© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/01 20. April 2001

 
Keine Wilden, Räuber und Totschläger
Albanien: Um Gebietsansprüche und Einflußsphären zu legitimieren, werden die Shkypetaren nach wie vor instrumentalisiert / Ein Volk ohne wahre Freunde
Carl Gustaf Ströhm

In unserer angeblich so "antirassistischen" und gegen "Fremdenfeindlichkeit" sensibilisierten Welt gibt es Völker, die – so seltsam es auch erscheinen mag – von den Protagonisten des Antirassismus mit geradezu rassistisch anmutenden Vorurteilen überzogen werden. Auf dem Balkan gibt es dafür zwei eindrucksvolle Beispiele – einmal die Herzegowina-Kroaten, zum anderen die Albaner – und hier wiederum vor allem die Kosovo-Albaner.

Beide Volksgruppen sind in der internationalen Gemeinschaft schlecht angeschrieben. Die westlichen Emissäre und Kommissare vor Ort sprechen von ihnen als kroatischen bzw. albanischen "Extremisten", "Terroristen", "Nationalisten" und "Feinden des Fortschritts und des friedlichen Zusammenlebens". Viele westliche Medien plappern diese Redewendungen naiv und bieder nach. Die wenigsten Beobachter wagen überhaupt, die Frage zu stellen, wieso gerade diese ethnischen Gemeinschaften derart in Acht und Bann der westlichen Welt geraten sind. Sind sie vielleicht gegenüber den Mächtigen des Westens nicht anpassungsfähig, nicht unterwürfig und nicht gehorsam genug?

Besonders eindrucksvoll ist der Fall der Albaner – vor allem der "Kosovaren", also der Bewohner der formell immer noch zu Jugoslawien gehörenden Provinz Kosovo. Im gleichen Augenblick, da in Belgrad der "böse" Slobodan Milosevic stürzte, verwandelte die westliche Politik die Kosovo-Albaner aus Opfern der serbischen Gewaltherrschaft in Täter und Verbrecher, die es wagten, in ethnisch albanisch besiedelten Gebieten Aufstände und bewaffnete Überfälle anzuzetteln. Die Forderung der Albaner nach einem albanischen Nationalstaat wurde und wird im Westen bereits als "Verbrechen" betrachtet, obwohl hier nur gefordert wird, was die westlichen Staaten längst für sich selber verwirklicht haben. Als besonders "verwerflich" gilt in westlichen Augen das albanische Streben nach der "Verwirklichung Groß-Albaniens" – das heißt der Vereinigung aller albanisch besiedelten Gebiete in einem gemeinsamen Staat. Daß dieses "Groß-Albanien" – das nur einmal in der neueren Geschichte, nämlich zwischen 1943 und 1945 Wirklichkeit war (als die Deutschen das Land besetzt hatten) – heute längst auf einem Mythos beruht, stört die westlichen Schreckensvisionen in keiner Weise.

Im Jahre 1985 erschien im Böhlau-Verlag das Buch eines profunden Albanien-Kenners, des ehemaligen österreichischen Botschafters (Budapest, Belgrad, Tirana) Walther Peinsipp, unter der Überschrift "Das Volk der Shkypetaren". Das Werk des Alt-Diplomaten blieb damals – sieht man von einigen Albanologen ab – weitgehend unbeachtet, denn es war fünf Jahre zu früh gekommen. Wer kümmerte sich damals, als der Kommunismus noch regierte, um dieses vergessene Volk? Peinsipp aber lieferte eine faszinierende, geradezu prophetische Schilderung der "Skipetaren" (Shkypetaren) – nämlich der nordalbanischen Gebirgsbevölkerung im Raum zwischen dem einst jugoslawischen Prizren und dem Skutari-See. Peinsipp, Jahrgang 1906, inzwischen leider verstorben, war im Zweiten Weltkrieg als deutscher Unteroffizier bei der Abwehr und hat damals allein auf einem Maulesel reitend die albanischen Gebirgsstämme besucht, ohne daß ihm – trotz Partisanenkrieg – je ein Haar gekrümmt worden wäre. Gleich zu Beginn bemerkt der ehemalige österreichische Diplomat: "Der zähe, jahrhundertelange Freiheitskampf dieses Volkes gegen die osmanische Besetzung des Balkanraumes ist weder von Dichtern besungen noch von Historikern entsprechend gewürdigt worden. Dafür eiferten Montenegriner, Serben und Italiener geradezu darum, den Shkypetaren zum Wilden, Räuber und Totschläger Europas zu stempeln, um damit Ansprüche auf albanisches Gebiet zu bemänteln." Haben wir heute nicht den gleichen Zustand – nur, daß an die Stelle der Montenegriner die Europäer aus Brüssel getreten sind?

