© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/01 04. Mai 2001

 
Peter Stein
Faustischer Mönch
von Hans-Jörg von Jena

Ist Peter Stein ein Querkopf? Ein Phänomen, wie das schüttelreimelnde Anagramm nahelegt, "steter Pein"? Unbequem, kein Zweifel, war er immer. Aber für einen Künstler, einen Mann der Phantasie ist es kreative Grundbedingung, sich nicht bequem vom Mainstream tragen zu lassen.

Berühmt wurde Stein an der Berliner "Schaubühne". Ihr drückte er seit 1970 seinen Stempel auf. Ibsens "Peer Gynt" oder Kleists Traum vom "Prinzen von Homburg", Gorkis "Die Mutter" und "Sommergäste", das Antiken- und das Shakespeare-Projekt, dazu Uraufführungen von Peter Handke und vor allem von Botho Strauß, der aus der Dramaturgenarbeit an der Schaubühne zum wichtigsten deutschsprachigen Dramatiker wuchs: Stein machte Epoche. Ein Jahrzehnt lang war die Schaubühne das sinnlich kräftigste und geistig strahlungsintensivste deutsche Theater.

Merkwürdigerweise brachte der Umzug in das komfortabel umgebaute Haus am Lehniner Platz das Ende des Höhenflugs. Noch immer gelangen Stein meisterliche Inszenierungen, vor allem Tschechows ("Drei Schwestern", "Der Kirschgarten"). Aber der Stil der Armut, eines fast mönchischen Sozialismus der Entsagung, Gleichberechtigung und Mitbestimmung ließ sich in der ältergewordenen Truppe nicht durchhalten. Stein schmiß hin und floh nach Salzburg, wo er in den neunziger Jahren bei den Festspielen das Schauspiel leitete.

Die Detailversessenheit von Steins Regiestil hätte nur ein Dummkopf mit naturalistischer Meiningerei verwechseln können, immer ging es um die geistige Substanz großer Texte. Die Szenenlandschaften der Bühnenbilder standen im Dienste des Worts. Schon in der Schaubühne hatte Stein geplant, diese stilbildende Interpretationsarbeit in einem Faust-Projekt gipfeln zu lassen. Mit einer ganz neuen jungen Truppe hat er dann das Experiment der erstmals vollständigen Inszenierung aller 12.411 Verse des Goetheschen "Faust" gewagt, zuerst zur Expo in Hannover, seit Monaten jetzt in der Treptower Arena in Berlin.

Findet Stein, der mittlerweile 63jährige, so viel Zuspruch und Zustimmung, wie er verdiente? Sein quasi lutherisches "Das Wort sie sollen lassen stahn" steht quer zur Mode. Die delektiert sich noch immer an szenischer Zertrümmerung des Überlieferten und überwucherndem Bildertheater.

Knurrig und mitunter drastisch kommentiert Stein, was ihm nicht paßt. Ist in diesem Sinne die Wendung vom "Braten" und "Grillen" der Juden, die er in einer Diskussion über den Holocaust und dessen Bühnenmöglichkeit mit beiläufiger Saloppheit gebraucht hat, ein falscher Zungenschlag? Vielleicht ohne es bewußt zu wollen, hebt Stein damit den Schrecken in die Sphäre des Mythos, ja des Märchens, in dem die Erinnerung an das Ungeheuerlich-Unfaßbare einzig Dauer gewinnt. Der heilige Laurentius war oft Gegenstand naiver Malerei. Gerade deshalb wird sein gräßlicher Tod auf dem Rost noch immer nachempfunden.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen