© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/01 25. Mai 2001

 
Der Mythos ist tot
Terrorismus: Die Verflechtung mit der Stasi war das Ende der RAF
Werner Olles

Zehn Jahre nach dem Mord an dem Chef der Treuhandanstalt, Detlev Karsten Rohwedder, ist es dem Bundeskriminalamt gelungen, mit einer molekulargenetischen DNS-Analyse eine Haarspur dem früheren Mitglied der terroristischen "Rote Armee Fraktion" Wolfgang Grams, der sich 1993 auf dem Bahnhof in Bad Kleinen durch Selbstmord seiner Festnahme entzog, zuzuordnen. Das BKA hofft nun, die noch ungeklärten RAF-Morde an dem Rüstungsunternehmer Ernst Zimmermann (1985), dem Siemens-Manager Karl Heinz Beckurts und seinem Fahrer Eckhart Groppler (1986), dem Diplomaten Gerold von Braunmühl (1986) und dem Vorstandssprecher der Deutschen Bank Alfred Herrhausen (1989) mit den neuen gentechnischen Ermittlungsmethoden aufzuklären.

Wie ein Paukenschlag ist damit die Erinnerung an die "bleiernen Jahre", den "deutschen Herbst", wie der mörderische Terrorismus der RAF von mehr oder weniger sympathisierenden Links-Intellektuellen euphemistisch bezeichnet wird, ins Bewußtsein zurückgekehrt. Was am 14. Mai 1970 mit der gewaltsamen Befreiung des wegen Kaufhausbrandstiftung in Frankfurt zu drei Jahren Haft verurteilten Andreas Baader im West-Berliner Zentralinstitut für Soziale Fragen begann – der 62jährige Institutsangestellte Georg Linke wurde damals durch einen Lebersteckschuß lebensgefährlich verletzt –, hatte durchaus eine intellektuelle Vorstufe. Die Idee der Stadtguerilla stammte, zumindest was den westdeutschen Zusammenhang betraf, aus dem SDS. Im Herbst 1967 hatten Rudi Dutschke und Hans-Jürgen Krahl diese Theorie als "Element einer Bewußtseinsstrategie" definiert, deren Stellenwert sich aus der Militanz ihrer "propagandistischen Funktion" ergeben und nicht in der "materialiter zerstörenden Kraft der Gewalt" liegen würde. Reduziert auf "Selbstbehauptung und Selbstverteidigung" sollte der Partisanenkrieg dieser "revolutionären Bewußtseinsgruppen" jedoch nicht zum Prinzip erhoben werden, da militärische Kommandostrukturen notwendig alle emanzipatorischen Ansprüche liquidieren würden.

An diese intellektuelle Vorwegnahme der Stadtguerilla als "Waffen-SDS" hielt sich die RAF allerdings nicht, obwohl auch sie ihre Bomben "ins Bewußtsein der Massen" werfen wollte. Doch bereits ihre spektakulär mit der Baader-Befreiung begonnene Praxis als klandestine Organisation ließ sich nur an militärischen Kriterien messen. Noch stärker galt dies für die weiteren Aktionen: die Guerilla-Ausbildung in einem Lager der "Volksfront für die Befreiung Palästinas" (PFLP) in Jordanien – und später auch in der DDR – als Vorbereitung des bewaffneten Kampfes, die Finanzierung der militärischen Organisation durch Raubüberfälle und schließlich die Terroraktionen der Gruppe in der BRD. Mit diesem Konzept distanzierte sich die RAF von der Neuen Linken, die die Illusion, es könnte ein bewaffneter Aufstand gegen die Bundesrepublik Deutschland unternommen werden, mehrheitlich nicht teilte.