Der erste albanische Staat, der 1912 aus der Konkursmasse des Osmanischen Reiches entstand, wurde jedoch in Grenzen gezwängt, die den ethnischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten zuwiderliefen. Serbien besetzte eigenmächtig das damals zu 75 Prozent von Albanern besetzte Kosmet (Kosovo-Metohija, also die heutige Provinz Kosovo). Das aber war die Mais- und Kornkammer Albaniens, von welcher der Lebensstandard des neuen Staates abhing. Auch die nordalbanischen Gebirgsstämme wurden auseinandergerissen. Serbien schuf auf diese Weise einen "Dauerbrandherd" auf dem Balkan, meint Peinsipp. Wörtlich: "Die Großmächte fanden sich, wie immer in solchen Fällen, widerstandslos mit dem fait accompli ab, womit der neue Staat zum bloßen Vegetieren verurteilt war …"

Nach der vorübergehenden Annexion durch Italien und einer kurzen Anwesenheit der deutschen Wehrmacht (die von den meisten Albanern besonders des Kosovo durchaus als Befreiung begrüßt wurde) gerieten die nordalbanischen Stämme unter die Herrschaft der Kommunisten, die meist aus Süd-Albanien stammten: Aus dem Stamm der Tosken, zu denen auch der spätere stalinistische Diktator Enver Hodscha gehörte.

Weiter bemerkte Peinsipp: "Der Schlußakt des shkypetarischen Dramas, welcher der westlichen Welt ... zufolge ihres Desinteresses völlig entging, war, wie Lord Amery, der Leiter einer der beiden alliierten Militärmission in den (albanischen) Hochlanden, es wörtlich nennt, ’wahrlich kein Ruhmesblatt in der Kriegsgeschichte der Alliierten‘. Da Churchills Plan der Errichtung einer Balkanfront bei Roosevelt nicht durchkam, kam es, wie es unter den gegebenen Umständen gar nicht anders kommen konnte: Der ganze Balkan fiel in kommunistische Hand. Die Art und Weise jedoch, wie Albanien Moskau geopfert wurde, war, selbst nach dem Urteil Lord Amerys ’nicht ehrenhaft und übertraf noch den Betrug, der von Großbritannien während des Ersten Weltkrieges an den Arabern begangen wurde‘." Manche westlichen Politiker und Medien, die über die Albaner dies- und jenseits der Grenzen die Nasen rümpfen, sollten sich daran erinnern, daß der Westen eine tiefe politische und jedenfalls moralische Schuld an dem heutigen Elend dieses Volkes zu tragen hat.

Über die Haltung der nordalbanischen Gebirgsstämme – der nordalbanischen Gegen, wie sie im Gegensatz zu den südlichen Tosken genannt wurden – während der Endphase des Zweiten Weltkrieges schreibt Peinsipp, daß viele deutsche Familien es diesen Albanern zu danken hätten, wenn ihre Söhne und Väter auf dem Rückzug der Heeresgruppe E aus Griechenland lebend und unversehrt heimkehren konnten: Denn die Gebirgs-Albaner und Kosovaren deckten den Rückzug der deutschen Truppen, Peinsipp zitierte den Mirditenkapitän (Stammesoberhaupt) Gjon Marco Gjoni, der es in Verhandlungen mit dem Alliierten standhaft ablehnte, seinen Leuten den Schießbefehl gegen die deutschen Truppen zu erteilen.

Dazu der Autor: "Die Shkypetaren waren bereits davon überzeugt, die Wehrmacht könne den Krieg nicht mehr gewinnen und sie würden die Machtergreifung durch die Kommunisten geradezu heraufbeschwören, wenn sie sich in einem sinnlosen Kampf mit ihr verbluteten. Außerdem standen sie (die Albaner) auf dem Standpunkt, daß es gegen ihren Ehrbegriff verstoße, demjenigen, den man als Freund angenommen hatte, in den Rücken zu fallen."

Die Wehrmacht aber, so der österreichische Autor (der übrigens alles andere als ein Sympathisant des NS-Regimes war), habe sich in Nord-Albanien nicht unbeliebt gemacht. "Ihre Kommandeure achteten auf strengste Disziplin der Truppe im Verhalten der Bevölkerung, vor allem Frauen gegenüber … Die Wehrmacht mischte sich auch nie in die inneren Angelegenheiten des Landes ein … Sogar der SD, die Bluthunde Himmlers in anderen besetzten Gebieten, hielt sich … zurück … Die (deutschen) Kommandeure benahmen sich im Unterschied zu den italienischen nicht als Prokuratoren und achteten darauf, daß den besonderen psychologischen Gegebenheiten des Landes Rechnung getragen wurde … ."

