© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/01 18. Mai 2001

 
Muttertag: Melancholische Nachbetrachtungen zu einem Feiertag
Charakterschwache Jungmänner
Jutta Winckler

Am vergangenen Sonntag bekam Johanna Simons Besuch von ihrem Sohn Hendrik. Wie jedes Jahr brachte er Blumen, sagte "Danke, Mama" und nahm sie in den Arm. Das haben alle Mütter gerne, nicht bloß am Muttertag. Der Sohn heißt Hendrik Nikolas Simons, genannt "Heintje", und war unter diesem Künstlernamen ein gefeierter Schlagerstar der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts.

Heute ist Heintje-Hendrik 45 Jahre alt und noch immer ein Mamakind. "Maaama, Du sollst doch nicht um deinen Jungen weinen" ist seine Altersversorgung. Der hochtönende Liebling unzähliger Mütter ist älter geworden, und meint, daß "der Muttertag eine Erfindung der Blumenhändler" sei. Weit gefehlt, denn der "Mothering Day" wurde bereits seit dem 17. Jahrhundert in England feierlich begangen und um 1900 in Amerika als offizieller Feiertag eingeführt, 1914 mit Absegnung vom amerikanischen Kongreß – ganz ohne Blumenhändler und Geschenkverkäufer. In Deutschland wurde er 1923 erstmals feierlich begangen.

"Ich bau Dir ein Schloß", sang Heintje, "so wie im Märchen", und singt es nach wie vor auf Butterfahrten, Firmenfeiern und Vereinsjubiläen, denn sein Publikum ist rüstig: Die gestiegene Lebenszeit kommt ihm entgegen. Wenngleich er seine Mama-Hymne ein paar Oktaven niedriger intonieren muß, bekennt er: "Ohne dieses Lied komme ich von keiner Bühne runter." Seine eigenen Kinder von neunzehn, zwölf und acht "lachen immer, wenn sie meine alten Platten hören"; sechs Millionen davon schwappten nach der Maueröffnung 1989 ins "Maaama"-Vakuum zwischen Bad Schandau und Greifswald. Dort hört man zwar die Botschaft, doch mittlerweile fehlen Glaube und Tat. Die Frauen in der Ex-DDR bringen noch weniger Kinder zur Welt (die derzeit BRD oder "unsere Gesellschaft" heißt), als es ihre materiell besser gestellten Geschlechtsgenossinen in der Alt-BRD tun.

Die Selbstwidersprüche, die Lebenslügen des Liberalismus sind nicht länger kaschierbar: Materialismus, Massenabtreibung, Körperkult, Individualismus, Hedonismus, schlagen zu Buche und dies im gesamten "westlichen" Wohlfahrtsgürtel.

In der Antike hat derlei nicht funktioniert. Die Zeiten aber sind andere geworden: Nach zweihundert Jahren "Aufklärung" steht die Gattung sich selbst als nahezu unbegrenzt modellierbare zur wissenschaftlich-technischen Disposition. Die dazu notwendigen politisch-totalitären Rahmenbedingungen sind geschaffen, die spätliberalistische Massendemokratie ist für entsprechende Experimente unbegrenzt belastbar: Was auch geschehen wird – keiner kann mehr verantwortlich gemacht werden. Die Sicherung ausreichender Nachkommenschaft wird besonders hierzulande als primär fiskalische Aufgabe begriffen. Zu nationalen Existenzfragen fällt hiesigen Politikern nichts als Geld ein: Kindergeld, Pflegegeld, Wohngeld, Arbeitslosengeld ... Wer so falsch ansetzt, hat schon verloren und hätte er jährlich Billionen zu verteilen.

Entsprechend der abstrakt-individualistischen Doktrin des Liberalismus ist der soziale Verpflichtungs-Typus "Mutter" diskreditiert worden. Höchst irrational sind die weiblichen Populationen der einschlägigen "Gesellschaften" bereit, sich dem Diktat eines hedonistischen Mammonismus zu unterwerfen. Die stalinistische Eiseskälte, die Luxusgier der "moderierenden" Dreißigerinnen im TV steht prototypisch für die "große Verweigerung". Bei Marcuse wird sie als Mittel zur Vernichtung der Kapitalherrschaft empfohlen, gepaart mit kraftvoll ausgelebter "neuer Sinnlichkeit". Das Gegenteil trat ein: dem warenbezogenen Austoben der Sinnesgenüsse paart sich Aktionärsgesinnung und Mutterschaftsverweigerung. Dummer Marcuse! Idealistischer Verkenner der Frauenseele!

Die psychosozialen Verwerfungen bezüglich des mütterlichen Frauseins haben in der BRD binnen dreier Jahrzehnte signifikant Gestalt angenommen: Die "junge Mutter" findet man nahezu ausschließlich im Umkreis sozial Deklassierter bzw. jener Sippen, die aus dem Ausland zugewandert sind; "Spätaussiedler" aus der vormaligen Sowjetunion stellen hier die größte Zahl junger und jüngster Mütter.

Die "alleinerziehende Mutter" ist epidemisch geworden; die Gründe dafür liegen in der wachsenden Trennungsbereitschaft der Partner, näherhin der Verantwortungsscheu charakterschwacher Jungmänner. 2,5 Millionen solcher meist "sozial schwacher" Mütter weilen derzeit unter uns, wobei davon auszugehen ist, daß die seelischen Folgeschäden ihrer Kinder später von "der Gesellschaft" auszubaden sein werden.

Die "berufstätige Mutter" arbeitet meist teilzeitig, um Spezialbedürfnisse wie Fernurlaube oder Papas Limousine mitzufinanzieren. Leidtragende sind die Kinder, die naturgemäß zeitlich wie emotional vernachlässigt werden, Mehrfachbelastungen nerven.

Die "Nachzügler-Mutter" gehört in die wachsende Gruppe Spätgebärender, die sich unter Assistenz der Apparatemedizin bis in Klimakteriumsnähe den Wunsch meist eines Einzelkindes erfüllen möchten. Weil es exotisch, schick oder hip ist, nach ausgekosteter Jugend, Karriere und Partneranpassung auch noch an der Mutterrolle zu schnuppern. Und nicht selten ist der Katzenjammer groß, wenn das Produkt solch mutwilliger Herbeiführung mehr oder weniger behindert in Erscheinung tritt.

Die "Durchschnittsmutter" hierzulande bekommt laut Statistik als Endzwanzigerin ihr erstes Kind, zunehmend häufig bleibt es das einzige; ein zweites, gar drittes wird in der Regel als massive Bedrohung des Lebensstandard begriffen. Gegen diese konsumistische Logik ist kein Kraut gewachsen. Eine prominente SPD-Bayerin: "Entweder wir denken alle radikal um, oder wir Deutschen sterben in ein paar Generationen einfach aus." Umgedacht wird, doch in die grundfalsche Richtung, fordern doch sattsam bekannte Wortführerinnen des Zeitgeistes, zum Beispiel in Gestalt der Kölner "Familientherapeutin" Annelie Dott, daß der Muttertag zugunsten eines Frauentags "modernisiert" werde, etwa "so wie der Vatertag, der ja auch den Männern ganz allein gehört".

Rechte Zyniker könnten hierzu nach dem Gesetz des Stärkeren bemerken: Radikalliberal zerklüftete "Gesellschaften" bekämpft man nicht, sie gehen an sich selbst zugrunde – sie sterben einfach aus und machen Platz für jene, die vom Leben letztlich mehr verstehen.


 
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