© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/01 04. Mai 2001

 
"Schlag gegen das kroatische Volk"
Ante Jelavic, geschaßter Vorsitzender der bosnischen Kroaten, über die Machtpolitik der EU in Bosnien-Herzegowina
Carl Gustaf Ströhm

Herr Jelavic, in den Zeitungen liest man, daß Spezialkommandos der britischen Armee im Rahmen der SFOR-Truppe Ihre Verhaftung vorbereiten?

Jelavic: Wenn man mich verhaften will, braucht es dazu keines Spezialkommandos. Meine Mitarbeiter und ich werden jeder Vorladung Folge leisten. Wir sind keine Mörder wie Karadzic oder Mladic, die bis heute frei herumlaufen. Wir haben auch keine Massaker an der Zivilbevölkerung begangen wie ein gegenwärtiger Minister der bosnisch-herzegowinischen Regierung. Wir haben auch keine Befehle zur Errichtung von Konzentrationslagern unterschrieben, wie das ein heutiges bosnisches Regierungsmitglied seinerzeit getan hat. Wir kämpfen einfach dafür, daß die Rechte der Nationen, die in Bosnien-Herzegowina leben, für alle in gleicher Weise gelten sollen. Wir kämpfen gegen den unmöglichen Zustand, daß durch Manipulationen der Wahlordnung im Vielvölkerstaat Bosnien die Moslems darüber bestimmen, wer die kroatische Volksgruppe im Parlament vertreten soll. Indem man das Prinzip der "bürgerlichen Mehrheit" in einem komplizierten Nationalitätenstaat einführt, wird der Wille eines der konstitutiven Völker – der Kroaten – mit Füßen getreten.

Im Westen werden Sie und Ihre Landsleute, besonders die Herzegowina-Kroaten, als "Extremisten" und Nationalisten bezeichnet, weil Sie die Einheit Bosniens angeblich zerschlagen wollen?

Jelavic: Nehmen wir einmal die "Republika Srpska", die serbische Republik in Bosnien, die bis heute faktisch ein ethnisch gesäuberter, rein serbischer Staat ist. Eine Initiative westlicher Diplomaten, die serbische Republik in Banja Luka möge doch einer Standardisierung der Rechte anderer Nationalitäten auf ihrem Gebiet zustimmen, halte ich für illusorisch. Das widerspräche den nationalen Interessen der Serben in Bosnien. Die Vertreter der kroatischen Volksgruppe aber bezeichnet man als Ultranationalisten, Separatisten und Extremisten – und zwar nur deshalb, weil wir ein Minimum an kollektiven Rechten für das kroatische Volk in Bosnien fordern. Wir fordern, als konstitutives Volk gleichberechtigt mit Moslems und Serben anerkannt zu werden. Wir fordern, daß wir Kroaten – und niemand sonst – selbst unsere Vertreter im Parlament, in der Nationalitätenkammer und im Präsidium wählen können. Wir Kroaten sind bereit, auch dort, wo wir die Mehrheit haben, die anderen beiden konstitutiven Völker, also Moslems und Serben, in ihren Rechten anzuerkennen.Irgendein Separatismus oder der Anschluß der mehrheitlich von Kroaten besiedelten Gebiete an Kroatien ist nicht in unserem Interesse. Die optimale Lösung für die gegenwärtige Krise liegt für uns innerhalb Bosniens. Das gilt auch für das Gebiet der Herzegowina. Diese Region ist eine der prosperierendsten und ökonomisch vielversprechendsten in ganz Osteuropa. Wir sehen die Herzegowina als Brücke zwischen Bosnien und Kroatien, als ein Land, das aufgrund seiner geostrategischen Position eine Perspektive hat.

Wollen Sie die kroatische Volksgruppe als "dritte Entität" etablieren? Wollen Sie für die Kroaten einen ähnlichen Status, wie ihn die Serben in ihrer "Republika Srpska" haben?

Jelavic: Wir verlangen für das kroatische Volk in Bosnien keinerlei exklusive Rechte. Aber wir fordern ein Minimum, hinter das wir nicht zurückgehen können: nämlich, daß wir als konstitutives Volk gemeinsam mit den anderen anerkannt und gleichbehandelt – und daß wir keinesfalls als bloße nationale Minderheit eingestuft werden. Wir fordern, daß die Instrumente des Schutzes und der Verteidigung des gemeinsamen Staates gemeinsam definiert werden. Was das Militär angeht: Wenn den Serben gestattet wird, ein eigenständiges nationales Kontingent innerhalb der bosnischen Armee zu unterhalten, dann sollte dieses Recht auch den Kroaten zustehen. Wir wünschen auch keine spezifischen territorialen Lösungen für die Kroaten in diesem Land. Wir wollen auch keine Rückkehr zu der Anfang der neunziger Jahre entstandenen "Kroatischen Republik Herceg-Bosna".

Vor einigen Tagen kam es zu der Aktion von SFOR-Truppen gegen die Herzegowina-Bank in Mostar. In diesem Zusammenhang haben der hohe Bevollmächtigte der EU, Wolfgang Petritsch, und sein Stellvertreter, der britische Diplomat Colin Munroe, erklärt, es seien dort Geldwäsche und kriminelle Machenschaften im Spiel.

Jelavic: Selbst wenn es in einer Bank so etwas wie Geldwäsche geben würde, wäre das lange noch keine Rechtfertigung für eine derart grobe, repressive Aktion unter Einsatz von Panzerfahrzeugen und mittels Dynamitladungen gegen den Tresor. Dies umso mehr, als die Direktion der Herzegowina-Bank die rechtsstaatlichen Institutionen, die Nationalbank, die Bankenaufsicht, die Finanzbehörden und sogar das von EU-Bevollmächtigten Petritsch gebildete Antikorruptions-Team eingeladen hat, eine Revision ihres gesamten Geschäftsgebarens vorzunehmen. Die Tore für jedwede normale Untersuchung wären offen gewesen. Jetzt aber sind die Urheber der Aktion verantwortlich. Jetzt sollen sie jene Geheimkonten finden, mit denen angeblich die kroatische Selbstverwaltung finanziert werden sollte. Jetzt sollen sie auch den Vorwurf der Geldwäsche beweisen. Eines aber möchte ich gerne wissen: Hätte Herr Petritsch, der vor seinem Amtsantritt als hoher Repräsentant in Bosnien Beamter der österreichischen Außenministeriums war, seine Zustimmung gegeben, mit einer österreichischen Bank ebenso zu verfahren? Wir haben Informationen, daß einige Leute aus Bosnien während des Krieges ihr schmutziges Geld über österreichische Banken gewaschen haben. Hätte Petritsch in diesem Falle einem bewaffneten militärischen Überfall auf solche verdächtigen Banken in Wien zugestimmt?

Was war denn Ihrer Meinung nach der Zweck dieser Aktion?

Jelavic: Hier gibt es zwei Momente. Erstens – der mehrheitlich von Kroaten besiedelte Teil, also die West-Herzegowina, ist mindestens um 30 Prozent höher entwickelt als der Rest Bosnien-Herzegowinas. Die Herzegowina-Bank war nach allen offiziellen Einschätzungen eines der stabilsten Geldinstitute des ganzen Landes. Weder die Nationalbank in Sarajevo noch die Bankenaufsicht haben je Grund zu dem Verdacht gegeben, daß es in der Bank irgendwelche illegalen Vorgänge geben könnte. Mit dem bewaffneten Überfall ist die Bank praktisch zerstört worden. Vertrauen und Glaubwürdigkeit sind dahin. Damit wurde unser kroatischer Wirtschaftsraum mindestens um 20 bis 30 Prozent zurückgeworfen. Das Ziel war also offenbar, auf diese Weise unseren Entwicklungsstand an den bosnischen Durchschnitt anzugleichen – eine Nivellierung nach unten – damit sich die Ziele, welche sich die Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft in diesem Lande gesetzt haben, leichter verwirklichen lassen. Und das zweite Moment: Zur Fama, wonach die kroatische Selbstverwaltung Geld für illegale Aktionen und Transaktionen benutzt habe, kann ich verbindlich versichern: Es wurde keine einzige Mark widerrechtlich verwendet. Wir haben keine einzige gesetzliche Bestimmung verletzt. Man müßte jetzt natürlich die Motive für diese Aktion analysieren. Diese Motive können von sehr zweifelhafter, auch finanzieller, Natur sein. Damit befaßt sich eine Gruppe von Anwälten, welche die Interessen der Bank vertreten wird. Was die politische Bewertung angeht, handelt es sich um einen Schlag gegen die kroatische Bevölkerung: Wir können zur Zeit keine Renten auszahlen, die Konten der Ärzte sind blockiert, Gehälter können nicht überwiesen werden. Schon kursieren Versionen, wonach die Herzegowina-Bank ausländischen Interessen im Wege stand und deshalb beseitigt werden mußte.

Stimmt es, daß der hohe Repräsentant der EU Sie nicht nur als Mitglied des Präsidiums von Bosnien-Herzegowina und als Vorsitzender der stärksten kroatischen Partei Bosniens, der Kroatischen Demokratischen Union (HDZ) abgesetzt, sondern Ihnen auch ein Verbot politischer Betätigung auferlegt hat?

Jelavic: Die bosnische HDZ hat bei den Wahlen 90 Prozent der den Kroaten zustehenden Mandate auf staatlicher bzw. föderaler Ebene erhalten und hat auch die Mehrheit in zehn Regierungsbezirken errungen. Was Petritsch vor und während der Wahlen nicht gelungen ist – nämlich die totale Ausschaltung der nationalen Parteien –, versuchten die Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft nun bei der Regierungsbildung in Sarajevo nachzuholen. Unter dem Deckmantel der sogenannten "bürgerlichen Mehrheit" haben sie in einem so komplizierten multinationalen Gebilde, wie es Bosnien mit seinen drei Völkern nun einmal ist, die plebiszitäre Entscheidung eines der konstitutiven Völker einfach annulliert. So bildeten sie unter dem Vorwand einer "bürgerlichen Mehrheit" eine Regierung ohne Beteiligung der legitimen Vertreter des kroatischen Volkes. Das heißt, daß die kroatischen Wähler praktisch ausgeschaltet wurden. Als wir das Verfassungsgericht in dieser Frage anriefen, erklärte dieses sich für nicht zuständig. Stattdessen beseitigte mich Herr Petritsch aus dem öffentlichen und politischen Leben Bosniens. Damit hat mich der EU-Repräsentant meiner fundamentalen Bürgerrechte und Freiheiten beraubt: unter anderem des Rechts zu wählen und gewählt zu werden, des Rechts auf Arbeit usw. Das Ganze dazu noch unbefristet – so lange, bis Herr Petritsch darüber nach Gutdünken entscheidet. Ist es demokratisch, daß jemand über die Macht verfügt, einem anderen die politischen Menschenrechte abzuerkennen? Auf diese Weise sind wir in die tiefste Krise Bosniens seit Unterzeichnung des Dayton-Friedensabkommens geraten.

Sie werden neuerdings beschuldigt, an der Ermordung Ihres kroatischen Landsmannes, des stellvertretenden bosnischen Innenministers Leutar, beteiligt gewesen zu sein.

Jelavic: Als ich dies zum ersten Mal hörte – und zwar von einer Kollegin, die früher Stellvertreterin des Ministers für europäische Integration war –, Herr Petritsch habe ihr vertraulich mitgeteilt, daß gegen mich eine Strafanzeige im Falle des ermordeten Leutar vorbereitet werde, glaubte ich, so etwas könne sich nur ein Verrückter ausdenken. Aber aus einer gewissen Distanz erkenne ich, daß es sich um sehr ernste Intrige handelt: nämlich um den Versuch, der kroatischen Seite die Verantwortung für den Mord an Leutar zuzuschieben – angeblich, weil dieser auf der Spur organisierten Verbrechens in Bosnien war. Die zweite These lautete, wir hätten Leutar beseitigt, um damit die kroatisch-moslemische Föderation zu zerstören. Über die vier Kroaten, die wegen der Leutar-Ermordung seit Monaten in Sarajevo in Untersuchungshaft sind, und zwar auf Veranlassung des UN-Bevollmächtigten Klein, kann ich nur sagen, daß sie vollkommen unschuldig sind. Leutar war Mitglied des Präsidiums unserer Partei und stellvertretender Innenminister. Es gab keinerlei Motiv für die Kroaten, ihren eigenen Mann umzubringen. Aber ich erinnere an die Autobombe, die in Sarajevo explodierte, und an die zehn kroatischen Rückkehrer, die in Zentralbosnien ermordet wurden. Ich weiß nicht, ob das die Mudschahedin waren – jedenfalls ist es überall die gleiche Handschrift.

Was ist mit den übrigen kroatischen Politikern, gegen die der hohe Repräsentant Petritsch Sanktionen in Kraft gesetzt hat?

Jelavic: Diese Politik der Sanktionen und sogar der Rache führt sicher nicht zu einem lebensfähigen, stabilen Bosnien. Ich bin aber davon überzeugt, daß eine korrekte Politik der internationalen Gemeinschaft zu einer "sich selbst tragenden", also lebensfähigen Lösung des bosnischen Problems führen könnte. Ich möchte hier an die Worte des slowenischen Präsidenten Milan Kucan erinnern, der gesagt hat: "Ohne Lösung des kroatischen Problems gibt es kein lebensfähiges Bosnien-Herzegowina."

Warum konzentrieren sich die Aktivitäten und die Strafmaßnahmen der internationalen Gemeinschaft gerade auf die kleinste Volksgruppe in Bosnien, auf die Kroaten – während von den Serben und Moslems kaum die Rede ist?

Jelavic: Als ich zum ersten Mal hörte, Ziel der internationalen Administration sei die Schaffung eines anationalen, sogenannten bürgerlichen Bosniens, habe ich mich gefragt: "Wie soll so etwas aussehen?" Fünfeinhalb Jahre nach Dayton haben wir einerseits die ethnisch "saubere" Republika Srpska, in der die Serben absolute Herrschaft ausüben – während sich auf der anderen Seite die kroatisch-moslemische Föderation unter der Herrschaft der moslemischen Mehrheit befindet. Andererseits sehen wir, daß niemand – auch die mächtigsten Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft nicht – die "Republika Srpska" antastet. Niemand verlangt, daß man etwa auch in der "Republika Srpska" eine anationale Ordnung aufbauen müsse. Aber die Föderation wird nach den neuesten Initiativen des hohen Repräsentanten in ein zentralisiertes Gebilde unter absoluter Herrschaft der Moslems verwandelt, wobei die Bezirke mit kroatischer Mehrheit ihrer Kompetenzen beraubt werden.

Kann die kroatisch-moslemische Föderation überhaupt funktionieren?

Jelavic: Sie kann – aber nur unter der Voraussetzung klarer Verhältnisse und der Gleichberechtigung beider beteiligten Nationen.

Wie ist die Lage der Kroaten, die in den Gebieten mit moslemischer oder serbischer Mehrheit leben?

Jelavic: Auf dem Gebiet der "Republika Srpska" lebten vor 1992 eine Viertelmillion Kroaten. Heute leben dort noch 2.500. Kann man wirklich davon sprechen, daß die Kroaten unter diesen Umständen auf dem Gebiet der "Republika Srpska" gleichberechtigt sind? Im moslemischen Landesteil sind wir Kroaten zwar Bürger, aber ohne Rechte als Nation. Nur in fünf Kantonen, in denen die Kroaten die Mehrheit stellen, haben wir, wenn auch unvollkommene, kollektive Rechte. Im mittelbosnischen Kanton, in welchem die Kroaten die Mehrheit stellen, werden zwei amtliche Sprachen anerkannt: das Kroatische und das Bosnische, die Sprache der Mosleme. Aber im Kanton Tuzla, wo wir in der Minderheit sind, gibt es nur eine zugelassene Sprache – das Bosnische. Die Lage ist absurd: inzwischen sind auf kroatischer Seite Hunderte von Politikern auf höherer und lokaler Ebene, Polizeibeamte, Soldaten, Offiziere, Generale, Bürgermeister abgesetzt und ihrer politischen und Menschenrechte beraubt worden – ohne schlüssige Begründung. Es gab kein einziges normales Gerichtsverfahren, das die Schuld eines der Beklagten bewiesen hätte. Mich hat man als Mitglied des Präsidiums abgesetzt, und an meiner Stelle wurde ein Kroate gesetzt, der bei den Wahlen durchgefallen war und nicht einmal ein Abgeordnetenmandat gewonnen hatte. Das alles führt in eine Sackgasse und in eine Verfassungskrise.

Das alles klingt, als habe der hohe EU-Repräsentant in Bosnien mehr Macht als ein Kolonialgouverneur in Afrika vor hundert Jahren?

Jelavic: In der Tat, augenblicklich haben Leute wie Petritsch mehr Macht als die meisten Kolonialherrscher während des 19. Jahrhunderts. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen, das im Westen vielleicht leichter zu verstehen ist: Was würde geschehen, wenn der belgische König jemanden mit der Regierungsbildung beauftragen würde, der nicht bereit wäre, den politischen Willen der Flamen oder Wallonen zu berücksichtigen? Der Staat Belgien würde auseinanderfallen!

 

Ante Jelavic geboren 1963, war von 1995 bis 2001 Vorsitzender der Partei der Kroaten in Bosnien HDZ (namensgleich aber unabhängig von der HDZ in Kroatien) und Mitglied des Staatspräsidiums von Bosnien-Herzegowina. Jelavic gründete 1991 den "Kroatischen Verteidigungsrat" (HVO), die Armee der Kroaten während des Krieges in Bosnien. Nach dem Vertrag von Dayton geriet er mit der Regierung in Sarajevo in Konflikt, als er die Gleichberechtigung seiner Volksgruppe einforderte. Trotz seiner Absetzung – auf Betreiben des EU-Repräsentanten in Sarajevo, Wolfgang Petrisch – genießt er das Vertrauen einer Mehrheit der Kroaten in Bosnien.

 

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