© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/01 04. Mai 2001

 
BLICK NACH OSTEN
Ein integratives Telefonbuch
Carl Gustaf Ströhm

Auf den ersten Blick erscheint die Forderung, nach der EU-Erweiterung die Freizügigkeit der dortigen Arbeitskräfte für sieben Jahre auf Eis zu legen, nicht unvernünftig. Bedenkt man, daß etwa in der Tschechei ein Arbeiter oft nur ein Zehntel eines vergleichbaren deutschen Lohns erhält, dann bedarf es keiner großen Phantasie, um sich auszumalen, was im Falle einer Öffnung der Arbeitsmärkte geschehen könnte. Viele, vor allem jüngere Ostbürger würden – wie es ein kroatisches Sprichwort ausdrückt – "mit dem Bauch hinter dem Brot herziehen". Und so haben im vergangenen Jahrzehnt 140.000 junge qualifizierte Kroaten ihrer Heimat in Richtung Westen den Rücken gekehrt, wahrscheinlich für immer.

Ein Wiener Institut signalisierte, daß Österreich bald 150.000 zusätzliche Ausländer benötige, weil angesichts des katastrophalen Geburtenrückgangs sonst Wohlstand und wirtschaftliche Stabilität nicht zu halten seien. Gleichzeitig wächst der Druck auf die Ostgrenzen. Allein im ersten Quartal dieses Jahres beantragten rund 5.000 Personen Asyl in Österreich, 6.000 "Illegale" gingen an der grünen Grenze der Gendarmerie oder den Patrouillen des österreichischen Bundesheeres ins Netz – die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen. In Österreich werden, da sonst ein effizienter Grenzschutz nicht existiert, die Wehrpflichtigen mit Grenzpolizeiaufgaben beschäftigt.

Überraschend ist allerdings die ethnische Zusammensetzung sowohl der Asylsuchenden wie der geschnappten Illegalen: Es sind so gut wie keine Ungarn, Tschechen, Slowenen, Kroaten oder Slowaken darunter – also die unmittelbaren Nachbarn, die meist als EU-Kandidaten gelten. Dafür gibt es zweitausend Asylsuchende aus Afghanistan. Auch unter den festgenommenen "Illegalen" stehen Afghanen an erster Stelle, gefolgt von Kurden aus dem Iran und Irak, ferner Inder, Pakistani und neuerdings Schwarzafrikaner.

Das zeitweise "Aussperren" der ost- und südosteuropäischen Nachbarvölker vom EU-Arbeitsmarkt, wie es Schröder und Schüssel – die beiden mitteleuropäischen Bundeskanzler – befürworten, könnte allerdings unbedachte kontraproduktive Folgen haben. Sperrt man Ungarn, Tschechen und Kroaten aus, dann muß man unweigerlich andere Nationen hereinlassen – denn irgend jemand muß die Arbeit ja machen, welche die geburtenschwachen Deutschen und Österreicher nicht machen wollen oder können.

Dann entstünde eine absurde Situation: jene Nationen, die den Deutschen in der Mentalität ähnlich sind und mit denen es deshalb bisher auch kein "Ausländerproblem" gab, müssen draußen bleiben. Dafür drücken exotische Zuwanderer mit völlig anderem religiösen Hintergrund (Islam, Buddhismus) herein. Diese aber werden viel schwerer zu integrieren sein – wenn überhaupt.

Wer im Wiener Telefonbuch blättert, wird anhand der vielen "Pospischils", "Prohaskaa", "Nowotnys" und "Horvaths" erkennen, daß die Donaumetropole seit Kaiser Franz Josefs Zeiten die benachbarten, meist katholischen Slawen und Magyaren mühelos integriert und assimilliert hat. Mit islamischen und anderen nicht-christlichen Nationen wäre das wohl weitaus schwieriger. Hinzu kommt noch, daß auch die postkommunistischen Länder an massivem Geburtenrückgang leiden – in sieben Jahren werden sie selber Arbeitskräfte importieren müssen! Vielleicht werden wir es eines Tages bereuen, daß wir die leicht integrierbaren Europäer gegen die schwer integrierbare Asiaten oder Afrikaner "eingetauscht" haben.


 
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