© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/01 27. April 2001

 
Christliche Flügelkämpfe
Hamburg: CDU-Parteitag serviert konservative Kandidaten ab / Spitzenkandidat Ole von Beust rechnet sich Chancen auf Regierungsbildung aus
Holger Stürenburg

Viele Wochen tobte ein Kleinkrieg unter den Funktionären und Meinungsführern innerhalb der sieben Kreisverbände der hanseatischen Christdemokraten. Fast täglich las man in der Presse von unzufriedenen CDU-Mitgliedern, die ihren Orts- und Kreisvorsitzenden Mauscheleien, Filz und Machtmißbrauch bei der Nominierung der Kandidaten vorwarfen. Im Februar wurden von den sogenannten Kreisausschüssen die Kandidaten nominiert, die eine Landesvertreterversammlung am vergangenen Samstag im Saal IV des Congress Centrum Hamburg endgültig auf die Bürgerschaftsliste wählen sollte. Besonders aktive Orts- und Kreisfunktionäre, die betont konservativ ausgerichtet sind und sich zudem öfter kritisch zu den innerparteilichen Zuständen in der hanseatischen CDU äußerten, wurden von den jeweiligen Kreisausschüssen fast durchgehend mit Nichtachtung gestraft.

Auf der endgültigen Bürgerschaftsliste stehen somit hauptsächlich altgediente Abgeordnete, die bislang meist durch Opportunismus und Anpassung bestochen haben, sowie pflegeleichte Nichtstuer, denen die Oppositionsrolle in der Hamburger Bürgerschaft offenbar die Erfüllung ihres Lebenstraumes bedeutet. Nur wenige der derzeit im Landesparlament vertretenen CDU-Abgeordneten haben in der vergangenen Legislaturperiode viel geleistet: der gesundheitspolitische Sprecher Dietrich Wersich etwa, der auch als CDU-Obmann des "Filz-Untersuchungsausschusses" fungierte, oder die Rechtsanwältin Viviane Späthmann. So beschlossen mehrere CDU-Vertreter – sowohl solche, die bereits im Parlament vertreten waren, aber nicht mehr nominiert wurden, als auch solche, die seit Jahren von CDU-Oberen an einer Bürgerschaftskarriere gehindert wurden – eine Armada an Gegenkandidaturen, um neuen Geist in die Kandidatenliste zu tragen. Einen Tag vor der Landesvertreterversammlung stellten sich die Gegenkandidaten der Öffentlichkeit vor. Da wäre zunächst der eher linksliberale Jura-Professor Ulrich Karpen, der vom Wahlausschuß genausowenig berücksichtigt worden war wie die rührige Europapolitikerin Bettina Machaczek, die seit Jahren aktive Basisarbeit in ihrem Kreisverband Nord betreibt. Wie diese beiden sitzt auch der frühere JU-Landesvorsitzende Klaus-Peter Hesse bereits seit vier Jahren in der Bürgerschaft. Er war kraft seines Amtes auf einen aussichtsreichen Listenplatz gesetzt worden, galt zunächst als linker Flügelmann, bevor er sich mit seinem intensiven Eintreten für die Einführung von Schuluniformen in konservativen Kreisen beliebt machte.

Bislang nicht in der Bürgerschaft vertreten waren Sven Gaudian und Niels Quistorff. Gaudian, Ortsvorsitzender von Lurup/Osdorfer Born, gilt als konservativ-populistischer Vertreter der CDU; Quistorff, Vorsitzender des Ortsverbandes Billstedt/Horn, als querdenkendes Nachwuchstalent. Beide stehen als Ortsvorsitzende sozial schwachen Gebieten vor und sind mit politisch unkorrekten Aktionen aufgefallen. So war Gaudian der erste CDU-Ortsvorsitzende, der den Hamburger Amtsrichter Ronald Barnabas Schill im Juni vergangenen Jahres öffentlich in seinen Ortsverband einlud – und sich somit die Abneigung der CDU-Oberen sicherte, obgleich große Teile der christdemokratischen Basis große Sympathien für Schill und seine Partei Rechtsstaatlicher Offensive hegen.

