© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/01 04. Mai 2001

 
Angriffe auf die "Weiße Rose" und den 20. Juli 1944
Der verratene Widerstand
Dieter Stein

Die Abnabelung der von ihrem derzeitigen Establishment am liebsten geschichtslos multikulturell und kosmopolitisch verorteten BRD von ihren nationalen Traditionssträngen wird munter weiterbetrieben. Wie die JUNGE FREIHEIT schon mehrfach berichten mußte, legen die in dieser Umdeutung tonangebenden Historiker mittlerweile schon seit einigen Jahren verstärkt die Axt selbst an die Wurzeln des deutschen Widerstandes im Nationalsozialismus. Zum 55. Jahrestag des Attentats auf Hitler durch Stauffenberg am 20. Juli 1944 nahm der Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Peter Steinbach, die militärische Opposition um Stauffenberg im trüben Kielwasser der inzwischen als erwiesenermaßen unwissenschaftlich verschrotteten Anti-Wehrmachtsausstellung unter Feuer und versuchte den vom Dritten Reich Ermordeten am Zeug zu flicken, indem man sie zu Brüdern im Geiste von Himmler und Hitler degradiert.

Diese Historiker, die den mutigen Offizieren um Stauffenberg posthum moralisch die Schulterklappen herunterreißen wollen, die über die "Unprofessionalität" (Arno Orzessek in der Süddeutschen Zeitung) Stauffenbergs daherreden, haben nichts anderes im Sinn, als jeden nationalen, national-konservativen Ideentransfer über den historischen Bruch 1933–45 hinaus dort landen zu lassen, wo sie ihn so gern hätten: im Reißwolf.

Der neueste Schritt in der Kompostierung des Widerstandes ist der Vorstoß, sogar die Geschwister Scholl und die Widerstandsgruppe "Weiße Rose" zu "entheroisieren", wie dieser Tage proklamiert. An den1943 hingerichteten Scholls stört, daß sie aus der bündischen Jugend kamen und national orientiert sowie christlich geprägt waren.

Einem der Überlebenden der "Weißen Rose", Hans Hirzel, dem man in erster Linie sein heutiges Engagement für die Republikaner übelnimmt, wirft Peter Steinbach nun sogar vor, die Geschwister Scholl an die Gestapo verraten zu haben. Obwohl sonst über das Engagement Hirzels nicht sonderlich glücklich, nahm die Münchner Weiße-Rose-Stiftung Hirzel gegen diese Ehrabschneidung in Schutz und stellte klar, daß Hirzel sehr wohl versuchte habe, die Scholls noch zu warnen.

Ernst Jünger schrieb dazu: "Die Leute ziehen eine Größe aus ihrer Zeit und deren Eros wie einen Fisch aus dem Wasser und freuen sich darüber, daß er zu stinken beginnt." Von einer Heroisierung kann im Falle der Weißen Rose vielleicht ansatzweise, aber wohl kaum beim 20. Juli 1944 die Rede sein. Deutschland ist vielmehr unfähig, denjenigen den ihnen gebührenden Rang einzuräumen, die allein durch ihre Tat jedes Gerede von einer Kollektivschuld ad absurdum führen und die These vom "Volk der Täter" als Phrase entlarven.

Es scheint so, als ob gerade opportunistisch veranlagte Mainstream-Historiker in einer Art autoaggressiver Handlung die These vom deutschen "Opportunismus" kultivieren und Widerstand verachten – weil sie selbst oder ihre leiblichen Väter zu ihm nicht fähig gewesen sind.


 
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