Peinsipp erhebt – gestützt auch auf die Aussagen des bereits zitierten britischen Offiziers und Abwehrspezialisten Lord Amery – schwere Vorwürfe gegen die Westalliierten. Die bürgerliche Staatsführung Albaniens sei nicht nur von den Kommunisten, sondern vor allem vom alliierten Hauptquartier in Bari (Süditalien) als "Bande von Quislingen" gebrandmarkt worden, und zwar völlig zu Unrecht. Nochmals zitiert der Autor den Briten Lord Amery: "Nie zuvor waren so viele britische Beobachter am Balkan tätig. Niemals jedoch haben sich so viele verantwortliche Briten so vielen falschen Auffassungen und Illusionen hingegen wie diesmal … Die britischen Hauptquartiere waren … von echtem Enthusiasmus für Tito und Hodscha berauscht, und verantwortliche Stabsoffiziere überboten sich geradezu an unanständigem und masochistischem Eifer für die Vernichtung der (königstreuen) jugoslawischen Tschetniks und der albanischen Zoghisten (Anhänger des Königs Zogu). Von beiden aber stand fest, daß sie unsere (d. h. der Briten) Freunde waren … Die Gegner der Kommunisten, … wurden erstaunlicherweise durch die konservativsten Briten in den Hauptquartieren als Faschisten und Reaktionäre gebrandmarkt". Als Lord Amery im Kreise britischer Offiziere in Bari vor dem Kommunisten Tito warnte, sagte ihm einer der anwesenden Briten, er solle lieber den Mund halten, weil man ihn sonst für einen Sympathisanten von Goebbels halten könnte!

Weiter schreibt Peinsipp über die Albaner des Nordens: "Der widerliche Typ des charakterlichen Radfahrers ist diesem Volke fremd … Das Auftreten des Shkypetaren ist, … auch wenn er mit zusammengeflickter Hose daherkommt und ihm die Armut aus den Augen schaut, das der vollendeten Männlichkeit und der Würde vom Scheitel bis zur Sohle."

Für jene, die sich voller sittlicher Empörung über die albanischen "Extremisten" ereifern, die im Presevo-Tal oder bei Tetovo herumschießen, sei noch folgende Bemerkung Peinsipps zitiert: "Wer die Waffe einem Shkypzetaren öffentlich wegnahm, und sei dies die Staatsgewalt, entmannte ihn und entehrte ihn vor aller Umwelt. Es ist weder den Türken noch anderen Besatzungsmächten je gelungen, die Shkypetaren zu entwaffnen. Die Wehrmacht versuchte es gar nicht. Das Bild, das sich einem während der deutschen Besatzung in Skutari und Lissus bot, war ein einmaliges. Ein nicht mit den Verhältnissen Vertrauter mußte den Eindruck gewinnen, die Shkypetaren und nicht die Deutschen seien die Besatzungsherren. Erstere gingen mit umgehängtem Gewehr und Patronengurt herum, die (deutsche) Standorttrupp trug nur das Seitengewehr … Ein Mann ohne Gewehr galt als nicht angezogen. Ohne Waffe auszugehen, hätte ihn in den Ruf gebracht, als Weib herumzulaufen … Nur die Achtung des Rechts auf Tragen der Waffe hat der Wehrmacht einen friedlichen Abzug gesichert …"

Der Rezensent dieses Buches kann aus eigenem Erleben nur bestätigen, was Peinsipp aufgeschrieben hat. Noch tief in der kommunistischen Zeit hat er sowohl im stalinistischen Albanien wie im titoistisch beherrschten Kosovo von Albanern nur Positives erfahren. Wenn man sich als Deutscher zu erkennen gab, gingen bei den einfachen Albanern überall die Türen auf, gelegentlich konnte man sich der Gastfreundschaft kaum erwehren. Und als der Rezensent bereits im nachkommunistischen Albanien in einer Zeit durchs Land reiste, als praktisch jeder Bewohner bewaffnet war und eifrig herumgeschossen wurde (es war dies nach der Plünderung der Armee-Waffenlager durch die Bevölkerung), war es ein Kosovare, der mich mit Mut und Umsicht aus einigen sehr ungemütlichen Situationen herausführte.

Was das Buch Peinsipps betrifft, so sollte man es den Nato- und KFOR-Stäben sowie den hohen Repräsentanten in Bosnien und anderswo als Pflichtlektüre vorschreiben. Es ist sehr zu bedauern, daß es auf westlicher Seite keine Diplomaten vom Kaliber Peinsipps mehr gibt. Mit solchen Leuten hätten sich auf dem Balkan viele Fehler vermeiden lassen. Vielleicht tut wenigstens der Nachlaß posthum seine Wirkung.

 

Walther Peinsipp: Das Volk der Shkypetaren. Geschichte, Gesellschafts- und Verhaltensordnung. Ein Beitrag zur Rechtsarchäologie und zur soziologischen Anthropologie des Balkans, Böhlau Wien, Köln, Graz. 1985, 303 Seiten


 
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