Gaudian war bereits bei der Kreisausschußversammlung in Altona am 6. Februar für seine konservative Grundhaltung abgestraft worden. Nur auf den aussichtslosen 18. Listenplatz setzte man ihn, Gaudian kandidierte gegen den viertplazierten Volker Okun, kam aber nicht durch und verzichtete somit auf eine Kandidatur für Rang 18. Dennoch wollte Gaudian am vergangenen Samstag noch einmal sein Glück versuchen. Neben den genannten "fünf Rebellen gegen Ole von Beust" (Bild) ging auch die stellvertretende JU-Landesvorsitzende Stephanie Gamm ins Rennen, wie auch eine Deutsch-Türkin, die vor allem durch konsequentes Eintreten für eine multikulturelle Gesellschaft aufgefallen war. Doch die Delegierten – die ihr Amt teilweise seit 30 Jahren ausüben – weigerten sich in nahezu allen Fällen, von der bereits festgelegten Liste abzuweichen. Brav wählte man einen vorgeschlagenen Kandidaten nach dem anderen.

Ole von Beust wurde mit 192 von 210 Stimmen erwartungsgemäß zum Spitzenkandidaten gewählt, bis Platz 6 wurden alle Kandidaten kommentarlos abgesegnet, bevor die ersten Gegenkandidaturen begannen. Die Deutsch-Türkin Jerfi Hein versuchte das konservative CDU-Urgestein Karl-Heinz Ehlers herauszukanten, scheiterte aber deutlich. Ebenso Stephanie Gamm und Bettina Machaczek. Erstere scheiterte bei ihrem letzten Versuch, Platz 43 für sich zu vereinnahmen, mit neun Stimmen. Niels Quistorff ging um Platz 35 ins Rennen, konnte aber nichts erreichen und gab sich daher geschlagen. Sven Gaudian versuchte ebenfalls nur einmal sein Glück und kandidierte gegen Volker Okun um Platz 30, konnte sich aber mit 41 zu 150 Stimmen nicht durchsetzen. Einzig Klaus-Peter Hesse, der als einer der aktivsten CDU-Abgeordneten der letzten Legislaturperiode gilt, konnte den bislang nicht näher aufgefallenen Jörn Fromann mit 108 zu 88 Stimmen überrunden und hat auf Listenplatz 39 gute Chancen, erneut in die Bürgerschaft einzuziehen. Auf andere Experimente wollten sich die Delegierten nicht einlassen.

Schon am ersten Wochentag nach der Versammlung war von "tiefen Rissen" (Die Welt) in vielen Kreisverbänden die Rede. So steht der Kreisverband Harburg kurz vor seinem Auseinanderbrechen; im Raum Altona spielen Basisfunktionäre mit dem Gedanken an die Auflösung ganzer Ortsverbände. In Elmsbüttel haben Funktionsträger die CDU bereits verlassen; in Lurup liegen haufenweise Austrittsschreiben in den Schubladen bis dato aktiver Mitglieder.

Somit bleibt in der Hamburger CDU alles beim alten. Konservative Politiker werden in der neuen Bürgerschaft kaum vertreten sein; wirkliche Quereinsteiger sind ebensowenig vorhanden. Dies ist vor allem deshalb bedauerlich, weil die langzeitoppositionelle CDU bei den Bürgerschaftswahlen am 23. September erstmals seit vielen Jahren eine reale Chance hat, die Regierungsgeschäfte in der Hansestadt zu übernehmen. Nicht nur Umfragen sagen dies. Auch durch das erstmalige Antreten der rechtskonservativen Partei Rechtsstaatlicher Offensive Schills ist ein möglicher Koalitionspartner vorhanden.

Zudem scheint in der Bevölkerung eine allgemeine Stimmung für eine Änderung der Hamburger Politik zu herrschen. Außerdem ist Hamburgs Erster Bürgermeister bei seinen Bürgern nicht sehr beliebt; Oppositionsführer Ole von Beust verfügt laut Umfragen über weitaus höhere Sympathiewerte als Amtsinhaber Ortwin Runde.


 
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