© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/01 04. Mai 2001

 
Amüsement in der Anonymität
Theater: "Der Narr und seine Frau heute abend in Pancomedia" von Botho Strauß
Oliver Geldszus

In den achtziger Jahren wäre es selbstverständlich gewesen, daß das neue Stück von Botho Strauß in Berlin seine Premiere erlebt hätte – und zwar wie selbstverständlich von Peter Stein an der Schaubühne inszeniert. Die Zeiten haben sich geändert: Stein ist im Streit vom Haus am Lehniner Platz geschieden, und Strauß vertraut seine Texte nunmehr der deutschen Provinz an, denn die Uraufführung von "Der Narr und seine Frau heute abend in Pancomedia" fand noch vor Ostern im Bochumer Schauspiel statt, inszeniert von Matthias Hartmann.

Doch der eigensinnige Autor und der Wiener Grantler blieben sich treu: Stein brachte das Stück am vergangenen Wochenende nun doch noch in Berlin auf die Bühne. Sein neues Domizil an der Spree ist seit einiger Zeit schon die Arena in Treptow, ein riesiges ehemaliges Busdepot, wo er sich derzeit an das Mammutprojekt "Faust" heranwagt.

Der leicht geschriebene Strauß-Stoff also eine Art Ablenkung vom harten täglichen Kampf um Goethes größtes Vermächtnis, vor allem für das Schauspielerensemble. Das aber hat es in der Gesellschaftskomödie mit dem umständlich langen Titel auch nicht viel leichter; immerhin müssen die 30 Darsteller rund 120 Rollen spielen. Denn Strauß strebt ein Abbild unserer Zeit an, der Einzelne ist längst in der Masse untergegangen. Motto: Ich kenne keine Menschen mehr, ich kenne nur noch Leute.

Eine Hotellounge im kühl-eleganten Stil, wie sie jeder Szene-Bar in Berlin-Mitte gut zu Gesicht stehen würde, ist die Schnittstelle, in der diese anonymen Wesen einzeln oder paarweise aufeinandertreffen. Eher zufällig und wie vom Meer des Lebens angespült denn als Folge eines Plans. "Confidence", Vertrauen also heißt das Hotel zuversichtlich, doch das Vertrauen – worauf auch eigentlich? – ist den meisten Protagonisten bei Strauß bereits gründlich abhanden gekommen.

Im Mittelpunkt des Stücks steht der aussichtslose Kampf des Kleinverlegers Zacharias Werner um sein geschäftliches Überleben. In der Romanschriftstellerin Sylvia Kessel glaubt er endlich den erfolgversprechenden großen Wurf erkennen zu können, der seine Edition vor der Übernahme durch einen Großverlag retten kann. Sie jedoch verliebt sich in den kalt kalkulierenden Intellektuellen, der zu keinen wahren Gefühlen mehr fähig ist. Ein hoffnungsloses Unterfangen, das über die Illusion der Liebe nicht hinauskommt. Er ist der Narr, sie seine Frau, oder doch nicht: "Lügen Sie nicht wieder. Schlafen Sie erst einmal wieder mit mir!" unterbricht sie die Vertragsverhandlungen an einer Stelle.

Dorothee Hartinger spielt die liebeshungrige, treuherzige Autorin, Christian Nickel gibt – ein wenig hüftsteif bisweilen – den überforderten Verleger. Ansonsten stehen beide derzeit im "Faust" auf der Arena-Bühne, hier sind sie so etwas wie Faust und Gretchen im 21. Jahrhundert. Liebesentzug, Vereinsamung, Liebesunfähigkeit: für Botho Strauß Kennzeichen der modernen zivilisierten Gesellschaft und zugleich unverkennbare Symptome einer beginnenden Auflösung, eines schleichenden Untergangs.

"Pancomedia", so heißt es nicht nur im Titel, so heißt auch die Schlüsselszene, in der all die kleinen Momentaufnahmen und Alltagsausschnitte zu einem großen Puzzle zusammengefügt werden und sich das Strandgutpersonal zum gemeinsamen Diner im vertrauensvollen Hotel einfindet. Pancomedia – alles ist Komödie, nur noch bedeutungsloses Amüsement. So sind die Dialoge in dieser Szene getragen von einer fast schon beeindruckenden Durchschnittlichkeit. Da muß sich ein älterer Herr ("Ich tropfe nachts") dem drängenden Liebeswerben seiner Nichte erwehren, schweigen Paare aneinander vorbei oder kämpft eine Großmutter um die Anerkennung ihres undankbaren Enkels. Lauter Zeitgenossen ohne wirklich interessante Facetten, eben normale Abbilder der anonymen Gesellschaft.

Schnell wird klar, daß hier Verwirrte und Verstörte in diesem Hotel um Asyl nachsuchen; Schauspielerinnen ohne Rollenangebote, entwurzelte Geschäftsleute, eine heiße Erbin, die sich für den schnellen Akt auch ins Portierszimmer abschleppen läßt oder ein pessimistischer Vater mit seinem Sohn ("Wir leben stürzend"). Und auf diesem dem Nichts entgegensteuernden Narrenschiff behalten die beiden Clowns Alfredo (Christian Habicht) und Vittorio (Rainer Philippi) den Überblick. Wie im alten deutschen Schwank kommentieren die Narren das Geschehen und erkennen: "Der Wetterbericht, die Börse – Das ist ja alles nicht mehr ernst zu nehmen! Das Klonen von Mensch und Tier – Aber das ist ja alles nicht mehr ernst zu nehmen!"

Mit "Der Narr und seine Frau heute abend in Pancomedia" ist Botho Strauß wieder an die Anfänge seiner Bühnenkunst zurückgekehrt. Erschreckte und verwirrte Menschen hatte er schon in der "Trilogie des Wiedersehens" 1977 auf die Schaubühne gestellt, oder sie waren sich in "Kalldewey Farce" 1982 begegnet. Immer hatte sich Strauß dabei als ein kritischer und spöttischer Beobachter des Zeitgeists verstanden; er wollte unterhalten, aber auch enthüllen. Die neunziger Jahre bezeichnen seine moralisch-intellektuellste Phase überhaupt. In seinem berühmten Essay "Anschwellender Bocksgesang" setzte er sich 1993 mit Werteverfall und Überfremdung auseinander. Beides thematisierte er auch wenig später in der Homer-Adaption "Ithaka". Ende des vergangenen Jahres hatte sich Strauß in einem Zeit-Beitrag ("Wollt ihr das totale Engineering?") kritisch in der Klon-Debatte zu Wort gemeldet.

Nun hat Strauß wieder die Leichtigkeit seiner Anfangsjahre zurückgewonnen, verbunden mit der stärkeren Auseinandersetzung mit gegenwartskritischen Fragestellungen vom Selbstbewußtsein der Nation bis hin zur Biogenetik. Seinem neuen Stück wird dadurch kulturphilosophisches Gewicht verliehen, ohne daß glücklicherweise die Unterhaltung darunter leiden muß.

 

Die nächsten Vorstellungen in der Arena, Eichenstr. 4, finden statt am 9., 10. und 16. Mai jeweils um 19 Uhr. Karten: 018 05 / 46 38 43


 
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