Die folgende Auseinandersetzung der Staatsmacht mit der RAF war geprägt vom absoluten Siegeswillen der Gründergeneration um Ulrike Meinhof, Horst Mahler und Andreas Baader und auf der Gegenseite von einem verunsicherten Staat, der sich vehement scheute, die notwendige Unterscheidung zwischen "gewöhnlicher" Kriminalität und politisch motiverter Gewalt, die direkt in das Herz des Staates zielte, zu treffen. Zwar wurde die noch in den Kinderschuhen steckende Terrorismusforschung intensiviert, aber durch das – im Vergleich zu Ländern wie Italien oder Japan, die mit ähnlichen Phänomenen konfrontiert waren – moderate Auftreten der Polizei entstanden staats-freie RAF-Refugien wie die Hamburger Hafenstraße oder die Düsseldorfer Kiefernstraße, die von den Behörden nicht nur geduldet, sondern mit öffentlichen Mitteln subventioniert wurden. In der zweiten RAF-Generation entfaltete sich eine kalte Killermentalität mit zunehmend mafia-ähnlichen Methoden, die weitgehend auf frühere Rechtfertigungsrituale verzichtete. Während die Morde an dem Bankier Jürgen Ponto, dem Generalbundesanwalt Siegfried Buback und dem Rüstungsmanager Ernst Zimmermann bei den durch Mitläufertum und Gefolgschaftstreue sich auszeichnenden notorischen Sympathisanten noch die Illusion des "bewaffneten Kampfes" hervorriefen, war dies bei der Ermordung Rohwedder, der aus sechzig Meter Entfernung mit einem Gewehr mit Zielfernrohr erschossen wurde, kaum noch möglich. Sichtbar geworden war die Mutation der RAF-"Revolutionäre" zu Mafia-Killern bereits zuvor durch das hinterhältige, feige Attentat auf Herrhausen.

Als 1990 zehn ehemalige Mitglieder der RAF in der früheren DDR festgenommen wurden, die zum Teil schon seit vielen Jahren in Ost-Berlin, Frankfurt/Oder, Magdeburg und anderen Orten unter falschen Namen lebten, erlitt die Legendenbildung um die RAF eine weitere Schlappe. Die Linke hatte zwanzig Jahre fasziniert dem Mythos RAF gehuldigt – die Literatur darüber spricht Bände –, und nun wurde offenbar, daß sich ihre heimlichen Helden, betreut durch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS), in aller Ruhe eine (scheinbar) gesicherte kleinbürgerliche Existenz aufgebaut hatten. Und nicht nur das: Ein Offizier der Abteilung XXII des MfS sagte aus, daß seit 1981 RAF-Kader auf einem offiziellen Übungsgelände der Staatssicherheit an Schußwaffen und Panzerfäusten ausgebildet wurden und bis Mitte der achtziger Jahre in Ost-Berlin Treffen zwischen MfS-Funktionären und Terroristen stattfanden. Dabei wurde über Hilfestellung für Anschläge gegen amerikanische, israelische und westdeutsche Ziele verhandelt.

Die bis heute anhaltende Diskussion über die Beteiligung von Stasi-Leuten an dem Anschlag auf Treuhandchef Rohwedder gibt gewiß Anlaß zu Überlegungen und Recherchen. Teil einer geschickt lancierten Desinformationskampagne ist dagegen die Hypothese, frühere Banküberfälle und Anschläge wären der Gruppe von geheimen Kräften im westdeutschen Staatsapparat untergeschoben worden. Die Erklärung dafür, daß es den Terroristen jahrelang glückte, unterstützt, wenn nicht gesteuert von östlichen und arabischen Geheimdiensten ihre Spuren gründlich zu verwischen, ist vielmehr, daß die DDR neben anderen Ostblock- und arabischen Staaten für die RAF ein sicheres Hinterland darstellte. Der Verlust dieser Rückzugsgebiete, inklusive der logistischen Unterstützung, war der Hauptgrund dafür, daß sie im April 1998 ihr Scheitern eingestand und ihre Auflösung erklärte. Daran ändert auch die Neuauflage der RAF, die sich nach erst jetzt öffentlich gewordenen Erkenntnissen ein Jahr später mit einem spektakulären Raubüberfall zu Wort meldete, nichts.


 
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