© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/01 18. Mai 2001

 
"Ihre Haltung war beispielhaft"
Ewald von Kleist, Mitverschwörer Stauffenbergs, über seine Motive, Hitler zu töten, und die Anwürfe gegen den 20. Juli
Moritz Schwarz

Herr von Kleist, Sie sind einer der letzten Überlebenden der Widerstandsgruppe um den Grafen Stauffenberg. Betrachtet man die Rezeption des Deutschen Widerstandes heute, fällt auf, daß die konservative, patriotische und bündisch-nationalrevolutionäre Motivation vieler Männer des 20. Juli heute gerne verschwiegen, als obskur-phantastisch oder politisch gefährlich dargestellt wird. Haben Sie nicht manchmal den Eindruck, so mancher Historiker stellt die Geschichte des deutschen Widerstandes lieber so dar, wie er sie für volkspädagogisch geeignet hält, statt wie sie geschehen ist?

Kleist: Manche von ihnen haben in der Tat inzwischen einen Weg eingeschlagen, die Handelnden des 20. Juli als Opportunisten darzustellen, und unterstellt ihnen, sich für später salviert haben zu wollen. Das ist entweder ein Zeichen von fortschreitender Senilität oder von Bösartigkeit, denn wenn man sein Leben einsetzt und es vielleicht sogar hingibt, dann ist der ganze angebliche Opportunismus damit ja hinfällig.

Gerade bei offiziellen Feierlichkeiten zum 20. Juli scheint die Tat, der Anschlag auf Hitler, in geradezu sakrosankter Weise verherrlicht zu werden, während über die Motivation der Männer des 20. Juli – sofern sie national-konservativ oder national-revolutionär war – peinliches Schweigen gewahrt wird. Das wirkt, ehrlich gesagt, recht schizophren.

Kleist: Die Motivation war natürlich bei jedem etwas anders. Gemeinsam war ihnen aber allen die Einsicht, daß dies ein Verbrecherstaat ist, der beseitigt werden muß.

Welche Rolle spielt die Motivation der Männer für uns heute: Haben wir nicht die Verpflichtung, die Männer, auf die wir uns heute berufen auch politisch ernst zu nehmen?

Kleist: Das ist sicherlich eine Frage der persönlichen Einstellung. Wenn man anerkennt, daß es Dinge gibt, die wichtiger sind als das eigene Wohlergehen, dann wird man diesen Leuten gerecht. Denn sie haben alles in Kauf genommen, nicht nur ihren eigenen Tod, sondern sogar Gefahr für ihre Familien. Daher ist deren Haltung durchaus auch heute noch beispielhaft. Und man sollte sich Gedanken machen, ob nicht Moral und Ethik die entscheidenden Grundlagen für das Handeln der Menschen sind.

Die "Gedenkstätte Deutscher Widerstand" im Berliner Bendler-Block spielt ja eine wichtige Rolle bei der Darstellung und Interpretation des Deutschen Widerstandes in der bundesdeutschen Öffentlichkeit. Wird dort nicht versucht, durch eine weltanschaulich motivierte Ausweitung des Widerstandsbegriffes die Weltanschauung des Widerstandes vom 20. Juli zu entwerten?

Kleist: Es gibt die Tendenz, möglichst viel Widerstand unter einen Hut zu bringen, eine Art "Widerstandsbrei anzurühren", so daß es vom Verfolgten zum Widerständler kaum nur noch ein Schritt ist: Etwa das von Stalin installierte "Nationalkomitee Freies Deutschland" (NKFD) wurde dort "zu Widerstand gemacht". Das geht ja nun nicht und hieße den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Ich bin kein großer Bewunderer der Ausstellung der "Gedenkstätte".

Gerne wird dem 20. Juli vorgeworfen, daß man sich nicht um die Rettung der Juden geschert hätte.

