© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/01 20. April 2001

 
Zeitschriftenkritik: Kult
Lyrische Kleinode
Werner Olles

Von dem auf den ersten Blick etwas merkwürdig anmutenden Schreib- und Sprachstil, den Kult, das "Magazyn fyr Netzwerkpoesy" bisweilen pflegt, sollten sich an Literatur und Literaturzeitschriften potentiell Interessierte keinesfalls abschrecken lassen. Zweimal jährlich bietet das im 6. Jahrgang erscheinende und rund 56 Seiten starke Heft im Format DIN-A4 neben Prosa, "Feuylleton", Lyrik, Rezensionen und einer Seite für "Termyne" auch Autoren, Verlegern, Redakteuren und Lesern ein Forum. Auf diesem eröffnet in der jüngsten Ausgabe Hadayatullah Hübsch mit einer Replik in Longpoem-Manier auf eine Rezension seines Buches "Als die Wildblumen blühten" einen "Diskurs über die Kritik subkultureller Bücher".

Daß die Prosa gegenüber der Lyrik auch in Kult einmal mehr zu kurz kommt, darüber sollte man sich nicht zu sehr ärgern, erstens ist das bei fast allen kleineren Literaturzeitschriften der Fall, und zweitens entschädigt einen das "Feuylleton" dafür mit zwei ausgezeichneten Beiträgen. Lutz Rathenows Aufsatz über den am 9. Mai 1999 – wahrscheinlich an den Folgen einer durch bewußte Verstrahlung durch Mielkes Stasi-Schergen ausgelösten Krebserkrankung – verstorbenen Schriftsteller Jürgen Fuchs, einen der "unbekanntesten und am meisten verehrten Autoren dieser Republik", sollte jeder gelesen haben, der immer noch daran zweifelt, was in und an diesem Staat totalitär war.

Ein feuilletonistisches Kleinod ist der Text von Raimund Samson über Pier Paolo Pasolini, den "Ketzer der marxistischen Religion", dessen Tod sich am 2. November 2000 zum 25. Mal jährte. Damals wurde der Dichter, Regisseur, und Journalist, dessen Leben und literarische Hinterlassenschaft bis heute ein Phänomen geblieben sind, ermordet an einem Strand in der Nähe von Rom aufgefunden. Pasolinis Werk hat aber auch politischen und ästhetischen Zündstoff zu bieten und damit, vor allem aber mit der "Querköpfigkeit, Zähigkeit und dem verzeifelten Mut Pasolinis" beschäftigt sich Samson seit zehn Jahren intensiv. Pasolini war ein überzeugter, in der Tradition Gramscis stehender Marxist, der 1949 als 27jähriger wegen "moralischer Unwürdigkeit" – er war homosexuell – aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen wurde. Das hinderte ihn jedoch nicht, sich weiterhin als Kommunist zu betrachten und entsprechend zu wählen, aber "anders zu fühlen". Er schrieb gegen die Nivellierung, die "alles Authentische und Besondere vernichtet", prangerte die Ideologie des Konsums und einen ausufernden Liberalismus an und kritisierte in seinen Essays den Prozeß kultureller Entfremdung in den siebziger Jahren. Der Häretiker und Abweichler stand der 68er-Bewegung ablehnend gegenüber, er war gegen die Freigabe der Abtreibung und polemisierte vehement gegen die Permissivität einer Gesellschaft, die die alten kulturellen Modelle verleugnete.

Daß der Rezensent die nächste Ausgabe von Kult mit Freude erwartet, ist übrigens auch dem kleinen Gedicht "Italienische Landschaft" von Barbara Zeizinger geschuldet.

 

Kult. Sportplatzstr. 21 b, 63773 Goldbach. Der Einzelpreis beträgt 7 Mark, das Jahresabo kostet 15 Mark.


 
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