© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/01 13. April 2001

 
Pankraz,
Georg Büchner und das Lachen der Schaubühne

Endlich wieder mal was Interessantes in der Berliner Schaubühne. Die jetzt dort gezeigte Inszenierung von Büchners "Dantons Tod" bringt das Stück, wie es wirklich gemeint ist – und das will viel heißen in einer Zeit, da Sozialrevolutionäre immer noch mit einem gewaltigen Sympathie-Vorschuß rechnen können, selbst und gerade dann, wenn sie elend scheitern. Sie werden dann üblicherweise mit einem elegischen Trauerflor ausstaffiert. Sie hätten es ja so gut gemeint mit ihrer Revolution, doch die Verhältnisse, sie waren leider nicht so, und so mußten sie halt untergehen, unbesiegt, genau betrachtet, sinnlos blutbefleckt, aber edel bis zum Stehkragen.

Von dieser eingeschliffenen Sicht ist in der Schaubühne nichts übriggeblieben, und das wirkt überaus attraktiv. Nicht dem aktuellen Zeitgeist, sondern dem Autor, Büchner, wird Referenz erwiesen. Dieser war zwar als ganz junger Mann sehr wohl ein aufgeregter kleiner vormärzlicher Sozialrevolutionär, der politische Kampfschriften im Stile der Linksfraktion der französischen Revolution verfaßte ("Friede den Hütten, Krieg den Palästen"), aber das ging schnell vorüber, und fortan erwies sich dieser sprachgewaltige Jüngling als völlig illusionslos, als unheimlich genauer Kenner des Lebens und der Menschennatur, der niemandem weniger traute als der damals allerorts im Geiste Hegels so sehr gefeierten "Vernunft der Geschichte".

Diese "Vernunft der Geschichte", erkannte Büchner, war nichts als ein blutiges Puppenspiel. Es gibt einen berühmten Brief von ihm an seine Braut aus dem Jahre 1824, aus dem gern zitiert wird und aus dem auch Pankraz ein paar Sätze bringen möchte: "Ich fühle mich wie zernichtet unter dem gräßlichen Fatalismus der Geschichte. Ich finde in der Menschennatur eine entsetzliche Gleichheit, in den menschlichen Verhältnissen eine unabwendbare Gewalt, allen und keinem verliehen. Der einzelne nur Schaum auf der Welle, die Größe ein bloßer Zufall, die Herrschaft des Genies ein Puppenspiel, ein lächerliches Ringen gegen ein ehernes Gesetz". Und an einer anderen Stelle: "Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen; nichts, nichts wir selbst; die Schwerter, mit denen Geister kämpfen – man sieht nur die Hände nicht, wie im Märchen ..."

Das Leben ein düsteres Märchen: Von dieser Einsicht her zieht Büchner sein Dantonstück auf. Gleich zu Beginn wird ein Danton vorgestellt, der seinen Glauben an irgendeine reinigende revolutionäre Tat bereits restlos beerdigt hat. Danton spürt die ekelnde Leere seines bisherigen revolutionären Aktionismus, er realisiert, daß es mit den proklamierten Zielen der Revolution buchstäblich nichts ist. Und ihm entgegen steht Robespierre – ein schauerliches, mit den seichtesten Phrasen abgefülltes Verlautbarungs- und Vollzugsorgan, das tagtäglich Hunderte von Menschen auf die Guillotine schickt – weil sein "historischer" Wille eben nur Tod und ebenfalls nur das pure Nichts gebären kann.

Die Revolution ist ein Puppenspiel, bei dem die Akteure am Draht zappeln, allenfalls die Zuschauer einen gewissen Spaß haben können (so sie nämlich kindlich genug sind, sich mit bloßem Gezappel zufrieden zu geben). Die einzig angemessene Art, so etwas darzustellen, weiß Büchner, ist also die Komödie; sein Stück, von unzähligen Dramaturgen zur donnernden Tragödie zurechtfrisiert, ist eine Komödie, eine Orgie der Lachhaftigkeit.

Und nur weil Danton das lernt und daraus gewisse Konsequenzen zieht, wird er zu einer Art "Held" in dem Stück. Er sagt es selbst: "Mute mir nur nichts Ernsthaftes zu! Ich begreife nicht, warum die Leute nicht auf der Gasse stehen bleiben und einander ins Gesicht lachen. Ich meine, sie müßten zu den Fenstern und aus den Gräbern herauslachen, und der Himmel müßte bersten, und die Erde müßte sich wälzen vor Lachen."

Was Danton, der geköpft wird, und Robespierre, von dem er geköpft wird (bis dann Robespierre selber geköpft wird), voneinander unterscheidet, ist, daß Danton über das Ganze lachen kann, Robespierre aber nicht. Robespierre ist humorlos – und just deshalb ein Mörder; Humorlosigkeit und Mord sind zwei Seiten ein und derselben Medaille.

Und man kann weiter sagen: Danton ist kein Mörder (mehr), weil er das Spiel durchschaut hat – und trotzdem weiter mitspielt, dem Spiele gibt, was er ihm schuldig geworden ist. Er spielt weiter mit, ohne sein Tun im geringsten ernst zu nehmen und in der vollen Einsicht, daß am Ende dieses Spiels der Tod steht. Robespierre spielt nicht, er nimmt das Leben ernst und beschleunigt damit den Tod zuungunsten des Spiels. Danton weiß: "Solange wir spielen, leben wir noch", und dementsprechend handelt er und verzögert somit den Tod.

Der Tod erscheint bei Büchner als der definitive Gegenzug gegen das Spiel und verleiht so jedem Lachen einen Unterton von Grellheit und Verzweiflung, was man fast noch besser als im "Danton" im anschließend begonnenen "Woyzeck" erfahren kann, einer finsteren und dennoch wahnsinnig komischen, lachhaften Burleske, in der herumdilettierende Kurpfuscher mit dem debilen Woyzeck allerlei törichte, völlig sinnlose Experimente anstellen, ihm zum Beispiel monatelang nur Erbsen und nichts als Erbsen zu fressen geben.

Woyzeck ist ein Tier, ein Hamster im Laufrad, und natürlich kann solch ein Hamster nicht lachen, er ist humorlos wie Robespierre und deshalb ebenfalls ein Mörder, bringt bekanntlich das einzige bißchen, das er hat, um, erstickt seine Marie und verfällt dem Schafott. Diese Unfähigkeit zum Lachen unterscheidet ihn also von Danton, den sie in der Schaubühne endlich einmal nicht als kraftstrotzenden Tatmenschen und Vollblutrevolutionär geben, sondern als spillrigen Neurastheniker, der dauernd von Lachanfällen geschüttelt wird. Eine überzeugende Deutung und keine schlechte Leistung in diesen dürftigen Theaterzeiten.


 
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