© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/01 18. Mai 2001

 
Parcours der Bilder
Preußen 1701 – Eine europäische Geschichte. Impressionen einer Ausstellung im Berliner Schloß Charlottenburg
Wolfgang Saur

W er die Hofkapelle im Schloß Charlottenburg betritt, sieht sich in einen hochbarocken, festlichen Raum versetzt, dessen Farbenpracht und Gestaltenfülle sich wenig bekümmert um die konfessionsübliche bildnerische Abstinenz des Calvinismus, zu dem sich die Hohenzollern bekannten. Der Baumeister Eosander von Göthe hat bei der virtuosen Gestaltung sein Ausstattungsprogramm kontrapunktisch auf die beiden Schmalseiten hin verdichtet. Erfüllt die südliche Wand mit Kanzel, schlichtem Altartisch und der Freskierung von göttlichem Gnadenlicht und der Himmelfahrt Mariens den geistlichen Zweck eines Sakralraums, so ist die Gegenseite ganz auf eine Apotheose des Herrscherhauses hin angelegt. Die harmonische Struktur der die Wandflächen gliedernden korinthischen Pilasterordnung wird hier mittig aufgebrochen und mit einer pathetischen Gebärde, die alle Künste vereinigt, eine Epiphanie fürstlicher Größe nach Art katholischer Bühnenaltäre inszeniert. Aus der Höhe des Tonnengewölbes senken sich unter einem Thronhimmel gewaltige plastische Draperien bis auf die Fenster zur königlichen Loge herab. Von dem durch die Deckenlaterne einfallenden Licht bestrahlt, tragen durch den Raum schwebende Engel eine riesige Krone, die ihnen eben vom preußischen Adler aus dem Himmel überbracht wird. Mit diesem, in Goldlicht getauchten, alle Raumzonen übergreifenden pompösen Symbol haben 1704 –1708 Baumeister und Fürst der neuen staatlichen Würde Preußens ein sinnfälliges Denkmal gesetzt.

Am 18.Januar 1701 hatte der Kurfürst Friedrich III. sich selbst in Königsberg zum ersten "König in Preußen" gekrönt. Das Ereignis dieser Rangerhöhung stellt einen wichtigen Markstein für den Aufstieg Brandenburg-Preußens ins Konzert der europäischen Mächte dar und wurde jetzt zum Anlaß für das zentrale Fest- und Ausstellungsereignis im Preußenjahr 2001. "Preußen 1701 – Eine europäische Geschichte" entfaltet ein "Panorama der politischen, geistesgeschichtlichen und kulturhistorischen Situation in Europa um 1700", verortet den Vorgang mithin im Kontext des barocken Absolutismus der Zeit, während den zweiten Höhepunkt Potsdam mit der landesgeschichtlichen Retrospektive "Marksteine. Eine Entdekkungsreise durch Brandenburg-Preußen" (ab 18. August) setzen wird. Unter der Schirmherrschaft beider Länder kooperieren hier das Deutsche Historische Museum (Hans Ottomeyer) und die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten (Hans-Joachim Giersberg), die gemeinsam mit dem Team der Ausstellung (Windt/Lind/Gröschel) und seinem Architekten (Jürg Steiner) am vergangenen Freitag die Presse begrüßten und am 6. Mai die Schau offiziell eröffnet haben. Bis zum 5. August kann nun in der Großen Orangerie des Schlosses Charlottenburg die wissenschaftlich fundierte wie ästhetisch glanzvolle Retrospektive besichtigt werden.

Anders als bei der ersten großangelegten Unternehmung vor zwanzig Jahren, dem umfassenden "Versuch einer Bilanz" Preußens im Gropius-Bau, wurde jetzt das Datum der Krönung selbst ins Zentrum gerückt, dessen Vorgeschichte und Voraussetzungen rekonstruiert und sein Zusammenhang mit der Symbolwelt des Absolutismus, den Formen fürstlicher Repräsentation und der Idee des barocken Welttheaters thematisiert. Entschieden wird hier der Kulturzweck des fürstlichen Staates herausgearbeitet und mit seinem Facettenreichtum ein eindrucksvoller Beitrag geleistet zu einer "Entmythologisierung" Preußens als bloßem Militär- und Verwaltungsstaat. Mit ihrer Attacke auf formalästhetische Sehgewohnheiten des Publikums und Klischees wie dem vom parasitären Luxuskonsum fürstlicher Hofhaltungen leisten die Ausstellungsmacher zudem eine Vertiefung der Barockforschung. Sie vergegenwärtigen die Gestalt dieser Epoche als Zeichensystem, dessen Sprache sorgfältig gelesen werden muß. Erlebnistouristen seien deshalb gewarnt: "Preußen 1701" bietet intellektuell Aufnahmebereiten einen anspruchsvollen Parcours als Bildungsherausforderung.

