© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/01 11. Mai 2001

 
Politisch im Abseits
Burschenschaften I: In der Bundesrepublik sind Verbindungen oft nur Zuschauer
Philip Plickert

Im Gegensatz zu ihren österreichischen Nachbarn (siehe Beitrag unten auf dieser Seite) fristen die Bur-schenschaften in der Bundesrepublik Deutschland ein politisches Schattendasein. Als der damalige Kanzler Helmut Kohl den Burschentag 1998 in Eisenach mit seinem Besuch beglückte, sprach er fast ausnahmslos von der Überwindung der Nationalstaaten und der Integration in Europa – und gab den Burschenschaften damit zu verstehen, wie hoffnungslos antiquiert ihr Festhalten am Gedanken der Nation doch sei. Der Applaus für Kohls Rede war denn auch nicht mehr als höflich zu nennen.

Ein Hauptproblem der bundesdeutschen Burschenschaften liegt darin, daß ihnen durch die starke Linksverschiebung der Union eine parteipolitische Verankerung kaum noch möglich ist. Im Deutschen Bundestag sitzen gerade mal drei Burschenschafter, die beiden CSU-Politiker Peter Ramsauer (Münchner B! Franco-Bavaria) und Hans-Peter Uhl (Münchner B! Arminia-Rhenania) sowie der nordrhein-westfälische CDU-Abgeordnete Wolfgang Lohmann (Frankfurt-Leipziger B! Arminia). Bei 669 Abgeordneten entspricht dies einem Anteil von weniger als 0,5 Prozent. "Die Zeiten sind vorbei, als ein Wilhelm Niklas von den Münchner Arminen Landwirtschaftsminister war und Theodor Sonnemann von Holzminda-Göttingen sein Staatssekretär oder später der Münchner Babenberge Hermann Höcherl Landwirtschafts- und Justizminister", urteilt Walter Egeler, der Schriftleiter der Verbandszeitschrift Burschenschaftliche Blätter (BuBl). Eine Kostprobe des burschenschaftlichen Feuers, das in Wilhelm Niklas brannte, gibt Sonnemann in seiner Autobiographie "Gestalten und Gedanken": "Als der Bundespräsident Theodor Heuss wieder einmal eine ironisierende Bemerkung über studentische Verbindungen und speziell über das Waffenstudententum gemacht hatte, da konnte der Alte Herr der renommierten Burschenschaft Arminia zu München, ehedem selbst ein reckenhafter Fechter, der seines Fechtens wegen auch die zeitweilige Exkommunikation auf sich genommen hatte, nicht schweigen. ... Er eilte zum Deutschen Burschentag nach Bingen, hielt eine hinreißende Rede über die burschenschaftlichen Ideale: Ehre, Freiheit, Vaterland, die auch in unseren Tagen nichts von ihrem Ideengehalt eingebüßt hätten, und schloß ...: ‘Wer Farben trägt, der muß auch Farbe bekennen’, eine Wortprägung, die im Verbindungsstudententum bis heute nachlebt."

Nur wenige haben den Mut zum öffentlichen Bekenntnis

In der rot-grünen Bundesregierung nach Burschenschaftern zu suchen, lohnt kaum der Mühe. Immerhin geht das Gerücht, Innenminister Otto Schily (SPD) sei während seiner Studienzeit für kurze Zeit Fux einer Verbindung gewesen, bevor er im Sog der Ereignisse von 1968 nach links schwenkte. Verbürgt ist, daß der grüne Fraktionsvorsitzende Rezzo Schlauch bei der Burschenschaft Saxo-Silesia zu Freiburg einige Mensuren focht, bevor er aus Karrieregründen austrat. Schilys Kabinettskollege Werner Müller (parteilos) gehört dem weitgehend unpolitischen, christlichen CV an, ebenso wie der frühere Außenminister Klaus Kinkel (FDP) und der Fraktionsführer der Union, Friedrich Merz. Bei der Union ist der "Zufall", der sich noch in den fünfziger Jahren mit "CV" schrieb, nicht mehr die Regel.

