© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/01 13. April 2001

 
CD: EBM
Respektlos
Ulli Baumgarten

Dakar & Grinser ist der Name eines neuen Elektronik-Duos aus Deutschland, das sich aufmacht die deutsche Elektro-Szene aufzumischen, was ihnen allerdings nur teilweise gelingt. Ihr in englischer Sprache gesungenes Album "Are you really satisfied?" wird von manchen als Mischung aus elektronischer Musik und Punk bezeichnet. Punkig, wenn man es denn schon so bezeichnen will, ist allenfalls ihre rotzfreche Attitüde, die Respektlosigkeit, mit der sie verschiedene Stile synthetischer Musik miteinander verbinden. House-, Ambient-, Techno-, EBM-, ja sogar Pop-Einflüsse mischen sich zu einer interessanten und teilweise sogar tanzbaren Musik. Die CD beginnt mit dem düsteren und bedrohlich wirkenden "Take me naked", das die harte EBM der achtziger Jahre auferstehen läßt, geht über das rein instrumentale "Walking in the acid rain" zum Titellied "Are you really satisfied now?", das ein glatter Ausfall ist. Besser wird es mit "Peace of bourbon", das so düster, dramatisch und pathetisch wirkt wie die Klanggemälde alter Recken a la Mortiis oder Puissance. Wozu Dakar & Grinser aber eigentlich fähig sind, zeigen sie mit dem besten Stück der CD, "Stay with me".

Daß gerade dieses Lied auch als Maxi ausgekoppelt wurde, zeugt von einer Kenntnis eigener Stärken – um so schlimmer, daß man die eigenen Schwächen anscheinend nicht kennt, folgt doch mit "Professional slackers" ein ausgesprochener Langweiler. Zum Iggy Pop-Klassiker "I wanna be your dog" rafft man sich dann auf und sorgt für etwas mehr Tempo und Spannung. Auch der Abschlußtitel "Jam the suckers in" zeugt davon, daß die beiden Jungs mehr können, als sie zeigen. Zu den zwei Bonus-Tracks kann man nur sagen: schlimm, schlimmer, am schlimmsten. Dennoch ein insgesamt gutes Album.

Ebenfalls elektronische Musik bietet der Sampler "VAWS Vol 1", der einen Querschnitt aktueller Musik von Synthie-Pop bis Industrial aufweist. Die CD beginnt mit Mark Oh, der den Achtziger- Jahre-Hit "The damned don‘t cry" von Visage zwar nicht gerade verhunzt, aber auch nichts damit anzufangen weiß. Die sehr guten Elegant machinery bringen gelungenen Synthie-Pop mit "Words of wisdom". Eher ruhig kommen die schwedischen Children within mit einer Club-Version von "Efemeris" daher. Sie zeigen erneut, daß sie zu den besten und intelligentesten Gruppen des Synthie-Pop gehören. Das beste Lied der gesamten CD liefern Hespora mit "Stahlkind". Harte und aggressive Rhythmen, die schon fast hypnotisch wirken, werden mit einer deutsch singenden weiblichen Stimme unterlegt. Hochgeschwindigkeitspop bringen die Norweger von Icon of coil mit "Former self". Weder Fisch noch Fleisch, tausendmal gehört. Ähnliches gilt für Tolchok und ihr "A practice for hell", EBM der mittleren Qualität. Besser wird es mit "Push" von Projekt-X, ebenfalls EBM und ebenfalls aus Skandinavien: knallige Rhythmen mit verzerrter Stimme. Pouppee Fabrikk, das andere Musikprojekt der Leute von Maschinenzimmer 412, bringen ihre Version des Vince Clarke-Klassikers "Photographic". "Blute jetzt", fordern Collapsed System von uns. Die deutsche Kultband Forthcoming Fire verdienen mit einem Mix ihres Liedes "Die Sonne so finster" einmal mehr die Liebe der Fans. Ebenfalls Kult, diesmal aus Italien, sind Kirlian Camera. Sie waren und sind wohl eine der wichtigsten und einflußreichsten Gruppen der letzten Jahre. Wer Dirk Ivens und sein Projekt Dive kennt, weiß,was ihn erwartet, harte, manchmal sogar brutale EBM.

Keinen Pfusch, sondern guten Elektro/Industrial bekommt der Hörer von Arzt + Pfusch. "My heart belongs 2 you", singen sie. "Anti-sound" hieß das 1999erAlbum von Marita Schreck zu Recht. Wer allerdings bereit ist, seine Ohren für ungewöhnliche Klänge zu öffnen, ist mit ihrem Lied "Das Einhorn lebt" gut beraten. Alles in allem eine wirklich gelungene CD. Beide CDs sind erhältlich bei Indietective Records, Walsroder Str. 145, 30853 Langenhagen.


 
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