Kleist: Man verkürzt heute die Verbrechen des Nationalsozialismus auf die Ermordung der Juden. Das ist so ja nicht richtig, viele andere Menschen wurden ebenso ermordet. Es ist aber nicht entscheidend, wer ermordet wird, sondern daß es geschieht, daß das Recht gebrochen wird. Insofern ist das nun ein sehr törichter Vorwurf. Die Judenfrage an sich war für uns nicht exorbitant, da sie sich nicht abhob von unserer völligen Verurteilung der Rechtsbeugung durch den Nationalsozialismus.

Sie waren von den Verschwörern um Stauffenberg ursprünglich als der Hitler-Attentäter vorgesehen. Wie kam es dazu?

Kleist: Da Stauffenberg Chef des Staabes des Allgemeinen Heeresamtes bzw. später des Ersatzheeres war, spielte er im Falle des Staatsstreiches die zentrale Rolle und sollte nicht noch mit dem Attentat belastet werden.

Wieso aber wurden gerade Sie ausgewählt?

Kleist: Das haben sich die anderen so ausgedacht. Das ging wohl aus von meinem Freund, dem Grafen Schulenburg, der hat das mit Stauffenberg besprochen und mich dann angesprochen.

Der Plan war, sich selbst zusammen mit Hitler in die Luft zu sprengen. Wie reagierte denn Ihr Vater, der ja ebenfalls Mitglied des Zirkels war, auf dieses Ansinnen?

Kleist: Ich weiß, daß viele Menschen gerne über diese Rührgeschichten reden, ich finde das aber nicht sehr brauchbar. Bitte verstehen Sie, daß ich diese Dinge nicht mag.

Ich wäre entsetzt gewesen, wenn man mir so etwas vorgeschlagen hätte!

Kleist: Na, da ist wohl jeder ziemlich unangenehm berührt.

Was war Ihre Motivation, sich zu diesem Opfer bereitzuerklären?

Kleist: Ich empfand das nationalsozialistische Regime als unerträgliche Unrechtsherrschaft. Und ich hatte etwas, was heute zwar nicht mehr üblich ist, damals aber eine große Rolle spielte, nämlich ein großes Attachement an mein Volk und an mein Land. Zum einen fand ich es entsetzlich, was für Verbrechen im deutschen Namen verübt wurden. Das andere war, daß ich als Offizier im Kriege erlebt hatte, welch große Tragödie es ist, wenn Menschen sterben – noch dazu in einem sinnlosen und falschen Krieg. Das hat mich zutiefst beeindruckt, und es war klar, daß wenn dieser Krieg weitergehen würde, noch unendlich viele Menschen würden sterben müssen. Und in der Tat starben vom Juli 1944 bis zum Mai 1945 mehr Menschen als in den dreieinhalb Kriegsjahren seit 1939 zuvor. Und mir war auch klar, daß auch die Zerstörung meines Landes weitergehen würde.

Woher rührte Ihr "Attachement an mein Volk und mein Land", war das der Konservatismus Ihrer Familie von uraltem deutschem Adel?

Kleist: Nein, ich bin nun mal als Deutscher geboren und bin es immer – ungeachtet aller Höhen und Tiefen – gerne gewesen. Und daher empfand ich auch diese unendliche Scham darüber, was im deutschen Namen für unendliche Verbrechen begangen wurden.

War es Ihre Vaterlandsliebe, die Sie veranlaßte, sich freiwillig ins Infanterie-Regiment 9 zu melden?

Kleist: Nein, ich hatte damals schon die Ansicht, daß dieser Krieg falsch war. Ich meldete mich freiwillig, weil man sich dann sein Regiment aussuchen konnte, und ich wollte unbedingt ins IR 9. Denn sicherlich gab es auch in dieser Einheit Leute mit nationalsozialistischer Gesinnung, aber im großen und ganzen war dieses Regiment ganz anders eingestellt. Sie werden wohl keinen anderen Truppenteil finden, in dem so viele Menschen, Offiziere wie Untergeben, sich schließlich gegen das Regime gewandt haben.

