© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/01 06. April 2001

 
Pankraz,
Georg Klein und die lila Hosenträger

Pankraz bittet seine Leser um Vergebung, daß er ihnen mit einem horrend degoutanten Thema kommt, aber manchmal läßt sich dergleichen schwer vermeiden. So etwa, wenn ein Buch (wie jüngst auf der Leipziger Buchmesse) von den Kritikern unisono zum "Ereignis" hochgejubelt wird, in dem jugendliche Liebhaber ihre Erfüllung finden, wenn sie den Urin von achtzigjährigen Greisinnen beschnuppern und schlürfen, und ein Installationskünstler in der Berliner U-Bahn violett leuchtende Pickel auf seiner Nase ausdrückt, daß der Eiter nur so spritzt. Dann fragt sich der nachdenkliche Zeitgenosse: Weshalb sind Kritiker davon so begeistert? Warum schreibt ein Autor so etwas? Was passiert hier?

An der "Formvollendung", mit der so etwas hingeschrieben wird, kann es nicht liegen. Form und Inhalt hängen zusammen, Urin bleibt Urin, ein Eiterpickel bleibt ein Eiterpickel. An der "Kühnheit der Provokation" kann es ebenfalls nicht liegen, denn Urin und Eiter als Kunstobjekte provozieren längst niemanden mehr, im Gegenteil, die Kritiker ... (siehe oben).

An der verdeckten Fremdenfeindlichkeit, dem verdeckten Antisemitismus, der in dem Buch zum Ausdruck kommt, wird es hoffentlich auch nicht liegen. Der Autor, ein hochambitiöser, ehrgeiziger Großintellektueller, der Sartre und Pynchon gelesen hat, scheint davon frei, läßt seinen als Detektivgeschichte aufgezäunten Roman aber in einem heruntergekommenen Berlin spielen, das von Zuwanderern aus dem Osten überquillt und in dem die "Itzigs" und "Ilbichs" an den Schalthebeln sitzen, Figuren mit Triefaugen, die ein "überklares, hartes Deutsch" sprechen.

Was trotz solcher Gewaltsamkeiten an dem Buch faszinieren mag, ist die ausführliche, klinisch genaue Studie des Ekels, die es – bewußt oder unbewußt – bietet, eine Studie, die weit über das hinausgeht, was einst der junge Sartre in Frankreich in seinem Roman "La nausée" von 1937 zum Thema geliefert hat. Alles in dem Buch ist ekelhaft, seine Figuren, seine Kulissen, seine Handlungsabläufe, seine Plots und Pointen. Es gibt kein einziges Fleckchen, auf dem sich der Leser vom Ekel erholen, auf dem er ihm auch nur ausweichen könnte.

Die Hauptfigur, die ihn als Cicerone ständig begleitet, ist häßlich-schleimig, selbstverständlich impotent, trinkt nur übersüßten Kamillentee, leidet dauernd an Hautausschlägen und trägt Klamotten, die sie aus dem Sperrmüll herausgeklaubt hat. Wenn sie den Mund aufmacht, sieht man eine Zunge mit "schlammigem Belag, der eine eigene schlingernde Bewegung zu vollziehen scheint". Der engste Kumpan dieser Hauptfigur ist jenes "Bürschlein mit den langen Wimpern", das den Greisinnen-Urin so liebt. Vor diesen beiden gibt es kein Entkommen. Der Ekel triumphiert.

Was aber ist der Ekel? Die wenigen Wahrnehmungsphysiologen, die sich mit dem Phänomen beschäftigt haben, definieren ihn in der Regel als "Übelriechende Viskosität", als zähe, klebrige Halb- und Dickflüssigkeit, die man endlos auseinanderziehen kann, ohne daß sie reißt, und deren Duft ein Gestank ist, eine Mischung aus Furz und Flieder. Auch werden dem Ekel gewisse Farben oder Farbkombinationen zugeordnet, alle möglichen Variationen von Lila und Gelborange, mit Grünstich im Hintergrund.

Sämtliche fünf Sinne tragen zur Erzeugung des Ekelgefühls bei, am wenigsten der Hörsinn, was sehr für diesen spricht. Es gibt Töne, die uns auf die Nerven gehen, aber von an sich "ekelhaften" Tönen läßt sich wohl mur metaphorisch sprechen. Am ehesten empfinden wir noch das Quietschen als ekelhaft, weil es ein Ton ist, der dort nicht hingehört, von woher er ertönt. Er zeigt mithin eine Unstimmigkeit und Ungehörigkeit an, durchgerostete Scharniere, faulige Dielen, erschlaffte Gummipuppenbäuche, wenn man auf sie drückt.

Allem Anschein nach ist dies das generelle Merkmal der Ekel-Konstellation: das Erschlaffte, Faulige, Durchgerostete. Hinzutreten muß noch das Ungehörige: daß man also ein Fauliges nicht repariert oder ersetzt, sofern es sich reparieren oder ersetzen läßt, daß man es nicht gnädig verhüllt oder sonstwie in die Deckung bringt, wenn es sich denn nicht (mehr) vermeiden läßt, sondern es extra herausstellt.

Dazu würden auch die lila Farben passen, die ja nicht in der Natur vorkommen, höchstens bei Krankheitszuständen, ansonsten reine Kunstfarben sind, dazu geschaffen, Wurstigkeit oder Ungehörigkeit zu demonstrieren. Schon in Sartres "La nausée" fungierten lila Hosenträger, wie sie vorzugsweise sinnlos herumpolternde, auch körperlich ungepflegte Hausmeister tragen, als Ekelsymbol.

Von den Hosenträgern ist nur ein kurzer Schritt zu dem auf der letzten Buchmesse so sehr gelobten neuen Ekelroman. Das fiktive Berlin, das dort vorgeführt wird, ist ein einziger lila Hosenträger. Alles ist erschlafft, faulig und durchgerostet, aber niemand tut etwas dagegen, viele halten den Zustand sogar für besonders attraktiv, frequentieren ihn wie ein besonders gelungenes Happening, laufen gewissermaßen freudig nach unten aus, lösen sich im gleichen Takt oben in eine zähe Viskosemasse auf.

Weiche Birne und entzündeter, ins Lila sich verfärbender Hinkefuß bedingen einander, produzieren gemeinsam einen Zustand, der zum Himmel stinkt. Doch alle tun so, als röchen sie nichts, und vielleicht riechen sie auch tatsächlich nichts mehr. Der ehrfurchtsvoll lobende Kritiker der FAZ seinerseits empfiehlt ausdrücklich, man solle sich bei der Lektüre "Wäscheklammern auf die Nase stecken", damit man nichts riecht und so das Kunstwerk ohne Skrupel genießen kann.

Es heißt übrigens "Barbar Rosa", und der Autor heißt Georg Klein. Titel und Autornamen zu nennen, heißt freilich nicht, sie zur Lektüre zu empfehlen, ob nun mit oder ohne Wäscheklammer. Dazu sind sie viel zu ausführlich und viel zu verliebt in ihren Gegenstand. Sich ekeln können meint in erster Linie, sich so schnell wie möglich vom Ekelobjekt abwenden.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen