© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/01 04. Mai 2001


Merkels Illoyalität
von Anne Scholz

Letzte Woche war die CDU-Parteivorsitzende Merkel zu Besuch in den USA, und Präsident Bush empfing sie – trotz der wohlwollenden Einführung des Atlantikers und Ex-Verteidigungsministers Rühe – nicht. Statt dessen wurden ihr von Vizepräsident Cheney und Außenminister Powell unangenehme Fragen zu verschiedenen Themen gestellt: Zuwanderung nach Deutschland, Unterfinanzierung der Bundeswehr, Bündnisverpflichtungen bei der Osterweiterung der Nato, Raketenabwehrprogramm der USA, China-Politik, Kyoto, Einflußnahme auf die EZB durch die Politik, um dadurch die US-Wirtschaft indirekt anzukurbeln.

Die "atlantische Kontinuität" der CDU-Außenpolitik befindet sich auf dem Prüfstand. Das Verhältnis zwischen Deutschen jeder parteipolitischen Couleur und der US-Administration hat einen Grad der Abkühlung wie schon lange nicht mehr erreicht. Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft anstatt multikulturellem US-Gesellschaftsbild, 24stündige Kurzreisen Schröders in die USA, aber tagelanges Schlittenfahren in St. Petersburg, Leitkultur der Deutschen, anstatt westlich-naiver Lightkultur, massive Kritik am NMD, aber positive Signale nach Moskau, offene Kritik an der UÇK-Unterstützung der USA, BND und Bundeswehroffiziere in Usbekistan und Tschetschenien, aber Deutschland spielt "Toter Mann" bei der Nato-Osterweiterung. Die Bruchlinien hinsichtlich des Verhältnisses zu den USA verlaufen quer durch alle deutschen Parteien. Fraglich ist, ob es nur Planlosigkeit und Schlingerkurs ist oder ob Ansätze zu mehr Eigenständigkeit keimen.


 
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