© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/01 06. April 2001

 
Ein Mythos erwacht
Ausstellung: "Troia – Traum und Wirklichkeit" in Stuttgart
Rüdiger Ruhnau

Seit der griechische Dichter Homer vor 2.700 Jahren in seinen Werken "Ilias" und "Odyssee" die Geschichte vom Kampf um Troia erzählte, ist der Mythos dieser Stadt am Hellespont lebendig geblieben. Der Tübinger Archäologe Korfmann hatte die Idee, die Nachwirkungen des troianischen Mythos mit der Realität der seit 1988 von der Tübinger Universität betriebenen Ausgrabungen in Troia in einer groß angelegten Ausstellung zu vereinen. Als Gemeinschaftsprojekt verschiedener Institutionen wurde die Schau in Anwesenheit des türkischen Staatspräsidenten Sezer am 17.März im Forum der Landesbank Baden-Württemberg eröffnet, wo die Ausstellung bis zum 17. Juni 2001 zu sehen ist, um dann nach Braunschweig und Bonn weiterzuwandern.

Vor dem Eingang des Forums, gegenüber dem Hauptbahnhof, hat man als Werbegag ein 15 Meter hohes und 45 Tonnen schweres hölzernes Monstrum aufgestellt. Das wenig Ähnlichkeit zeigende Gebilde soll an das berühmte "Troianische Pferd" erinnern. Bekanntlich hatte der listenreiche Odysseus nach zehnjähriger vergeblicher Belagerung Troias das riesige Pferd als "Weihegeschenk" am Strand zurückgelassen, während die Griechen angeblich absegelten. Die Troianer zogen das seltsame Geschenk in die Stadt, obwohl der Priester Laokoon sie davor warnte. Das Pferd war aber so groß, daß sie einen Teil der Stadtmauer einreißen mußten. In der Nacht stiegen Odysseus und 30 Soldaten aus dem Bauch des Pferdes heraus, öffneten die Tore, damit die wieder zurückgekehrten Griechen in die Stadt eindringen konnten. Die Troianer wurden niedergemacht, die ganze Stadt zerstört.

Über 800 Exponate aus mehr als 50 Orten der Welt sind erstmals in Stuttgart zu bewundern. Das 4,2-Millionen-Projekt – Hauptsponsor ist die Landesbank BW – zeigt neben Alltagsgegenständen wie Münzen, Vorratsgefäßen und Schmuck auch Gemälde, Skulpturen und Kultobjekte. Die meisten originalen Leihgaben stammen aus der Türkei, die besonders ihre troianischen Goldfunde bisher noch nie außer Landes gab. Der "Schatz des Priamos", den Heinrich Schliemann 1873 bei seinen Ausgrabungen in Troia entdeckte, ist leider in Moskau geblieben.

In der Sage vom Troianischen Krieg raubt Paris, Sohn des Königs Priamos von Troia, die schöne Helena. Ganz Griechenland fühlte sich durch den Raub der Gemahlin des Königs von Sparta in seiner Ehre verletzt und rüstete zum Krieg gegen Troia, selbst die Götter nahmen am Kampf teil. Schaubilder, Schrifttafeln, Modelle, Audio- und Video-Führung vermitteln dem Besucher einen Eindruck der antiken Stadt am Eingang zu den Dardanellen, die heute Hisarlik heißt. Zu den künstlerisch sehenswertesten Ausstellungsstücken gehören die griechischen Vasenmalereien. Auf Schalen und Amphoren ist rot- oder schwarzfigurig bemalt der Kampf um Troia wiedergegeben, wobei die frei im Raum stehenden Glasvitrinen eine eingehende Betrachtung der grazilen Malereien erlauben. Homers Bericht vom Zweikampf Achill gegen Hektor ist in diesen Bildern über viele Epochen hinweg lebendig geblieben. Beispiele, wie auch heute noch die Trivialkultur den Troia-Mythos verarbeitet, sind am Ende des Wandelgangs zu sehen.

Die von Heinrich Schliemann durchgeführten Grabungen legten neun Siedlungsschichten frei. Spätere Untersuchungen zeigten, daß die Ruinen der Schicht VI das Homerische Troia sind. Die aktuellen Ausgrabungen ergaben als wichtiges Ergebnis, daß der antike Burgberg mit Athene-Tempel und Theater zehnmal größer war als bisher angenommen. Die hochentwickelte Mauer- und Festungstechnik ist in kurzen Videofilmen dargestellt. Man hat die didaktischen Schwierigkeiten bei der Aufbereitung der archäologischen Forschungsergebnisse mittels der multimedialen Präsentation zu lösen versucht.

Es ist das Geschick der Museumsfachleute, die Reste von Mauersteinen, Scherben oder Metallstücken, diese bescheidenen Zeugen einer großen Zeit, zum Sprechen zu bringen. Wer allerdings den Mythos Troia ganz erleben will, muß sich mit der antiken Geschichte vertraut machen. Das große Interesse an historischen Ausstellungen ist wohl auch ein Zeichen dafür, daß die allzu nüchterne Gegenwartskunst wenig Erinnerungsspuren hinterläßt.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 17. Juni (siehe unter Termine). Das Begleitbuch kostet 49 Mark.


 
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