Viele waren damals voller Hingabe Soldat geworden und mußten erst durch einen Erkenntnisprozeß hindurchgehen, daß dies nicht Deutschlands Krieg, sondern Hitlers Krieg war.

Kleist: Ja, das ging den meisten damals so. Mir ist dieser Irrweg Gott sei Dank erspart geblieben, und zwar durch das Vorbild meines Vaters und meines Großvaters, die vollkommen klar und dezidiert von Anfang an gegen die Nazis waren, und zwar in einer für mich heute erstaunlichen Art und Weise.

Ihr Vater Ewald von Kleist-Schmenzin gilt als einer der überzeugtesten Hitler-Gegner unter den deutschen Konservativen.

Kleist: Ja, er hatte bereits im Jahre 1929 eine kleine Schrift verfaßt mit dem Titel "Nationalsozialismus, eine Gefahr!" Sowohl mein Vater wie auch mein Großvater hatten das Negative am Nationalsozialismus und insbesondere das Verhängnisvolle des Abweichens vom Rechtsstaat sofort begriffen.

Keine Spur von dem damals in so vielen Familien üblichen – gerade auch bei den Menschen des späteren Widerstandes, man denke nur an die Geschwister Scholl – Generationenkonflikt in bezug auf den Nationalsozialismus?

Kleist: Ganz und gar nicht.

Sie haben sich sittlich empört, haben Sie damals aber auch politisch gedacht?

Kleist: Wenn man rechtlich denkt und die Moral für wichtig hält, dann ist das in gewisser Weise durchaus politisch.

Gab es nicht nur Werte, sondern auch gestaltende Vorstellungen, für die Sie sich eingesetzt haben?

Kleist: Ich war damals zweiundzwanzig Jahre, da denkt man nicht über neue politische Formen nach und entwirft Pläne, wie der Staat auszusehen hat. Das wäre ja eine unerhörte Anmaßung gewesen. Für mich war klar, daß der Mensch würdig nur in einem Rechtsstaat leben kann, und es war evident, daß das nationalsozialistische Regime das Recht fort und fort gebrochen hatte!

Stauffenberg und seinen engeren Zirkel trieb vor allem der Gedanke, das Reich zu retten – vor allem auch in seiner Einheit. Welche Rolle spielte das für Sie?

Kleist: Da habe ich von Anfang an keine Hoffnung gehabt. Mir war klar, die Alliierten würden dieses Reich nach ihrem Sieg zerstören.

Für Sie war Deutschland also verloren?

Kleist: Verloren ist nie etwas endgültig, aber mir war klar, daß das, was auf Deutschland zukommen würde, grauenhaft werden würde.

Das "Grauenhafte" ist eingetreten: Den Männer des 20. Juli mißlang es nicht nur, ihr Vaterland vor den Nazis, sondern auch Deutschland vor dem Feind zu retten. – Sind sie nicht nur gegen Hitler, sondern auch gegen die Geschichte gescheitert?

Kleist: Man muß das aus der damaligen Situation heraus beurteilen. Im Vordergrund stand, die nächste Katastrophe zu verhindern. Die Frage, inwieweit davon die Nation berührt sein würde, war eine akademische Frage, der sicherlich einige Leute nachgingen, die mich aber nicht in erster Linie berührte.

Wie haben Sie Stauffenberg kennengelernt, und welchen Eindruck hat er auf Sie gemacht?

Kleist: Es gibt eine Reihe von Leuten, die sind große Idealisten, stehen aber nicht ausreichend mit beiden Beinen auf dem Boden. Dann gibt es ganz im Gegensatz dazu die kühlen Macher. Eine Mischung aus beiden ist unerhört selten. Ein solches seltenes Exemplar war der Graf Stauffenberg. Ein glühender Idealist, mit unerhörtem Charme, aber ganz matter of fact, wie man heute sagen würde, ganz klar und ganz präzise. Diese Mischung sozusagen aus Hitze und Kühle, war für mich ein ungeheuer attraktives Moment, wie ich es selten nur in meinem Leben wiedergetroffen habe. Ein ganz unerhörter Mensch.

