© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/01 11. Mai 2001

 
Eine gefährliche Vision
Europapolitik: Schröders Plädoyer für einen Brüsseler Superstaat
Andreas Mölzer

Wir müssen Europa gezielt miteinander weiterentwickeln", sagte Bundeskanzler Gerhard Schröder zu Beginn des Kongresses der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) vergangenen Montag in Berlin. Er forderte eine "klare Orientierung" der Europäischen Union. Deren Institutionen müßten gestärkt und der Integrationsprozeß fortgeführt werden, sagte der SPD-Vorsitzende. Eine Woche zuvor war er allerdings noch deutlicher: Er forderte, daß die EU-Kommission zu einer "europäischen Exekutive" ausgebaut wird und das EU-Parlament die volle Budgethoheit übertragen bekommt. Aus dem jetzigen EU-Ministerrat mit Ressortleitern aus den Mitgliedstaaten soll nach den Vorstellungen des deutschen Regierungschefs eine "Staatenkammer" nach Art des deutschen Bundesrates werden.

Das wäre wohl der endgültige Abschied von dem, was laut höchstgerichtlicher Definition ein "Staatenverbund" sein soll, würde sich die Europäische Union in jene Richtung entwickeln, wie sie Gerhard Schröder (SPD) als wünschenswert bezeichnet. Auch die Definition als Bundesstaat wäre zu eng gegriffen. Es müßte sich wohl so etwas wie ein tendenziell zentralistisch regiertes und administriertes Staatswesen herauskristallisieren: Mit einer europäischen Regierung statt der Kommission an der Spitze mit wirklicher Exekutivgewalt; mit einem Parlament, das eine zweite Kammer erhielt, in der der bisherige Ministerrat als eine Art Staatenkammer fungieren sollte. Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, entsprechende Budgethoheit beim Parlament, all das also, was bislang nationale Parlamente und Regierungen mit wirklicher exekutiver bzw. legislativer Gewalt versah.

Die Befürchtungen jener, die da den Weg in einen "europäischen Superstaat", wie dies der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) formulierte, vorgezeichnet sehen, dürften nicht von der Hand zu weisen sein. Auch wenn der scheidende SPE-Chef, Verteidigungsminister Rudolf Scharping, auf dem SPE-Kongreß abwiegelte und meinte, der Ausbau der EU-Kommission zu einer Exekutive bedeute noch keine europäische Regierung. So etwas wie eine zwangsläufige Eigendynamik zentraler Institutionen müßte dazu führen, daß diese zunehmend Kompetenzen aus den einzelnen Mitgliedstaaten und Regionen an sich zögen. Eine Tendenz, die bereits heute seitens der längst noch nicht so mächtigen EU-Institutionen zu beobachten ist. Bereits jetzt müssen wir erkennen, daß die österreichischen Landtage spätestens seit dem EU-Beitritt kaum mehr sinnvolle Kompetenzen wahrzunehmen vermögen. Mit der Institutionalisierung eines tatsächlich entsprechend befugten europäischen Parlament würde dasselbe wohl für die nationalen Volksvertretungen in den Mitgliedstaaten gelten. Und auch die Regierungen der einzelnen Staaten würden zunehmend auf Provinzkompetenz herabgedrückt werden. Vom Staatenverbund ohne den Umweg über den Bundesstaat hin zum europäischen Superstaat?

Wer dies als Behebung des Demokratiedefizits der Europäischen Union definiert, sollte sich zuerst einmal Gedanken machen, unter welchen Rahmenbedingungen Demokratie überhaupt möglich ist. Gewiß – die Volksherrschaft der altgriechischen Polis auf der athenischen Agora ist nichts als ein Mythos für den humanistisch Gebildeten. Auch die direkte Kantonal-Demokratie der Eidgenossen muß als geradezu rührende Variante beiseite gelassen werden. Selbst aber die repräsentative Demokratie westeuropäischer Prägung, wie wir sie ergänzt durch das föderative Element der historisch gewachsenen Länder in Deutschland und Österreich nunmehr seit Generationen haben, wäre in einem europäischen Superstaat obsolet. Wie repräsentativ ist denn ein Abgeordneter, der vielleicht auf eine Million Wähler kommt, für deren Meinung? Ein Parlament mit etlichen hundert Volksvertretern soll nämlich rund 500 Millionen EU-Bürger – auf die kommt man nach der Osterweiterung – vertreten. Gewiß, in den USA, in Rußland, ja in Indien sind es auch Hunderte Millionen, die jeweils Volkvertretungen wählen. Ob all diese Beispiele aber einer näheren Überprüfung standhalten und wirklich als Modell für eine Demokratisierung der Union gelten können, darf bezweifelt werden. Dort brutaler Lobbyismus, da Nomenklatura oder Kasten. Von Volksherrschaft kann da nur sehr marginal die Rede sein.

Imperien zerbrechen an Überdehnung, das wissen wir nicht erst seit dem Zusammenbruch des Sowjetreiches. Die Europäische Union, die sich bewußt als Nicht-Imperium konstituierte und dadurch tendenziell auch die Gefahr der Überdehnung hätte unterlaufen können, scheint nunmehr doch derselben Gefahr zu erliegen. Mächte – seien es Dynastien, Völker, Staaten oder Ideologien – eroberten und erwarben sich zu allen Zeiten der Geschichte mehr oder weniger große Territorien, um solche Imperien zu bilden. Zuerst aber waren sie als Machtfaktor vorhanden und wuchsen als solcher mit ihrer territorialen Ausbreitung. Die Europäische Union scheint den umgekehrten Weg zu gehen. Sie breitet sich aus, ohne ein Machtfaktor zu sein, und soll – ginge es nach Gerhard Schröder – diesen Machtfaktor erst dann durch Schaffung entsprechender Zentralinstitutionen bilden. Ein letztlich a-historischer Vorgang, der von den einzelnen Gliedern dieser Union wohl kaum geduldet werden dürfte. Es sei denn, eines oder mehrere dieser Glieder verstünden es, sich diesen Vorgang zunutze zu machen, um dadurch eigene Machtinteressen zu kaschieren.

Bereits als im Vorjahr die 14 Staaten der Union eine Art "europäischer Breschnew-Doktrin" zur Durchsetzung niemals definierter "europäischer Werte" gegen Österreich anwandte, wurde manifest, daß hier eine eigenartige Eigendynamik in Gang gekommen ist: Eine gewisse politisch korrekt orientierte, geistig-ideologische Gleichschaltung und ein typisch sozialistischer Zentralismus scheinen dabei die Grundlage zu bilden. Die Individualität der europäischen Völker und Kulturen, die Vielfalt der historisch gewachsenen Regionen kann vor diesem Hintergrund künftig kaum mehr eine nennenswerte Rolle spielen. Das Schröder-Modell gepaart mit einer solchen europäischen Breschnew-Doktrin könnte Ausgangspunkt für so etwas wie eine neue EU-Staatsräson sein, welche absolut kompatibel mit geistig kultureller Globalisierung und der multikulturellen Gesellschaft wäre.

 

Andreas Mölzer ist Chefredakteur der österreichischen Wochenzeitung "Zur Zeit", Kolumnist u.a. der Wiener "Neuen Kronen Zeitung" und Kulturberater des Kärntner Landeshauptmanns Jörg Haider (FPÖ).


 
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