Unter den Landesfürsten sticht als einziger Burschenschafter Eberhard Diepgen aus Berlin hervor. Die Mitgliedschaft in der Berliner B! Saravia kostete den 21jährigen Jurastudenten 1963 nach nur 17 Tagen Amtszeit den AStA-Vorsitz. Nachdem der RCDS-Mann Diepgen zunächst im Konvent mit 32 zu 18 Stimmen gewählt worden war, hielt der linksgerichtete Ältestenrat des Konvents Diepgens Mitgliedschaft in einer schlagenden Verbindung für inakzeptabel, und in einer anschließenden Urabstimmung votierte die Mehrheit der Studenten für seine Abwahl. Im Gegensatz zu westdeutschen Universitäten gab es in Berlin damals noch ein Verbot studentischer Verbindungen, und das Tragen von Farben auf dem Universitätsgelände war untersagt. Gut zwanzig Jahre später konnte Diepgen die Niederlage wettmachen und wurde Regierender Bürgermeister von Berlin. Auch sein Vertrauter Klaus-Rüdiger Landowsky, bis Dienstag noch im Amt des Berliner CDU-Fraktionsvorsitzenden, ist Alter Herr einer Landsmannschaft.

In den meisten Länderparlamenten gibt es den einen oder anderen Korporierten. Ein bekannter Burschenschafter ist der Präsident des hessischen Landtages, Klaus-Dieter Möller (B! Frankonia zu Bonn). Dem baden-württembergischen CDU-Fraktionsvorsitzenden Günter Öttinger wurde in vergangenen Jahr beinahe zum Verhängnis, mit seinen Bundesbrüdern der Landsmannschaft Ulmia zu Tübingen alle drei Strophen des Deutschlandlieds gesungen zu haben. Insgesamt sitzen in den bundesdeutschen Landtagen nur wenige Dutzend Korporierte. Farben tragen heißt zwar Farbe bekennen, doch man muß es ja nicht übertreiben. Aus Furcht vor Angriffen der Presse ist das Bekennertum eher schwach ausgeprägt.

Innerhalb der DB gibt es beträchtliche Differenzen und Flügelkämpfe. 1996 spalteten sich einige Burschenschaften von der DB ab und gründeten die Neue Deutsche Burschenschaft (NDB), die einen betont linksliberalen Kurs fährt. Der NDB gehören inzwischen 15 Bünde mit etwa 3.500 Mitgliedern an. Die DB hat etwa 14.000 Mitglieder, darunter circa 1.700 Studierende. Der linke Flügel ist weggebrochen, doch der rechte gibt keine Ruhe. Vor allem gemäßigte DB-Bünde beklagen, vereinzelte politische Wirrköpfe würden das Bild der Burschenschaften allgemein in ein schiefes Licht rücken. Die Rechtsausreißer seien schädlich, da sie der linken Presse Munition im Kampf gegen die Burschenschaften lieferten.

Mangelnder Wille zu politischem Engagement

Ein weiterer Streitpunkt ist das Fechten. Schon seit Jahrzehnten versucht die von Österreichern dominierte Burschenschaftliche Gemeinschaft (BG) vom rechten Flügel, einen Beschluß hinsichtlich der Pflichtmensur herbeizuführen. Die Mehrheit der Burschenschaften will jedoch das fakultative Schlagen beibehalten, es also jedem einzelnen Bund freistellen, ob er fechten möchte oder nicht. Generell kritisch sieht der Wiener Historiker Lothar Höbelt das Fechten. "Die Burschenschaften", urteilt Höbelt, "haben es verabsäumt, überkommene Rituale wie die Mensur abzustellen." Daher liefen sie Gefahr, reine Traditionalistenvereine zu werden.

Zur Zeit, gibt BuBl-Schriftleiter Egeler zu, hätte die Deutsche Burschenschaft (DB) nur "ganz, ganz wenig" Einfluß auf die Politik. "Die Burschenschaften sind immer zu sehr mit sich selbst beschäftigt." Da die Ziele und Ideale der Burschenschaften quer zum Zeitgeist stünden, bereite der spärliche Nachwuchs große Sorgen. Die Personalknappheit sei jedoch nicht der einzige Grund für die Schwäche. Egeler beklagt auch den mangelnden Willen zu einem ernsthaften politischen Engagement. Ganz deutlich werde dies in der Hochschulpolitik: Nach einer verbandsinternen Umfrage aus dem letzten Jahr zeigen über 80 Prozent der DB-Mitgliedsbünde dort kein Engagement. Bei großen kulturellen Debatten, etwa der Diskussion um die Friedenspreisrede von Martin Walser, sei die Deutsche Burschenschaft nur passiver Zuschauer gewesen. Doch bei einer kritischen bis feindlichen Presse, gibt Egeler zu bedenken, sei Öffentlichkeitsarbeit sehr schwierig.

Verbindungsstudenten in der Fußgängerzone von Würzburg: Bei einer fast ausschließlich kritischen bis feindlichen Presse ist jede Form von Öffentlichkeitsarbeit mit großen Schwierigkeiten verbunden.


 
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