© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/01 25. Mai 2001

 
CD: Rock
Überlebenskunst
Silke Lührmann

Politik erfordere Überzeugung, Kunst aber Zweifel, formuliert Ronan Bennett, der es als Nordire und Schriftsteller wissen muß. Dem Zweifel hat Nick Cave auf seinem neuen Album "No More Shall We Part" abgeschworen. Damit lebt er gesünder und schadet seiner Kunst.

Um so heftigere Zweifel befielen die Musikkritiker, die nicht recht wußten, was sie mit dieser gefälligen Hymnensammlung des einstigen Punks anfangen sollten. Ein Schritt in eine interessante neue Richtung, hieß es vorsichtig, während so eingefleischte Fans wie der legendäre Radio-DJ John Peel der Scheibe gar nichts abzugewinnen vermochten. Und als Nick Cave & The Bad Seeds kürzlich wieder einmal in der alten Wahlheimat gastierten, waren es vor allem die rauheren Klänge des 1997er Albums "The Boatman’s Call", die das Publikum aus bornierten Berlinern und bierseligen Exil-Australiern begeistert mitrissen.

Nach eigenem Bekunden liest der gebürtige Australier jeden Tag in der Bibel. Früher schien ihn eher das Satanische am Schöpfungswerk zu beschäftigen; die "schlechte Saat", nach der seine Band heißt . Inzwischen hat er sich mit Titeln wie "God is in the House" und "Halleluia" ganz auf die Seite Gottes geschlagen: "ein völlig irrationales Prinzip, aber gerade das macht es für mich so interessant".

Die Umbenennung in Nick Cave & The Good Seeds steht allerdings noch aus, und richtig froh klingt die Botschaft nicht, die er verkündet. Im Gegenteil: Den düsteren Ton gibt hier die Trauer an, so melodiös und griffig, wie sein Zorn nie verpackt war. Der Titelsong etwa besingt keine geglückte Beziehung, sondern eine schon vollzogene Trennung. Er habe sich "ein Büro zugelegt", verrät Nick Cave. "Fünf Tage in der Woche setze ich mich morgens um neun an den Schreibtisch und verlasse das Büro abends um sechs. Ich gucke immer aus demselben Fenster."

Trost spendet da ein anderer Veteran des Rock’n’Roll-Geschäfts: Auch Neil Young hat seine wildesten Jahre überlebt. Aus der Ferne sehen sich die beiden langhaarigen Musiker sogar beinahe zum Verwechseln ähnlich. Von der Presseabteilung seines hiesigen Konzertveranstalters zum "Godfather des Grunge" befördert – wohl um ihn von dem derzeit schlecht verkäuflichen Image des Althippies zu befreien –, zeigt Neil Young allerdings immer noch einen zauberhaften Mut zur sonst so verhöhnten und verpönten Naivität.

Obwohl er in diesem Sommer mit Crazy Horse auf Tournee geht, ist es die allererste Band, der seine Reue gilt: "We were young and we were wild / It ate us up", singt er in "Buffalo Springfield Again" und erzählt, wie er im Radio eines ihrer alten Stücke gehört hat. Mit "Silver & Gold" hat Neil Young ein Album vorgelegt, dessen Lieder mehr von Ankunft als von Aufbruch handeln, auch wenn ihnen eine Wehmut nachhallt, als würden sie sich nach den Morgengrauen des verflogenen Jahrtausends sehnen.

Im Hintergrund der Kleinstadtballade "Red Sun" kommen die Country-Röhren Linda Ronstadt und Emmylou Harris zu Wort. Mittendrin sind ein paar blassere Nummern versteckt, aber insgesamt tritt "Silver & Gold" würdig die Nachfolge von Klassikern wie "Harvest" und "After the Goldrush" oder auch den Achtziger-Höhepunkten "Freedom" und "Rust Never Sleeps" an.

Für Nirvana und die Foo Fighters, für Kurt Cobains zahl- und heillose Epigonen übernimmt Neil Young hier eine höchst unverbindliche Patenschaft. In Texten und Arrangements von entwaffnender Simplizität – so bodenständig wie Vaters Cordhose und altes Karohemd in "Daddy went walkin" – feiert er die gereifte Liebe und die einfache, unendlich schwierige Freude, noch am Leben zu sein: Ein Mann, der nicht auf Gott zu setzen braucht, weil er das Vertrauen in die Menschen nicht verloren hat.


 
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