Dieser wurde, mit der Schloßkapelle als feierlichem Auftakt, über die 130 Meter der Orangerie hin vom Ausstellungsarchitekten Jürg Steiner aufgebaut, wobei ihm die ungeheure Raumtiefe geradezu als "Archetyp barocker Festarchitektur" erschien. Versucht wurde, barockes Strukturdenken der didaktischen Formgebung zugrunde zu legen. Vor allem hat der Gestaltungsperspektivismus der barocken Ästhetik Steiner zu einem "Bühnenkonzept" inspiriert, das ganz die zentrale Achse betont, die Stellwände der Seitenräume wie Kulissen einschiebt und die Besucher ins museale Theater voranschickt. Dramaturgisch führt die dreigliedrige Wegstrecke gemächlich in die pathetische Mitte des eigentlichen Krönungssaales, um dann westlich der ganz mit Schwarz verhängten Rotunde zum Tod des Königs 1713 zuzueilen. In die Linie der Zentralachse sind so gewichtige Symbolzeichen wie der Kurhut, die Krönungsinsignien oder der Sterbehelm geschoben, so daß der Besucher mit einem Blick Beginn, Höhepunkt und Ende des Lebens umgreift, wie es dem dramatischen Memento mori-Gedanken der Epoche entspricht. Hunderte, zum Teil überaus kostbare Exponate aus dreizehn europäischen Ländern verteilen sich nun auf zwölf thematische Sektionen, die der Stadt Königberg oder den Facetten des höfischen Lebens, den europäischen Kriegen um 1700 oder Kunst und Wissenschaft gelten und mit dem Thema der Bildnismalerei als paradigmatischem Medium fürstlicher Selbstdarstellung einsetzen. Den Typ des Staatsporträts etwa vergegenwärtigt hier glanzvoll die weltberühmte Darstellung Ludwigs XIV. durch Hyacinthe Rigaud. Ausgewählte Aspekte dieses satten Themenkatalogs finden eine vertiefende Weiterführung in den gleichzeitig angekündigten Sonderveranstaltungen des Rahmenprogramms. Sie werden einer "Audienz am Hofe Friedrichs I.", dem Zeremoniell der Krönung, der Herrscherkleidung und Repräsentation oder der barocken Musik und dem Tanz am preußischen Hofe gelten.

Der Vertrag von Oliva 1660, in dem Preußen die Unabhängigkeit von Polen erlangte, der spanische Erbfolgekrieg und die Verhandlungen mit dem Kaiser über die angestrebte Königswürde bilden Stationen auf dem Weg ins Jahr 1701. Der Besucher kann schließlich das Ergebnis der diplomatischen Bemühungen in Wien bewundern: Es ist der "Krontraktat" vom 16. November 1700.

Höfische Feste ebenso wie monumentale Bautätigkeit sind als Würdeformen des absolutistischen Staates zu verstehen. Im theatrum mundi geben der Fürst und die Hofgesellschaft ihren anstrengenden Part vor dem schaulustigen Publikum des Volkes. Dieses verlangte auch nach architektonischer Symbolik, und die Gestaltung der Residenzstädte trug dem Rechnung. Folglich widmet sich die Ausstellung auch dem "Ausbau Berlins zur königlichen Residenz" und stellt das Herzstück, den barocken Umbau des Schlosses durch Schlüter und Eosander von Göthe seit 1698, umfassend dar. Besondere Pointe hierbei und mutmaßlicher Publikumsmagnet der kommenden Wochen: die computergenerierte 3D-Simulation eines virtuellen Rundgangs um und durch das Schloß als Filmprojektion.

Nicht erst der "Philosoph von Sanssouci" hat dem intellektuellen Leben seines Landes Impulse gesetzt. Friedrich I. erkannte die Bedeutung von Kunst und Wissenschaft für die Magnifizenz des Herrscheramtes und suchte diese planmäßig zu entwickeln. Auf ihn gehen so die Berliner Akademiegründungen zurück. Ebenso errichtete er die neue Universität Halle, deren religiös liberalen und sozialethisch orientierten Pietismus er und seine Nachfolger tatkräftig fördern sollten. Das bemerkenswerte Toleranzverhalten der Hohenzollern bezeichnet einen charakteristischen Aspekt früher Modernisierung in den Ländern der preußischen Krone.

Gegenüber der Reorganisation des völlig desolaten Landes nach dem Dreißigjährigen Krieg durch den Großen Kurfürsten stellt der Erwerb der Königswürde als unverzichtbare Ingredienz souveräner Staatlichkeit um 1700 das historische Verdienst Friedrichs I. dar. Er suchte damit, im politischen Wettbewerb mit anderen Reichsfürsten wie Hannover und Sachsen gleichzuziehen, welche just in dieser Periode sich diplomatisch Kronen im Ausland erworben hatten. Die Konstruktion des Königtums hat dann eine mentale und institutionelle Integration der zerstreuten Ländereien ermöglicht. Friedrich Wilhelm I. leistete danach den Ausbau zum modernen Verwaltungsstaat, und Friedrich der Große erzwang schließlich durch seine erfolgreiche Arrondierungspolitik die politische Anerkennung Preußens als realen Machtfaktor im europäischen Staatensystem. So läßt sich seinem Urteil über die Rangerhöhung als ein "politisches Meisterstück" auch heute noch zustimmen. Mit ihr habe der Großvater seinen Nachfolgern sagen wollen: "Ich habe Euch einen Titel erworben, erweist Euch dessen würdig; ich habe die Grundmauern für Eure Größe errichtet, Eure Aufgabe ist es, das Werk zu vollenden."

 

Preußen 1701– Eine europäische Geschichte. Ausstellung bis 5.August 2001in der Große Orangerie am Schloß Charlottenburg. Tägl. außer montags 10 bis 18, Do bis 22 Uhr. Katalog und Essayband jeweils 45 Mark (zusammen 80 Mark)

 

"König Friedrich I. in Preußen auf dem silbernen Thron", Gemälde von Samuel Theodor Gericke


 
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