Drehbuchautor Ross Klavan schrieb das Skript aufgrund eigener Erfahrungen, nachdem er sich zur Reservearmee gemeldet hatte. In "Tigerland", dem Ausbildungscamp in den Urwäldern Louisianas, konnte er beobachten, wie der Militärapparat "die Jungs in den Krieg schaufelte". Laut Klavan "gab es sehr viel Fatalismus (hinsichtlich des Kriegs) und nur wenig Patriotismus. Die Jungs gingen hin, weil sie keine andere Wahl hatten." Der Filmheld Roland Bozz wurde deshalb als eine Person angelegt, die sich weigert, ihr Schicksal als unausweichlich zu akzeptieren. Zugleich übernimmt er trotz härtester Prüfungen die moralische Last, die auf seinen jungen Kameraden liegt, auf seine eigenen Schultern. In seiner etwas naiven Gleichsetzung von "Normalität" mit "Wahrhaftigkeit" bewertet Regisseur Schumacher Bozz als "eine relativ normale Person in einer völlig unnormalen Situation".

"Tigerland" zeigt das Wesen des Militärapparates als Maschinerie menschlicher Deformation. Diese Deformation ist bereits in den Menschen angelegt, wird aber durch bestimmte zwischenmenschliche Strukturen gefördert und offengelegt. Kein gewöhnlicher Mensch würde freiwillig Schlamm essen oder sein männliches Glied herhalten, um diesem mittels Elektroschockern einen schmerzhaften Stromschlag verpassen zu lassen. Kaum jemand würde sich ohne Gegenrede als "Arschloch" oder "Mutterficker" beschimpfen lassen. In der militärischen Struktur geschehen diese völlig widernatürlichen Dinge aber dennoch, und zwar als Alltagserfahrung. Der Einzelne ordnet sich einer "höheren" Struktur unter, deren erkennbarer Inhalt allein die Auslöschung des persönlichen Willens und der Widerstandskraft ist. Konflikte werden auf den primitivsten Ebenen gelöst, also nicht durch Darlegung der verschiedenen Situationen beider Parteien, sondern indem die eine Seite körperliche Strafe androht oder gar direkt vollzieht. Als Fazit bleibt, daß Menschen wie Roland Bozz sehr selten sind, die Masse dagegen ohne starke Persönlichkeitsstruktur lebt, den sie beherrschenden Strukturen hilflos ausgeliefert. Diese Negativerfahrung wird schließlich kompensiert, um sie ertragen zu können – zur Flucht in den gelegentlichen Exzeß, in Schadenfreude gegenüber denjenigen, denen es noch schlechter geht, in Aggression gegen jene, die einem den Spiegel vorhalten.

"Tigerland" zeigt all jene Tendenzen exemplarisch. Doch solche Erkenntnis ist im dargestellten Zusammenhang kaum neu, ebenso wie Thema und Dramaturgie des Streifens nur schon zahlreich gesehene Abläufe zeigen. Dadurch ist Schumachers ambitionierter Film aber letztlich überflüssig geworden.


 
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