© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/01 13. April 2001

 
Dauerfehde um Osterfeuer
Baal Müller

Wie jedes Jahr zu Ostern werden auch diesmal wieder in vielen Gegenden Osterfeuer angezündet – so auch im Münchner Ortsteil Pasing-Obermenzing. Und wie in jedem der vergangenen Jahre wurde in der Lokalpresse ein hitziges Gefecht über den "menschenverachtenden" und "antisemitischen" Charakter dieses in Pasing sogenannten "Jaudesfeuers"‚ ausgetragen. Begonnen haben die Querelen 1994, als der Münchner Pfarrer Klaus Günther Stahlschmidt von der Kanzel wetterte, daß dieser österliche Brauch, bei dem in Obermenzing eine Strohpuppe verbrannt wird, aufgrund des Holocaust nicht mehr akzeptiert werden könne – bei dem "Jaudesfeuer"‚ werde schließlich ein symbolischer Judas verbrannt, und der sei ja bekanntlich ein Jude.

Demgegenüber verwies der Trachten- und Brauchtumsverein zwar stets auf die vorchristliche Tradition dieses alten, von der Kirche uminterpretierten Winteraustreibungsbrauches, benannte ihn aber nach einem Gespräch des Vereinsvorsitzenden Hans Menzing mit der Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde in München, Charlotte Knobloch, in "Feuer am Karsamstag nach altem Brauch" um und zündete statt einer Puppe zunächst nur noch Strohballen an. Doch mit den Jahren wurden die Strohballen zunehmend menschenähnlicher, bis am 22. April 2000 wieder eine voll bekleidete, lebensgroße Puppe in Flammen aufging. Im September einigte man sich auf einen Kompromiß: Die Verbrennung einer Puppe dürfe nur noch stattfinden, wenn sie zweifelsfrei als Wintersymbol zu erkennen sei, wobei die Mehrheit des Bezirksausschusses von Pasing-Obermenzing offenbar an einen – zwar winterlichen, aber wenig brennbaren – Schneemann gedacht hat, während der Vereinsvorsitzende Menzinger die Verbrennung einer Perchtenfigur mit geschnitzter Maske im Schilde führte. Seine Hoffnung, mit einem solchen Winterdämon altdeutschen Brauch und neudeutsche Korrektheit unter einen Trachtenhut zu bringen, trog jedoch: Das Baureferat verbot schließlich jegliche Puppenverbrennung – denn gerade die Stadt München müsse mit solcher Symbolik besonders sensibel umgehen –, und auch der Bezirksausschuß, dem Menzinger als CSU-Vertreter angehörte, stimmte im Januar mehrheitlich für ein Feuer ohne Puppe. Mittlerweile ist Menzinger sowohl vom Vereinsvorsitz zurückgetreten als auch aus der CSU-Fraktion ausgeschieden, und der Verein teilte mit, daß das Feuer stattfinde, man auf weitere Presseerklärungen aber verzichte. Deutsches Brauchtum – das zeigen diese Narreteien allemal – besteht im Jahr 2001 vor allem im Diskutieren und Verbieten.


 
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