© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/01 06. April 2001

 
Serbische Gardinen
von Michael Wiesberg

Es bedurfte der massiven Drohung aus den USA, Finanzhilfen an Jugoslawien einfrieren lassen zu wollen, um die neue Regierung in Belgrad zur Festnahme des Ex-Präsidenten Slobodan Milosevic zu bewegen. Bezeichnenderweise wurde Milosevic nicht wegen seiner vom Westen angeprangerten Verbrechen gegen die Menschlichkeit und wegen Verstößen gegen das Kriegsvölkerrecht festgenommen, sondern wegen eines langen Sündenregisters politischer und wirtschaftlicher Verbrechen in seiner Heimat.

Was die westliche "Wertegemeinschaft" mit der Festnahme im Sinn hat, liegt auf der Hand: Mit Milosevic als angeklagtem Kriegsverbrecher soll der Welt noch einmal demonstriert werden, wie notwendig und gerecht der Krieg gegen Jugoslawien war. Daß Milosevic vor das Kriegsverbrechertribunal gestellt wird, dessen ist man sich sicher. Milosevic werde sich einem Verfahren in Den Haag stellen müssen, gleichgültig, was derzeit passiere, sagte etwa Nato-Generalsekretär George Robertson in Brüssel. Zuletzt verdichteten sich Hinweise, daß sich Milosevic unter Umständen freiwillig dem Tribunal stellen könnte, um einer möglichen Todesstrafe in Serbien zu entgehen. Sollte es wirklich zu einer Anklage in Den Haag kommen, könnte das Verfahren gegen Milosevic, der vom Westen lange protegiert wurde, eine für den Westen unangenehme Wendung nehmen. Milosevic könnte seine Hintergrundkenntnisse in einer Art und Weise ausspielen, die der "Wertegemeinschaft" ganz und gar nicht behagen dürfte.


 
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