© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/01 13. April 2001

 
Was ethisch ist, bestimmt der Kanzler
Forschung: Schröder will die Deutungshoheit in bioethischen Fragen zur Chefsache machen
Alexander Schmidt

Der unter der ehemaligen Gesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne) eingeführte Ethikrat im Gesundheitsministerium (BMG) wird nicht mehr lange als kritische Stimme gegenüber der Regierung existieren. Das verlautete aus der Enquetekommission "Recht und Ethik in der modernen Medizin" sowie aus dem Rat selbst.

In der vergangenen Woche wurden die Vermutungen amtlich. Bei einem Vortrag in der katholischen Akademie in Berlin äußerte Bundeskanzler Schröder seine Pläne, das neue Gremium in den nächsten Wochen zu berufen. Dabei sprach er sich unter Hinweis auf eine enge Anbindung an die Politik für die Ansiedlung der Geschäftsstelle bei der Akademie der Wissenschaften aus, um nicht als "einflußloser Expertenzirkel im Elfenbeinturm zu arbeiten". Obwohl Schröder ankündigte, den Rat nicht am "Gängelband der Politik" laufen zu lassen, zeichnen sich für die künftige Arbeit des Expertenrates andere Schwerpunkte ab als noch im BMG. Er betonte, bei der Debatte um Gentechnik müßten auch die wirtschaftlichen Fragen berücksichtigt werden. "Es gilt die Frage zu bedenken, was passiert, wenn man die ökonomischen Chancen nicht nutzt", so der Kanzler. Dies ist nach Ansicht des Präsidenten, der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Ernst-Ludwig Winnacker, aber noch nicht der Fall.

Im Gespräch mit dem Deutschlandradio lobte Winnacker die in Deutschland ausgeprägte Forschungsfreiheit und betonte, daß zur Zeit noch keine Wettbewerbsnachteile in der Genforschung drohen. Aus seinen Worten läßt sich die Sicherheit heraushören, bei der Bundesregierung sofort auf Gehör zu stoßen, falls die ethischen Grenzen noch nicht weit genug abgesenkt worden sind.

Die Vermutung vieler Lebensrechtler, daß "hier offensichtlich nach dem Willen des Kanzlers eine neue offiziöse Instanz mit einem Interpretationsmonopol in ethischen Grundsatzfragen geschaffen werden soll", wie es bei den Christdemokraten für das Leben (CDL) heißt, scheint sich damit bestätigt zu haben. Es dürfe keinen Kompromiß geben zwischen wirtschaftlichem Profitstreben, Forschungsfreiheit und dem Grundrecht auf Leben, erklärt die Vorsitzende der organisierten Lebensschützer in der Union, Johanna Gräfin von Westphalen.

Dieser Kompromiß war aber abzusehen. Immer häufiger fielen in den vergangenen Wochen Sitzungen des Gremiums aus, und Termine platzten ohne Begründung. Es wird vermutet, daß die neue Direktive der Bundesregierung für eine weit gefaßte Regelung in bioethischen Fragen Auslöser für die Terminprobleme sind – und weniger die anerkannte Arbeit des Gremiums. Der SPD-Abgeordnete Wolfgang Wodarg betonte, der Ethikbeirat im BMG habe "sehr gute Arbeit geleistet". Eine Studie über Gendiagnostik, so die Vorsitzende Regine Kollek, sei bereits vom Justizministerium als Grundlage einer Gesetzesvorlage verwandt worden.

Mit der Demontage des Rates geht die schleichende Umbesetzung des Ministeriums einher. Die Abteilungsleiterin für Biopolitik und Gentechnik, Ulrike Riedel, wurde ohne weitere Begründung in den vorzeitigen Ruhestand geschickt und durch den Kölner Mediziner Stefan Winter ersetzt, der als aktiver Befürworter der Präimplantationsdiagnostik der Regierungslinie entspricht. Bei dieser Diagnostik werden Embryonen bei der künstlichen Befruchtung auf genetische Defekte untersucht und im Zweifel getötet.

Die Unabhängigkeit des Rates wurde für die Bundesregierung immer wieder zum Ärgernis, bis der Kanzler jetzt verkündete, einen eigenen "Nationalen Ethikrat" ins Leben zu rufen und so die Fachkommission des BMG zu entmachten. Unter der bisherigen Zusammensetzung des Rates erschwerte sich nicht zuletzt die politische Einflußnahme, da unabhängige Mitglieder aus der Wissenschaft und Kirchen in dem Gremium vertreten sind.

Ob die personelle Besetzung eines "Nationalen Ethikrates" durch die Regierung ähnlich verlaufen wird, steht noch aus. Ebenso ist fraglich, wie sich die Nähe von Legislative und Exekutive auf die Arbeit eines solchen Gremiums auswirken können.

Der stellvertretende Vorsitzende der Enquetekommission, Hubert Hüppe (CDU), sprach von einer "Entsorgung" des Ethikrates zugunsten des liberalen Kurswechsels Schröders. Dem gilt sein Kanzlerwort freilich mehr als Fachkompetenz.


 
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