© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/01 18. Mai 2001

 
Ein kurzes Leben voller Leiden
Tierschutz: Die industrielle Zucht von Mastkaninchen ist qualvoll / Nur die Schweiz gewährleistet erträgliche Haltebedingungen
Edgar Guhde

Seit Jahrhunderten ist der "Osterhase" als Eierbringer für die Kinder gleichsam ein Symbol für das höchste christliche Fest. Und sein engster Verwandter, das Kaninchen, landet zunehmend als Festtagsbraten auf dem Tisch. Einundvierzig- bis zweiundvierzigtausend Tonnen Kaninchenfleisch werden pro Jahr allein in Deutschland gegessen, was etwa 25 bis 30 Millionen Tieren entspricht, von denen 80 Prozent in Deutschland gemästet werden. Dies entspricht ungefähr der Anzahl der gehaltenen Schweine; im Unterschied zu ihnen finden Kaninchen jedoch in den Medien kaum Beachtung. In diesem Jahr werden vermutlich noch mehr Kaninchen geschlachtet, da viele Verbraucher angesichts der BSE-Krise auf Fleisch von Geflügeltieren oder Kaninchen ausweichen.

Die Intensivtierhaltung hat auch vor den Kaninchen nicht haltgemacht: Sie müssen ihr Dasein in unstrukturierten, engen und reizarmen Käfigen meist ohne Einstreu auf Metall- oder Kunststoffrosten ohne Beschäftigungs- und Rückzugsmöglichkeiten fristen. Mastkaninchen bis 3,3 Kilogramm Lebendgewicht stehen in der Regel ganze 20 mal 40 Zentimeter bei einer Käfighöhe von 30 bis 40 Zentimetern zur Verfügung. Oft sind es nur 500 Quadratzentimeter (mit Ausnahme der Schweiz mit meist 6.000 Quadratzentimeter). So hocken die Tiere lebenslänglich in den Käfigen, die ihnen nicht einmal artgemäßes Sitzen erlauben, und das "Männchenmachen" und Hoppeln schon gar nicht. Die Folgen: Entzündungen und Verletzungen an den Hinterpfoten, verursacht durch die Drahtroste, pathologische und schmerzhafte Skelettveränderungen, die u.a. zu Spontanfrakturen führen, Krallenverletzungen, Ballengeschwüre, schwere Verdauungsstörungen, Darmerkrankungen, hervorgerufen durch nicht artgerechte Fütterung, mangelnder Abrieb der Nagezähne durch pelletiertes Futter, Verhaltensstörungen wie Gitternagen, endloses Kreisen um die eigene Achse, Kannibalismus und Selbstverstümmelungen durch Langeweile. Bis zu 30 Prozent sterben aufgrund der schlechten Haltung und an Infektionskrankheiten.

Im Unterschied zu den kommerziellen Kaninchenmast-Betrieben werden die Tiere bei den privaten Haltern zwar meistens in traditionellen Holzställen gehalten und bekommen oft wenigstens eine Unterlage aus Stroh, doch ansonsten bietet der Holzverschlag nicht mehr als der Drahtgitterkäfig. Auch hier können die Kaninchen ihren ausgesprochenen Bewegungsdrang nicht ausleben und haben keinerlei Möglichkeit zum Rückzug oder zum Graben. Dabei sind sie körperlichen Höchstanforderungen ausgesetzt: Bei den Häsinnen sind bis zu 11 Würfe pro Jahr mit je acht bis zehn Jungen keine Seltenheit. Die sogenannte Wurfsynchronisation, herbeigeführt durch hormonelle Behandlung und künstliche Besamung, ist auch in der Kaninchenhaltung längst üblich. Die Säugezeit wird auf drei bis vier Wochen verkürzt. Bereits nach zehn bis zwölf Wochen erreichen die jungen Kaninchen ihr Schlachtgewicht. Kaninchen leiden stumm und von der Öffentlichkeit unbemerkt, können sich ihrer Lage nicht entziehen, sind ihr hilflos ausgeliefert.

In Freiheit leben Kaninchen in Gruppen mit enger sozialer Bindung. Das Revier eines Familienverbandes beträgt abhängig vom Futterangebot einige hundert Quadratmeter. Die Tiere graben ausgedehnte unterirdische Bauten mit weit verzweigten Röhrensystemen. Gruppenaktivitäten und Sozialkontakte wie gemeinsames Graben und Weiden, gegenseitige Körperpflege und Ruhen mit Körperkontakt nehmen einen großen Teil des Tages ein. Die geselligen Wesen hoppeln und springen vorwiegend in der Dämmerung und wollen sich verstecken können. All diese Verhaltensweisen sind ihnen in der Mast lebenslang verwehrt. Auch die "Hauskaninchen" haben sich nahezu das gesamte Verhaltensrepertoire ihrer wilden Vorfahren erhalten. Auch sie graben Gänge, wenn sie die Möglichkeit dazu haben.

Deutschland und die EU haben es in einem halben Jahrhundert nicht für nötig gehalten, bindende gesetzliche Vorschriften zur Kaninchenhaltung zu erlassen. In einem Schreiben des damaligen Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 29. September 2000 heißt es lapidar: "Auf Ihre Anfrage teile ich Ihnen mit, daß derzeit ein dringender Regelungsbedarf im Bereich der Kaninchenhaltung durch Erlaß einer entsprechenden Verordnung nicht gesehen wird." Man darf gespannt sein, wann endlich die neue, dafür zuständige Ministerin eine Verordnung erläßt, die den millionenfachen Qualen dieser Geschöpfe ein Ende bereitet. Bis dahin bleibt nur der Appell an die Bevölkerung, sich über die Kaninchenmast zu informieren, kein Kaninchenfleisch und keine Kaninchenfelle zu kaufen, die Vertreter der Politik, der Landwirtschaft und des Handels an ihre Pflicht zu erinnern, das Tierschutzgesetz bei den Kaninchen einzuhalten. Merke: "Grausamkeit gegen Tiere ist eines der kennzeichnendsten Merkmale eines niederen und unedlen Volkes. Diese Rohheit kann selbst durch alle Zeichen des Reichtums und der Pracht nicht überdeckt werden." (Alexander von Humboldt)


 
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