© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/01 25. Mai 2001

 
Beschlüsse aus der hohlen Hand
"Kampf gegen Rechts": Verfassungsschutz in Thüringen infiltriert NPD / Rechte Verleger in Coburg zu "unerwünschten Personen" erklärt
Ronald Gläser

Fast alle Landesämter für Verfassungsschutz haben einen eigenen Internetauftritt – außer Thüringen. Auf den ersten Blick läßt sich über diese Behörde in dem mitteldeutschen Freistaat nur eine Postfachadresse herausfinden. Auch die Landesregierung schweigt sich über ihren Nachrichtendienst aus. Geheimhaltung wird hier großgeschrieben.

Dafür verfügen die Verfassungsschützer über ein ansehnliches Budget und beste Kontakte in die lokale Szene von Politaußenseitern. Der thüringische NPD-Landesvize Tino Brandt soll bis Anfang Mai für das Amt gearbeitet haben. Bis zu 40.000 Mark jährlich soll der 26jährige für seine Dienste erhalten haben. Der Thüringer Verfassungsschutz-Präsident Sippel meinte dazu:"Wir brauchen V-Leute, die dabei sind, wenn in den rechten Organisationen Entscheidungen fallen. Aber diese Leute dürfen nicht selbst die Entscheidungen treffen", warnte Sippel. Der Verfassungsschutz ziehe einen großen Teil seiner Informationen aus solchen Kontakten und müsse dafür auch zahlen. Nachdem er nun aufgeflogen ist, hat Brandt seine Parteimitgliedschaft beendet.

Schon letztes Jahr ist den Behörden ein kapitaler Fehler unterlaufen. Damals wurde der rechtsradikale Scharfmacher Thomas Dienel als V-Mann enttarnt. Für die NPD steht fest, daß sie gezielt von Extremisten unterwandert wird. Deren Auftreten soll Argumente für das laufende Verbotsverfahren liefern. Ferner sollen "Zerwürfnisse und Mißtrauen unter Freunden" gesät werden, so Thüringens NPD-Chef Frank Schwerdt. Selbst PDS-Abgeordnete bemängeln, daß die Grenze zwischen "Verfassungsschutz und rechter Szene" nicht mehr erkennbar sei.

Der Vorfall um Brandt ist auch deshalb prekär, weil dieser seit 1995 beim Buchversand der in Coburg erscheinenden Monatszeitschrift Nation & Europa (N&E)beschäftigt war. Nach Auskunft des Verlagsmitarbeiters Andreas Lehmann verfügt der Buchversand über eine 400.000 Adressen große Interessentenkartei. Die Möglichkeit aber, daß sämtliche N&E-Daten in die Hand staatlicher Kontrollorgane gelangt sein könnten, hält Lehmann für abwegig. "Das bezweifle ich", sagte er auf Anfrage. Die N&E-Herausgeber Harald Neubauer und Peter Dehoust haben überdies nicht nur Ärger mit ihrem ehemaligen Spitzelmitarbeiter. Die SPD-regierte Stadt Coburg ist ihrer überdrüssig. Der Stadtrat hat den Verlag für "unerwünscht" und sie zu "unerwünschten Personen" erklärt.

Dieser mit den Stimmen der CSU gefällte Beschluß hat zwar keine rechtliche Wirkung, weshalb sich die Herausgeber auch betont gelassen geben. Es ist aber bezeichnend für das politische Klima in Deutschland, wenn die Stigmatisierung von Unternehmen, Personengruppen oder Einzelpersonen jetzt schon auf die Tagesordnung von kommunalen Selbstverwaltungsgremien kommt. Folgen den "national befreiten Zonen" ultrarechter Gruppierungen jetzt die "demokratisch befreiten Zonen" im Sinne der politischen Korrektheit? Immerhin haben die zwei FDP-Abgeordneten im Coburger Stadtrat diese neuste Kampagne gegen Rechts nicht mitgetragen.

Manfred Jenke, einer der beiden FDP-Stadträte, erklärte, vor allem aus formalen Gründen gegen die Resolution votiert zu haben. Schließlich bestehe der Verlag seit Jahrzehnten und werde von staatlichen Behörden beobachtet. Gegenüber der JUNGEN FREIHEIT sagte Jenke wörtlich: "Wenn die dem Verlag nichts anhängen konnten, und wenn wir noch Demokratie sein wollen, dann können wir nicht aus der hohlen Hand solche Beschlüsse fassen."


 
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