Nachdem Ihr Selbstmordattentat auf Adolf Hitler durch einen alliierten Bombenangriff vereitelt worden war, versuchten Sie dann am 20. Juli an der Seite Stauffenbergsim Berliner Bendler-Block den Staatsstreich gegen die Nazis durchzusetzen. Welche Funktion hatten Sie dabei?

Kleist: Ich war ja noch jung und war so etwas wie das Mädchen für alles.

Sie haben an diesem Tage Ihre Offizierspistole eingesetzt, was hatte sich ereignet?

Kleist: Das waren so dumme, kleine Revolvergeschichten, die vergessen wir lieber.

Wie haben Sie Stauffenberg am 20. Juli erlebt?

Kleist: Er war wahnsinnig beschäftigt, alles wollte von ihm Entscheidungen haben. Dennoch habe ich nicht einmal gesehen, daß er die Beherrschung verloren hätte – trotz dieser unglaublichen Anspannung. Er war immer höflich, immer gelassen, immer klar. Schließlich telefonierte OKW-Chef Keitel mit dem Chef des Ersatzheeres Generaloberst Fromm: Hitler sei am Leben. Da war ja dann alles klar.

Stauffenberg machte aber weiter.

Kleist: Wir hatten angefangen, jetzt konnte man nicht sagen, "Gehen wir einfach nach Hause".

Haben Sie ihm keine Verzweiflung angesehen – kam Ihnen nicht der Gedanke, sich abzusetzen?

Kleist: Doch, diesen Gedanken hatten wir natürlich! Das war eine große Verlockung. Man kann aber seine Sache nicht einfach im Stich lassen und vor allem seine Freunde nicht.

Stauffenberg und seine Kameraden wurden noch derselben Nacht im Hof des Bendler-Blockes erschossen.Wie konnten Sie der Hinrichtung entkommen?

Kleist: Ich wurde unehrenhaft aus der Wehrmacht ausgestoßen und kam ins KZ, aber da kommen wir wieder ins Persönliche, das ist nicht so wichtig.

Nach dem Krieg haben Sie die international renommierte Wehrkunde-Tagung in München etabliert.

Kleist: Ich habe, wie gesagt, als Offizier erlebt, wie mir anvertraute Menschen starben. Ich wollte einen Weg finden, in Zukunft Blut und Leben zu schonen, deshalb habe ich diese Tagung für Sicherheitspolitik ins Leben gerufen, um mitzuhelfen, künftige Kriege zu verhindern.

 

Ewald-Heinrich von Kleist geboren 1922 in Schmenzin/Pommer, ist der Sohn des im April 1945 wegen Beteiligung am 20. Juli hingerichteten konservativen Hitler-Gegners Ewald von Kleist-Schmenzin und selbst Angehöriger des Widerstandskreises um Graf Stauffenberg. Anfang 1944 erklärte er sich als junger Leutnant der Wehrmacht zu einem Selbstmordattentat auf Hitler bereit, das allerdings ein alliierter Bombenangriff verhinderte. An der Seite Stauffenbergs versuchte er am 20. Juli 1944 im Berliner Bendler-Block mit der Pistole in der Hand den Staatsstreich gegen die Nationalsozialisten. Trotz KZ-Haft entging er knapp der Hinrichtung. Nach dem Krieg wurde er Verleger und Initiator der international renommierten Wehr-kunde-Tagung in München. Die Familie von Kleist gehört zum deutschen Uradel. 1175 erstmals urkundlich erwähnt, hat sie eine Vielzahl von Gelehrten, Bischöfen, Diplomaten, Generälen, Feldmarschällen und Dichtern hervorgebracht, darunter auch den Dramatiker Heinrich von Kleist.

 

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